Wer etwas Neues beginnen möchte, braucht irgendwann auch Kapital. Alle klagen, dass es in Deutschland zu wenige risikobereite Kapitalgeber gäbe. Man laufe als Jungunternehmer, so heißt es, von Pontius zu Pilatus, renne sich die Hacken ab – und Mails würden nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Das kann ich auch verstehen. Viele schreiben mir von ihren oft unausgereiften Ideen und viele davon kapiere ich nicht so richtig, was entweder gegen die Ideen spricht oder gegen den zugehörigen Kopf. Viele Ideen gibt es schon, oft sind sie woanders schon umgesetzt worden oder aus bestimmten Gründen vorher schon grandios gescheitert. Das sollte ein angehender Entrepreneur doch geklärt haben. In der Mehrzahl der Fälle ist der Träger der Idee absolut kein wetterfester Unternehmer. Oft staune ich, wie leichtherzig junge Leute Kapital haben wollen (Geld, das jemand ja früher einmal sauer verdient hat) und es ohne Verantwortungsgefühl für die Investoren misswirtschaftlich raushauen. Viele möchten auch kein persönliches Risiko eingehen, etwa ihr Erbe einsetzen, weil sie von ihrer Idee nicht felsenfest überzeugt sind – aber der Investor soll Millionen für etwas lockermachen, an das selbst nicht geglaubt wird. Wieder andere haben keine Ahnung von Marktvorgängen oder von der Konkurrenz, und noch wieder andere Leute arbeiten seit zwanzig Jahren still vor sich hin an einer Interneterfindung, ohne in der ganzen Zeit den Kopf herausgesteckt zu haben – die Zeit ist doch schon über sie hinweggerollt.
Kurz: die meisten Vorhaben kann ein erfahrener Experte gleich abhaken, bevor es einen herben Schaden gibt.
Was aber geschieht, wenn die Idee gut ist? Angenommen, sie ist gut. Angenommen, der Betreffende würde es auch schaffen. Angenommen, es wäre alles gut. Wer fördert dann, wer investiert, wenn man als Unternehmer nicht gerade mit den Google-Gründern befreundet ist? Ich habe so viele Leidensgeschichten gehört, und ich erlebe es auch mit meinen eigenen Projekten („Wiki of Music“ und voiXen; das Wiki dient der Förderung von Musik, die Firma voiXen hat schon Kunden, Umsatz und ist bald „break-even“). Diese beiden Projekte bringen an wirklich jeder Stelle heftiges Kopfnicken hervor, wir verteilen Visitenkarten an Minister & Co., alle geben gerne Tipps, an wen man sich wenden sollte, alle versprechen einen Rückruf – wir sind begeistert – und dann Stille. Wir fragen nach:
- „Unsere Stiftung ist nur für Musiker, nicht für Musik. Sorry, nicht für Musik.“
- „Wir fördern nur regionale Vorhaben, sorry, nicht Berlin oder Regensburg.“
- „voiXen ist uns zu normal, es ist einfach etwas, was offensichtlich funktioniert. Wir fördern lieber, was sich gut als Sensation feiern lässt.“
- „Wir stiften als Unternehmen/Verband sehr viel Geld, weil wir bei CSR gut aussehen wollen, aber wir haben dazu einfach einen langfristigen Vertrag mit XY (typisch: Rotes Kreuz etc.) gemacht, das gibt gutes Image und wir müssen nicht mehr weiter nachdenken.“ (CSR = Corporate Social Responsibility)
- „Wir fördern erst so ab 50 Millionen Euro, sonst müssen wir uns mit zu viel Kleinkram befassen.“
