DD283: Innovation Clerks (Januar 2017)

Twitter
Facebook
LinkedIn
XING

DD283: Innovation Clerks (Januar 2017)

Auf Twitter kam die Frage auf, ob es nicht ein prägnantes Wort für „die Feinde der Innovation“ gäbe, zum Beispiel „Bedenkenzähler“ oder „Erbsenträger“. Da erinnerte ich mich, wie mein Doktorvater Rudolf Ahlswede so manches Mal in höherer Erregung im Flur auf und ab lief und immer wieder empört die Wendung „Alles Clerks! Nur Clerks!“ verwendete. Er reagierte damals stets so, wenn man von ihm die Befriedigung von bürokratischen Prozessen verlangte, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem eigentlichen Ziel seines Forscherlebens standen. Na, Sie können sich ja vorstellen, wie man sich über so etwas freut: „Bitte kürzen Sie Ihre Publikation, weil wir für jede Druckseite pages charges bei dem Scientific Journal bezahlen müssen.“ Das ist nur ein fast fiktives Beispiel! Ich stelle mir vor, wie ich dann bei meiner Habilitation begründe, warum ich nicht so arg viel geschrieben habe. Oder eine fast echte Begebenheit: „Ihr Doktorand kann keine gute Note mehr bekommen, weil die Fakultätsquote für Summa-cum-laude laut den Qualitätsrichtlinien der Universität für dieses Jahr schon ausgeschöpft ist. Summa cum gibt es immer nur bis ungefähr Mai, weil bis dahin kein Prof Ärger mit seinem Prüfling haben will. Danach, ab Mai, benoten alle mit gutem Gewissens schlechter, weil sie das ja wegen der Qualitätsquote müssen. Unsere Uni benotet nämlich streng. Dafür sind ja diese Vorschriften und Quoten da.“

 

Viele Innovationsgurus behaupten, Menschen hätten Angst vor Neuem oder die Manager wollten nicht aus der Komfortzone; sie hätten Angst vor Risiken oder persönlichen Folgen etc. Ich glaube aber, der Hauptgrund ist die extrem grassierende Prozessorientierung der letzten Jahrzehnte. Alles, was es gibt, muss nach Regeln, Kriterien, Abläufen und Plänen geschehen. Wer die stets beachtet und nur danach verfährt, hat seine Arbeit zufriedenstellend erledigt. Keine Ausnahmen! Natürlich sind die Regeln und Prozesse so designt worden, dass hoffentlich immer das gewünschte Ergebnis herauskommt. Daher muss man nichts selbst denken, sondern nur dem vorgeschriebenen Prozesspfad folgen.

Im Unternehmen gibt es mindestens drei Arten von Menschen: Prozess-Designer und –Owner, die dafür verantwortlich sind, dass der Prozess korrekt konstruiert ist und effizient zum Ergebnis führt; dann Linienmanager, die alles holterdiepolter noch schneller machen, indem sie die dritte Sorte ständig dazu motivieren, begeistert so zu tun, als würden sie die Prozesse ausführen und als würden diese immer korrekt zum Ergebnis führen. Ja, diese dritte Art sind die Prozessbediener oder Prozesssklaven.

 

Nun kommt die Innovation ins Spiel: Da hat einer eine Idee und fängt sofort mit der Umsetzung an. Da fragen sie: „Nach welchen Regeln hattest du diese Idee? Von welchem Prozess hast du die Genehmigung zum Handeln? Wo ist ein Plan? Wer darf überhaupt einen Plan machen? Bist du effizient? Bist du schnell?“ Na, neuerdings sagen sie statt effizient lieber lean und zu schnell agil. Egal, egal. Sie fordern Ideenmanagement, Innovationsmanagement, Portfoliomanagement, Kriterien für den Erfolg, Regeln für überhaupt zulässige strategie-kompatible Ergebnisse von Innovationen und schließlich wollen sie Vorschriften, wie und wo jemandem gute Gedanken prinzipiell einfallen dürfen („Design Thinking“). Schrecklich.

