Verständigung im Turm zu Babel
Verständigung im Turm zu Babel – Über Multi-Channel Kommunikation und proaktives Zuhören
Je zwei Menschen sind in der Regel in vielerlei Hinsicht ganz unterschiedlich. Sie reden aber in aller Regel miteinander so – und damit ist das große Thema dieses Buches aufgeworfen – als wären sie in etwa gleich. Sie sind es aber nicht!
Verständigung im Turm zu Babel – Über Multi-Channel Kommunikation und proaktives Zuhören
Hier die Einleitung als Leseprobe: Über Multiperspektivische Multi-Channel Kommunikation
Aus der Genesis 11 (1-9): Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lass uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! Also zerstreute sie der HERR von dort alle Länder, dass sie mussten aufhören die Stadt zu bauen.
Noch immer sind unsere Sprachen verstreut, das Land Sinear wird zum Dorf Erde. Wir werden global und beginnen Englisch als Weltsprache zu sprechen. Inzwischen merken wir aber, dass die Kommunikation nicht nur über die reine Sprache geschieht. Wir sind verschiedene Menschentypen, leben in verschiedenen Landes- und Unternehmenskulturen. Uns trennen Religionen, Ideologien und Generationsunterschiede. Wir haben als Menschen verschiedene Prioritäten („Karriere“, „Familie“) und sehen uns beruflich in vielen diversen Rollen („Chef“, „Mitarbeiter“). Wir sind eher denkende, fühlende oder instinktiv-impulsive Menschen, sind intro- oder extrovertiert. Kurz: Je zwei Menschen sind in der Regel in vielerlei Hinsicht ganz unterschiedlich. Sie reden aber in aller Regel miteinander so – und damit ist das große Thema dieses Buches aufgeworfen – als wären sie in etwa gleich. Sie sind es aber nicht!
Einer der größten Irrtümer der Menschheit steckt in dem universalen Ratschlag: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ – Oder: „Behandele jeden, wie du selbst behandelt werden willst.“
Ich erhelle das an zwei Beispielen: Sehr schüchterne Menschen mögen keinen Smalltalk. Sie möchten nicht ohne wichtigen Grund angesprochen werden. Also sprechen sie ihrerseits niemanden ohne wichtigen Grund an, insbesondere grüßen sie andere kaum. Das nehmen ihnen die Extrovertierten übel. Diese möchten nämlich liebend gerne angesprochen werden, deshalb sind sie ihrerseits so nett, alle anderen anzusprechen, weil sie glauben, das tue allen anderen gut. Wenn sie nun aber einen Schüchternen ansprechen, nimmt der das übel. In der Folge trennt sich das stark Extrovertierte vom stark Introvertierten. Sie bilden heimlich zwei verschiedene „Völker“, die sich tendenziell nicht so recht mögen. Sie denken „ethnozentrisch“, sie bewerten alles nach ihrer eigenen Art.
Manager sind oft sehr ehrgeizig und tun alles für ihre Karriere, betont auch am Wochenende, das ist ganz klar! Wer energisch Karriere machen will, stellt sie ostentativ in das Zentrum des eigenen Lebens. Nun nehmen gerade solche Manager an, dass alle Mitarbeiter eine Karriere hinlegen wollen und muntern sie ständig auf, diesen Weg zu verfolgen. „Ohne irre viele Überstunden kommen Sie nicht weiter, lieber Mitarbeiter!“, predigen sie oft verbal und bestimmt in dominanter Körpersprache. Der Mitarbeiter möchte aber zum Beispiel seine Familie in seinem Lebenszentrum sehen, er fühlt sich durch das fortwährende Gerede über das Thema „die Extrameile gehen“ an den Rand gedrängt und mag seinen Chef deshalb nicht. Der hat doch wohl auch eine Familie? Was muss der Boss für ein Rabenvater sein, der immerzu arbeitet! Der Mitarbeiter geht also insgeheim grimmig nach getaner Arbeit – ohne Überstunden – heim. Der Manager schaut ihm grimmig nach. Weil sie verschiedene Anschauungen haben, trennen sie sich seelisch immer mehr und werden implizit feindlich gegeneinander.