- „Wir fördern nur Start-ups, die ihren Sitz in unserem Inno-Center haben. Es geht uns vor allem darum, den Erfolg unsres Centers besser vorzeigen zu können. Wir werden daran gemessen.“
- „Wir fördern nur etwas mit social.“
- „Wir fördern nur, wenn andere EU-Staaten involviert sind, vorzugsweise solche mit hohen Sprachbarrieren, weil wir da bisher viel zu wenig fördern. Sie müssen Ihre kleine Idee also als erstes in alle EU-Sprachen übersetzen.“
Ich habe selbst einige solcher Anrufe hinter mir. Die Investoren wollen gleich etwas Großes, die anderen sollen mit dem Geförderten gut aussehen, was sie an bestimmte Kriterien knüpfen, die ihnen jemand vorgab. Zum Verzweifeln. Ja, und dann soll ich oft in Jurys mitarbeiten oder politische Parteien beraten. Dort reden sie wieder nicht von florierenden Unternehmen, sondern von preiswürdigen Ideen nach wahlkampftauglichen Kriterien, ja, und bei den Parteien kommt nach endlosen Meetings heraus, ländlich nachhaltige mittelständische Sozial-Entrepreneurinnen mit Migrationshintergrund zu bevorzugen. Das ist nicht falsch! Aber man müsste doch einfach nur mal ein gutes Unternehmen fördern können – ohne jedes Mal Sonderbedingungen erfüllen zu müsse, die nichts mit Business zu tun haben. Es scheint für Kapitalsucher viel wichtiger zu sein, bestimmte Raster zu bedienen als ein neues Unternehmen zu gründen. Und ich frage: Wenn man gezwungen ist, eine Unternehmensidee von vornherein „gar künstlich“ in ein Raster zu pressen und in ein Mieder zu schnüren – überlebt das die Idee? Ist nicht schon das Geldverdienen allein schwer genug? Dieser Rasterwahnsinn ist denn wohl auch der Grund, warum Großunternehmen sich zu nichts entschließen können. Die haben so viele Silos, dass jede Idee irgendwie irgendwo nicht hineinpasst.
Ach, da fällt mir ein Beispiel ein für etwas, was es dann wieder nicht gibt – das ist mir ganz zufällig über den Weg gelaufen, weil jemand vom Patentamt dafür schwärmte. Ich kann ja nicht hellsehen und weiß kaum mehr als von der Erfindung selbst, aber die passt eben wieder nicht in ein Raster! Bei Audi hat ein bestimmt hochdekorierter Top-Ingenieur (Mario Rossetti) ein Auto mit mehreren Dachteilen erfunden. Diese Erfindung erlaubt es, einen Karavan in ein Cabrio zu verwandeln – ist das nicht toll? Wenn Sie viel Zeug mitnehmen müssen, ist es ein Karavan, wenn Sie nur in der Sonne chillig fahren, ein Cabrio.
Hier ist die Erfindung im Netz, mit Erfinder und Company:
https://register.dpma.de/DPMAregister/pat/PatSchrifteneinsicht?docId=DE102014017518A1
Die gibt es nun schon seit einigen Jahren und ist offensichtlich toll. Und? Gibt es schon eine Studie für den Genfer Auto-Salon? Wieder nichts. Arme Audi AG. Armer Ingenieur. Wir armen Single-Version-Car-Owner.
Kapital wird offenbar von Häkchenzählern verteilt. Die Häkchen hat sich jemand ausgedacht, damit er uns, seinem Chef, der Menschheit oder sich selbst gefällt.
11 Antworten
Einem Teil Ihrer Ausführungen kann ich aus vollem Herzen zustimmen: Dem mit den vielen, oft quasi unerfüllbaren Kriterien, die nicht selten dazu führen, dass eine Idee, sei sie für eine Geschäftsidee oder ein wissenschaftliches Projekt, schon in der Antragsphase bis zur Unkenntlichkeit abgeändert wird.