Ich erkläre es einfacher. Der Chef sagt zu den Mitarbeitern: „Leute, wir gewinnen dieses Fußballspiel! Okay?“ – „Okay.“ – „Wir gewinnen mindestens 7:1, verstanden?“ – „Verstanden.“ – „Dann los, aufs Feld!“ – Da rufen die Controller: „Stop! Es muss ein Fallrückzieher dabei sein und wir brauchen noch zwei Linksschüsse und einen Lattentreffer für den Quartalsbericht!“

 

Ich schaue bei dict.cc nach, was Clerk bedeutet:

U.a.: Angestellter, Schreiber, Büroangestellter, Bankangestellter, Sachbearbeiter, Handlungshilfe, Protokollant, Kanzleikraft und Bürogummi.

 

In diesem Sinne finde ich: „Innovation Clerks“ sind Leute, die sich ganz auf das Befolgen von Prozessregeln beschränken und nichts „Offenes“ beginnen können, dessen Ergebnis noch nicht genau in einem Aktenordner beschrieben und mit vielen Unterschriften genehmigt ist. Die Unternehmercharaktere im Unternehmen fordern immer wieder von den „Innovation Clerks“, doch bitte endlich „die Komfortzone zu verlassen“, aber sie verstehen das nicht richtig. Es gibt für sie keine Welt außerhalb der Regeln. Und wenn, dann ist sie eine verbotene Zone. Die müsste erst mit neuen Regeln erschlossen werden, bevor man sie betreten könnte. Wer aber kennt die Regeln im Unbekannten? Vielleicht Berater? Ja, die liefern neue Methoden und implementieren sie vielleicht.

Das dauert eine lange Zeit, von der man später sagen wird, man habe die Innovation „leider irgendwie verschlafen“.

 

Twitter
Facebook
LinkedIn
XING

21 Antworten

  1. Oh, wie fürchterlich real mal wieder! Die „Bürogummis“ (gefällt mir sehr, übernehme ich gleich!) sind die Heimsuchung der Kreativen.

    Was meiner Beobachtung nach noch sinnentstellend hinzu kommt, ist die Konzentration dieser Schergen auf minimale Abweichungen vom Planprozess, weil die leichter beherrschbar sind. Eine Budgetüberschreitung von 1000 Euro ist ein lange diskutierbares Thema, auf dem man sich so richtig austoben kann, versenkt ein Topmanager aber mehrere Millionen, duckt man sich lieber weg.

    O tempora…

  2. Sie beschreiben zutreffend 2 von 2 Finanzdienstleister für die ich in meiner jungen Berufslaufbahn tätig war bzw. bin.

    Sachbearbeiter wollen Sachbearbeiter bleiben.
    Manager wollen Manager bleiben.

    Wer auf die Idee kommt das Bestehende (das sich in Dland sooo lange krisenfest bewährt hat) zu verändern, wird unmittelbar bekämpft.

    Viele deutsche Konzerne/Unternehmen würden gerne die Digitalisierung „skippen“ ….

  3. Vielen Dank, Herr Dueck, für die schöne Analogie zzur Fußballmannschaft. Und um das ganze nochzu Toppen, haben die Spieler oft die Controller vestanden, aber wenn der Stürmer allein vor dem leeren Tor steht, rennt ein Manager aufs Feld und sagt: „Jetzt aber bitte den Fallrückzieher, genau so wie wir das vereinbart haben!“ und nachdem der Stürmer den Ball nicht auf seinem Weg ins Tor hat aufhalten können sagt die Geschäftsführung: „Wir führen zwar schon 6:1 aber wir haben die vier genannten Treffer noch nicht gelandet, deshalb gibt es keine Siegprämie!“

  4. Ist dies nicht immer das ewige Spannungsfeld zwischen Abläufen die immer wieder das gleiche Ergebnis liefern sollen und Kreativität und Innovation?