Wir sprechen also nicht mit einer Zunge, selbst wenn wir alle Englisch sprechen würden. Das Hauptproblem der Kommunikation scheint mir zu sein, dass wir eigentlich nicht wissen oder mindestens nicht in voller Schärfe wissen, dass wir in den verschiedensten Dimensionen denken, fühlen und handeln. Wir registrieren schon, dass wir in der heute immer komplexer und globaler werdenden Welt zunehmend in „Kommunikationsproblemen“ ersticken, aber wir lernen nicht so wirklich, woher diese Probleme stammen:
Unsere Sinne sind immer noch zerstreut wie eh und je. Wir nehmen unsere Verschiedenheiten absolut ungenügend wahr und tendieren dazu, als trennend Empfundenes zur Quelle von Abneigung und manchmal von Feindschaft werden zu lassen.
In diesem Buch möchte ich einen kleinen Katalog solcher Verschiedenheiten besprechen und diesen zum Anlass nehmen, ein Kommunikationsmodell vieler verschiedener Ebenen oder Dimensionen vorzuschlagen. Wir betreiben nämlich fast stets – ohne es explizit zu wissen – eine „Multi-Channel Kommunikation“. Diesen Sachverhalt sollten wir uns bewusst machen. Wir sollten den Katalog der Verschiedenheiten internalisieren und bei der Kommunikation mit anderen in allem Respekt herausfinden, „wer der andere ist“ – und nicht immer nur ausdrücken, wer wir selbst sind oder sein wollen. Dieses Herausfinden, wer mein Gegenüber ist, will ich „proaktives Zuhören“ nennen, es ist exploratives Zuhören, das sich proaktiv (neben oder sogar vor aller Kommunikation) um den anderen kümmert.
Oft sehen wir doch beim Reden, dass sich das Gesicht unseres Gegenübers ungut verfärbt! Er hat dann meist etwas auf einer falschen Ebene verstanden, an die wir gar nicht gedacht hatten. „Denke ich denn, dass man mich so missverstehen kann? Das habe ich nie gesagt, jedenfalls nicht so gemeint!“ Gut Kommunizierende „kriegen dann noch die Kurve“, wie man so sagt. Sie merken, wenn sie auf einer falschen Ebene und in einer ungünstigen Wellenlänge begonnen haben. Sie reagieren blitzschnell und korrigieren sich. Sie hören zu und harmonisieren die Seelenlagen rasch wieder, sie bringen taktvoll in Takt. Ich bin oft erschüttert, wenn es zu Kommunikationskatastrophen kommt, die absolut vorhersehbar waren und die man auch hätten retten können. Dazu zwei reale Beispiele, die leider heillos endeten, weil niemand die Notbremse zog:
Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat (Peer Steinbrück, im Wahlkampf 2013) erklärte im Fernsehen beim Thema Wein, er würde niemals eine Flasche unter 5 Euro anrühren. „5 Euro für ein Glas vielleicht.“ Er spricht wie ein normaler Mensch, so wie man es daheim seiner Frau sagen würde. Im Fernsehen aber ist er im Wahlkampf, und dort muss er sich als „Sozi“ unbedingt volksnah geben. Da das Volk faktisch eher selten Wein über 5 Euro die Flasche kauft, ist .in diesem Moment vollkommen klar, dass es erregte Reaktionen der Art „Sozialdemokrat redet wie reicher Bonze“ geben wird.
Er selbst sendet eine Botschaft auf dem Kanal „persönlich, privat“: „Ich liebe Wein.“ Viele aus dem sozialdemokratischen Wählervolk verstehen natürlich „Ich trinke keinen billigen Fusel wie ihr.“ Die politischen Gegner aber wollen die Weinäußerung absolut gerne in den falschen Hals bekommen und schlachten die Situation genüsslich aus. Fazit: Peer Steinbrück sendet auf Kanal „privat“, seine Anhänger hören auf dem Ohr „Ist er einer von uns?“ und seine Gegner lauern auf „Wie kann man es so verstehen, dass es ihm schadet?“. Nach dieser Kommunikationskatastrophe kann sich Peer Steinbrück von aller Welt im Netz und in der Presse belehren lassen…
Half das? Lernte er? Nein, es kam zu neuen Schnitzern („Stinkefingerbild“) nach genau demselben Muster. Er verlor die Wahl. Wird er nun das Kommunizieren erlernen?