Nicht zustimmen kann ich Ihrem – aus meiner Sicht – in Bezug auf andere harten (arroganten) Urteil, viele Ideen taugten nichts. Und dann gleichzeitig dem rechtschaffenen(?) Ärger darüber, dass Ihre beiden Musik-Projekte und das Wechseldach-Fahrzeug bisher keine Förderer gefunden hätten. Während ich die Fahrzeug-Idee zumindest noch verstehe, sehe ich keinen Bedarf an Musikdatenbanken oder sonstwas. Wäre es möglich, dass es sich bei den Kommentaren Ihrer jeweiligen Gesprächspartner um gut verpackte freundliche Absagen handelt?
Ich wünsche Ihnen, auf Geber- und Nehmerseite mit identischen Kriterein urteilen zu können!
Es gibt in Deutschland seit mindestens 2011 keine Gründerkultur. Dies ist vorallem politisch gewollt. DGB, SPD und Frau Merkel sei Dank! Arbeitsame Bienen sind gefragt.
Sicherheit und Gründerkultur passen nicht zusammen. Zu jedem erfolgreichen Gründer gibt es mindestens 10 die gescheitert sind und 100 deren Idee keinen Zuspruch fand.
Solange man mit der Förderung kein Geld verdienen will, gibt es auch keine vernünftige Filterfunktion der Investments. Aber parallel gibt es auch noch eine Filterfunktion der Mitarbeiter, die eine niedrige Bezahlung und die Aussicht auf Geld im Erfolgsfalle (Anteile) besitzen.
uns fehlt eine Börse für Mitarbeiter, die der erste Filter von Ideen darstellt. Dann fehlen den professionellen start-up Investoren, die dadurch Geld verdienen wollen. Nur wenn beides zusammen kommt, werden Gründungen erfolgreich.
Funktioniert die Infrastruktur, dann können Firmen sogar Teile ihrer Forschung in start-ups auslagern. Ist eine Idee marktreif, kann die entsprechende Firma dann gekauft und integriert werden.
Haben wir in D aber Mitarbeiter, die eher in behütenden Schoss einer Großfirma mit sicherem Einkommen oder in einem start-up mit der Aussicht Millionär zu werden?
Hallo,
ich möchte kurz darauf hinweisen, dass die Überschrift etwas aus der Reihenfolge gekommen ist DD296 sollte es sein nicht DD295, die Bezeichnung gab es schon.
Citroën machte mit dem C3 Pluriel schon mal einen Versuch mit wandelbarem Dach. Den gibt es nicht mehr. Manch tolle Idee ist dann doch nicht alltagstauglich.
Viele Grüße,
Dirk Hosenfeld
Geändert! Danke!
Das oben angeführte AUDI-Patent „stinkt“ m.E. nach einem reinen „Blockade-Patent“ – „Ich will das nicht machen, aber andere sollen es auch nicht machen!“
Natürlich wird Compliance über „Wenn Sie sich rasieren, bekommen Sie nen Job “ benötigt, und deren Einhaltung ist unangenehm, jedoch kann ich mich entschieden, ob ich das will! Der Wille ist entscheidend, und wenn es der Unwille der anderen ist.
Sie haben sich mit dem Wiki of music etwas ausgesucht, von dem so gut wie niemand ein Bild hat. Nicht einmal Musiker, denn die meisten von ihnen nagen am Hungertuch.
Ich denke, die Idee Ihres freien kulturell und medialen Gedächtnisses muss mit binge watching konkurrieren, da bietet sich nunmal ein omnisensorisches Erlebnis mit niedriger Schwelle an.
Da passt nicht alles!
Und ich muss mich mal wieder rasieren.
Ach ich träume schon seit Jahren von dem SUVan mit Variablen Dachteilen (also VAN SUV und Cabrio in einem) aber keiner wills erfinden, weils vermutlich ausser mir keiner kaufen will.
Wer Risikokapital braucht, sollte zu einem Risikokapitalgeber (VC) gehen und nicht zur einer Stiftung. Der Risikokapitalgeber wird auch sicher nicht sagen, dass er nur was mit „social“ macht…