    Momentan drückt KI das Pendel in Richtung gleiches Ergebnis.
    Dabei wird häufig vergessen, daß eine hohe Unternehmensmarge nur durch Innovation entsteht – oder ich muß klar definieren, wo die Grenzen eines Prozesses sind und ab wo innovativ gearbeitet wird. Dies wird oft vergessen, da 80% immer gleich sind und nur 20% spziell.
    Es genügt aber nicht, die 80% zu kontrollieren. Der Unternehmensgewinn kommt von den 20%

  5. Oh, wie wunderbar, Herr Dueck!! Danke für diesen irgendwie auch amüsierenden Artikel, wäre es im daily business nicht eine Qual, jene innovation-clerk-energy auszuhalten. Hoffen wir auf mehr neue, d.h. evolutionäre Organisationen.Sie brechen ja durch … sogar im von der Sache her schwerfälligen Maschinenbau (FAVI, Hema).

    Herzliche Grüße
    Bärbel Röpke-Stieghorst

  6. Der beschauliche Akademiker ist noch viel zu freundlich zu solchen Leuten. Die gibt s auch im Sozialbereich und entscheiden über Ausgaben. Da ich mal auf einem Amt ein Praktikum hatte, natürlich bei denen, die direkt mit den Klientel zu tun hatten und nicht nur schriftlich. Wir haben mit den andern nicht geredet. Die waren ein paar Türen weiter und es gab keinen Kontakt. Nur durch wen, der Akten auf einem Wägelchen schob. Wir haben die Klientel möglichst an denen vorbei geleitet inkl. dringend Ratschläge gegeben, wie was auszufüllen ist, damit die Leute was bekommen, die haben ja vorher auch mal Steuern gezahlt. Mit diesen Clerks wurde überhaupt nicht geredet. Auch nicht in der Kantine usw.

    So, nun gibts diese Figuren auch und eben in der so prahlerischen freien Wirtschaft. Die ja so innovativ ist. Bspw. die Bahn AG. Seit der Privatisierung kommt man mit seltsamen Angeboten. Je früher gebucht, desto billiger (bei Airlines etc ebenso). Je spontaner und innovativer, desto teurer. Freiheit kostet auf einmal Geld im Vergleich zum weit vorher feststehenden Beamtenverhalten und paradoxerweise wird das aber eingeführt, als die Bahn privatisiert wird. Es werden Inklinationen einsozialisiert und das viel schlimmer als die hier erwähnten Clerks. Die Clerks sind auf einmal die Manager, die diesen Sumpf beschlossen haben. Man selbst verdient so viel, dass man sich nicht drum kümmern muss. Das ist noch viel übler als im akademischen Bereich, wo sich Professoren sehr wohl wehren können, die können auch kündigen, wenn gute Leute kündigen heilt das gewisse Gepflogenheiten, einfach machen. Der Clerk bekommt den Schock beim nächsten Ranking. Es ist Gegenmacht möglich im akademischen Bereich, wenn sich da keiner traut, ist das Schicksal verdient.

    Aber was bei der Bahn etc passiert ist, dass auf einmal restlos alle betroffen werden und eine Neigung provoziert wird durch Preispolitik, die aus allen Clerks machen soll, inkl. aller anderen unliebsamen Eigenschaften, die dabei entstehen. Das ist krass.

  7. So, so; und als nächstes wollen die „Kreativen“ die Straßenverkehrsordnung abschaffen – die ist ja so spießig.
    Ganz ohne Regeln geht es halt nicht.

    1. Na klar: Schwarz ist Weiß und Silber ist Gold. Und nach Pareto sind die 20% nicht die 80% und selbst 2017 gibt es schon 10 Neuerungen in der StVO.
      Dazu ein „Witz“: Ein amerikanischer und ein deutscher Startup Unternehmer wetten, wer ein Projekt schneller zu Ende bringt. Nach vier Wochen schickt der Amerikaner eine Mail: „Noch zehn Tage und wir sind fertig.“ Darauf der Deutsche „Noch zehn Formulare und wir fangen an.“
      Happy Process.