Ein sehr introvertierter Mathematiker trägt dem versammelten Vorstand einer Bank herausragende Prognoseergebnisse bei Anleihe-Kursen vor. Er eröffnet seine Präsentation ohne Umschweife mit einer Folie, auf der eine schreckliche Formel steht, und er sagt in etwa (ich habe den genauen Satz in tiefem Schreck vergessen): „Wir modellieren die Kursverläufe durch ein Alpha-Beta-Supermartingal dritter Ordnung…“ Einer der anwesenden Bankdirektoren hebt amüsiert gespielt hilflos die Hand und sagt sehr süffisant: „Sehr geehrter Star-Mathematicus, ich bin leider nur Jurist vom Fach und weiß nicht so recht, was ein Supermartingal ist.“ Ich selbst bin Mathe-Professor und weiß es gerade noch so halbwegs (lange her, denke ich). Der Mathematiker aber zieht im gleichen Augenblick vollkommen authentisch eine ungeheuer erstaunte Miene und erwidert: „Sie wissen echt nicht, was ein Supermartingal ist?“ Der Jurist, noch mehr amüsiert: „Nein, darf ich das?“ Der Mathematiker: „Dann ist doch diese ganz Veranstaltung hier vollkommen sinnlos.“ Alle schauen sich bedeutungsvoll an, und der von unserer Abteilung sehnlich erwartete Auftrag, unsere Prognosemethoden für die Bank nutzbar zu machen, fällt fast hörbar ins Wasser. In den Gesichtern der Banker ist zu lesen: „So ein armer Fachidiot, ihm ist nicht zu helfen! Mit dem wollen wir auf keinen Fall zusammenarbeiten.“
Ich war damals als Jungmanager absolut geschockt und weinte innerlich. Ich hätte sofort einen Witz machen und mich ums Einrenken bemühen sollen. Leider hatte ich mich blitzartig hoffnungslos verloren gegeben – da war nichts in mir, was ein Wogenglätten versuchen wollte. So blieb das Kind im Brunnen. Heute noch, ein Vierteljahrhundert später, graut es mich bei der Erinnerung – jetzt beim Schreiben wieder. Der Mathematiker behielt seine Art bei, auch nach vielen emotionalen Debatten. Andere mussten für ihn vortragen.
Das waren die zwei Beispiele von „Oben nach Unten“ und von „Techie zu Management“. Sender und Empfänger reden und empfangen auf verschiedenen Kanälen, so will ich hier im Buch sagen. Man muss – das will ich hier einprägen – unbedingt beachten, in welcher Diktion man etwas ausdrücken soll/will – zum Beispiel „technisch“, „inhaltlich“, „formal“, „ideal“, „realistisch“, „feinfühlig“, „provokant“, „juristisch“, „managementtauglich“, „finanztechnisch“ oder „prozessorientiert“. Am besten schafft man es, auf vielen Kanälen gleichzeitig zu senden! Manchem begnadeten Storyteller gelingt das – ich will das später kurz besprechen.
Denken Sie aber nicht, das Lesen dieses kleinen Büchleins würde Sie schon gleich für beste Kommunikation fit machen. Es gehört zum Beispiel eine Menge Wissen dazu, um „juristisch“, „technisch“ oder „politisch“ kommunizieren zu können, um also mit der eigenen Botschaft in diesen Kanälen zu überzeugen. Für alle solche Aspekte sollten wir uns lebenslang interessieren und für alles ein offenes Ohr haben, damit wir die Grundelemente aller Kulturen, Denkweisen und Fachrichtungen mit der Zeit immer besser kennenlernen.
Wie sehen Lösungen aus? Multi-Channel verstehen! Wir müssen reagieren lernen, wenn wir daneben liegen! Wir sollten uns in Storytelling üben und Metakommunikation betreiben – uns also um die beiderseitige Klärung der Kommunikationssituation bemühen. Wie könnte eine Theorie und Praxis der proaktiv zuhörenden „Multi-Channel-Kommunikation“ aussehen? Neuerdings stellt sich auch die Frage, wie man gleichzeitig real ein spezielles Publikum anspricht und dann auch vor denen besteht, die eine Rede virtuell als Video ohne den speziellen Kontext verfolgen und deswegen unter Umständen sehr kritisch werden können.