  8. Disteln – also auch Blumen – für die Clerks. Aus mathematischer Sicht dümpelt das Leben, die Welt oder eben die Realität stückweise stetig auf Potentialflächen vor sich hin. Und auf einer Potentialfläche bewegt man sich nun mal am komfortabelsten, wenn man die Regeln befolgt. Manche von uns halten das aber nicht aus und hüpfen auf der Potentialfläche herum, immer in der Hoffnung, eine neue, höhere Potentialfläche zu finden. Fällen wir dabei auf eine tiefer Potentialfläche, dann ist das ein Unfall oder eine Katastrophe, errreichen wir in höheres Potential, ist das eine Innovation. In letzterem Falle sind wir natürlich stolz und setzen alles dran, den Rest der Menschheit zu uns auf das höhere, bessere Niveau zu locken. Das Herumhüpfen und das anschließende Locken ist natürlich etwas, was der Natur der Clerks widerspricht. Andererseits kann sich unsere Innovation nur durchsetzen, wenn wir genügend Clerks zu uns auf unser neues Niveau locken können. Denn nur dann werden die Ressourcen geschaffen, die wir benötigen, um auch auf der neuen Potentialfläche Mutter herumhüpfen zu können. Immer in der Hoffnung, in neue Höhen vorstoßen zu können. Auch wenn sie sich ständig gegenseitig auf die Nerven gehen: Die Welt braucht Erfinder und Clekrs.

  9. PS. Zur Veröhnung: Stellen wir uns mal vor, die Evolution würde von den Erzengeln Innovatiel und Adminiel gemanagten. Ersterer wäre für die Vielfalt der Arten, letzterer für die Arterhaltung zuständig. Wenn wir ein himmlisch leckeres 3 Sterne, 7 Gänge Menue geniessen, so würden wir das eindeutig dem Innovatiel verdanken. Aber auch die Arterhaltung hat bekanntermaßen ihre angenehmen Seiten. (;-).

  10. PS. Zur Veröhnung: Stellen wir uns mal vor, die Evolution würde von den Erzengeln Innovatiel und Adminiel gemanagten. Ersterer wäre für die Vielfalt der Arten, letzterer für die Arterhaltung zuständig. Wenn wir ein himmlisch leckeres 3 Sterne, 7 Gänge Menue geniessen, so würden wir das eindeutig dem Innovatiel verdanken. Aber auch die Arterhaltung hat bekanntermaßen ihre angenehmen Seiten. (;-).

  11. Den echten Clerk erkennt man an seinen (heutzutage meist virtuellen) Ärmelschonern. Mit Freunden in der Kneipe weigert es sich,dieEinladung zu einem zweiten Bier anzunehmenmit den Worten: „Wir hatten doch gesagt, wir gehen EINEN trinken!“ Sein innovativer Gegenspieler, outed sich, indem er im Restaurant auf die Frage des Kellners „Darf es was zu trinken sein?“ mit „Ja:“ antwortet.
    Die meisten Clerrs wollen sich vor dem Unbekannten schützen, die meisten Erfinder scheuen sich vor dem Prozess der Umsetzung ihrer Ideen. Clerk und Erfinder sind sich feind, obwohl sie sich eigentlich wunderbar ergänzen könnten. Vielleicht muss man das ihnen ja nur mal sagen.

  12. Sehr guter Artikel.

    Ich glaube, eine Methode diesen Zwiespalt zu bekaempfen ist die 20%-Regel, die Unternehmen wie Google oder 3M eingefuehrt haben. Sie besagt, dass Mitarbeiter 20% ihrer Zeit auf eigene Projekte verwenden duerfen, von denen sie glauben, dass sie das Unternehmen weiterbringen. Sie muessen zunaechst keine Rechenschaft darueber ablegen, wie sie die Zeit genutzt haben. Wenn eines dieser Projekte floppt, egal. Wenn eines dieser Projekte zum Erfolg wird bekommt das Unternehmen ein neues, potentiell ueberaus erfolgreiches Produkt.

    Beispiele sind z.B. Gmail von Google oder Post-It von 3M.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert