Keine Sinnfragen, bitte!
Einleitung: Unsinn hat viele Farben
Müll ist nicht gleich Müll. Wir sortieren ihn in verschiedenen Tonnen und Tüten: Plastik, Verpackungen, Grünschnitt, Bauschutt, Elektronik, Medikamente, Batterien, Altöle, Farbreste oder Holzmöbel. Jede Art von Müll stellt für sich ein Problem dar, das spezifisch gelöst werden muss.
So wie es verschiedenen Müll gibt, gibt es verschiedene Ausprägungen der Vergeblichkeit, wenn wir frustriert für die Tonne arbeiten: Projekte werden wegen Problemen beim Quartalsabschluss „eingestellt“, Meetings sind „unfruchtbar“, die Bürokratie schlägt Kapriolen, Manager treffen falsche Entscheidungen, Karrieregeilheit fordert Opfer, Unfähige begehen folgenschwere Fehler, Patzige vergrätzen gute Kunden und jeder hält die Klappe bei Sinnlosigkeiten, die von oben angeordnet wurden.
Alle solche Problematiken führen zu endloser Mehrarbeit:
Experten fixen Fehler von Unqualifizierten und kommen nicht zu ihrer eigentlichen Arbeit. Unnötige Konflikte müssen unter großem Aufwand emotional und sachlich entschärft werden. Fehlentscheidungen erzwingen Ehrenrunden und es führt zu großem Unmut, wenn das Management nicht nach den Leadership-Prinzipien agiert, die es selbst propagiert. Unter zu hohem Druck wird getäuscht, getrickst und geschummelt. Ein Teufelskreis.
Wie konnte es so weit kommen? Ganz einfach: Das Management giert, durch hektische Prozessorientierung immer neue „Effizienzen zu heben“ – so der übliche Jargon. Dabei setzt es die Loyalität der Mitarbeiter aufs Spiel und riskiert instabile Zustände. Nichts funktioniert mehr ohne große Debatten, alles wird immer absurder.
Zusätzlich beginnen Mitarbeiter nun vermehrt Sinnfragen zu stellen, weil der immense Druck inzwischen kontraproduktiv geworden ist. Das liegt daran, dass das seit Jahren andauernde Schrauben am Einsparungsrad etwas Entscheidendes im Unternehmen verdrängt hat: den Sinn für Exzellenz, jede größere Innovation, die Zukunftsfähigkeit im Ganzen und den Sinn für den Sinn der Arbeit.
Das zeigt auch die derzeitige (ziemlich alberne) Suche der Unternehmen nach ihrem „Purpose“. Jedes Unternehmen muss nun – so verlangt es eine neue Etikette – einen kulturell wertvollen Corporate Purpose haben, einen CP, der den höheren Zweck des Unternehmens in der Öffentlichkeit ausdrückt. Dieser höhere Zweck sollte einer sein, der über die Absicht der schnöden Profitgenerierung hinausgeht. „Existenzsicherung der Mitarbeiter“ wäre ja schon schön, finde ich. Leider wird nur „White-Washing“ betrieben: Natürlich liegt der erfundene Purpose auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit und der allumfassenden Humanität. Mehr kommt nicht heraus, wenn speziell dafür eingerichtete Purpose-Taskforces fiebernd aktiv werden. Auch hier wird vor allem für die Tonne gearbeitet.
Kurz: Viele Unternehmen sind im Zuge der Einsparungen und der schleichenden Kündigungen der psychologischen Kontrakte zu – ich nenne sie kurz: „Ausreichend-Unternehmen“ verkommen, denen der gesunde Menschenverstand verloren ging. Früher sagte man stolz: „Ich arbeite bei XY!“ Antwort: „Da geht es dir gut.“ Heute sagt man nicht so gern: „Ich arbeite bei XY!“ Denn die Antwort könnte lauten: „Hm.“
In diesem Buch möchte ich einen weiten Bogen schlagen und möglichst verschiedene Sinnlosigkeitsherde in die Tonne treten. Diese finden sich vor allem in den gerade erwähnten Ausreichend-Unternehmen.
Im Großen und Ganzen destilliere ich so die Erkenntnis heraus, dass die Problematiken ihre gemeinsame Wurzel im Gesamtsystem oder in der sogenannten Unternehmenskultur haben. Es ist wie im Privatleben: Manche Menschen haben alles im Griff und bekommen vieles gleichzeitig hin, verdienen ihr Geld und führen ein gutes Leben. Andere quälen sich eher durch ihre Arbeit, die sie fast nur im „Ist-mir-egal“-Modus gegen Geld ableisten. Sie stolpern von einem Problem ins andere. Seien Sie stark und nehmen Sie es hin: Bei Unternehmen ist es wie bei Menschen. Da klappt in einem Unternehmen so ziemlich alles ganz gut, in einem anderen ist man mehr mit „hausgemachten“ Problemen und Unzulänglichkeiten beschäftigt.
Das ist ganz sicher weder schicksalhaft noch genetisch bedingt. Deshalb kann man hier gut fragen: Wie kommt man von einem Zustand in den anderen – und eventuell wieder zurück? Es wird wohl nötig sein, das Problem ganzheitlich anzuschauen und dadurch endlich seine Schwere anzuerkennen.
Es ist ja so: Ausreichend-Unternehmen werden oft von Ausreichend-Managern geleitet. Gerade so wie schlechte Lehrer fordern diese simplen Chefs einfach gute Leistungen von mittelmäßigen Schülern/Mitarbeitern, streichen unbeirrt Fehler an und verordnen Nacharbeit. Sie selbst fühlen sich für das grassierende Mittelmaß nicht verantwortlich, denn sie haben alle Mitarbeiter nach Kräften ermahnt und ausgeschimpft („Das Ergebnis ist inakzeptabel!“). Sie haben ihnen sogar die Gehälter und Boni gekürzt und eine Reorganisation der Hauptverwaltungstürschilder angestrengt – kurz: Ausreichend-Chefs geben sich alle Mühe, ihre Mitarbeiter durch eine straffe mittelmäßige Organisation zu motivieren. Sie erreichen damit aber logischerweise eher das Gegenteil.
So ein Ausreichend-Unternehmen ist im Durchschnitt abteilungsübergreifend ausreichend. Es hilft nichts, wenn Sie persönlich, lieber Leser, eine einzelne Quelle des Lichts darstellen. Sie müssen in Ihrer Firma schon eine größere Reichweite Ihrer Einsichtigkeit erzielen, nicht bloß an Ihrem speziellen Arbeitsplatz. Schauen Sie sich um! Nehmen Sie die grassierende Schwarmdummheit wahr? Gilt bei Ihnen das Motto „Humor ist, wenn man resigniert weiterwurstelt“? Oder ist die Stimmung angespannt still?
„Cum tacent, clamant“ sagt der Lateiner, „sie schreien, indem sie schweigen“. Für dieses Buch ändere ich das sanft. „Cum rident, clamant.“ Oder: „Schimpfen Sie, indem sie lachen.“
Dieses Buch enthält daher nicht viele Ratschläge, wie die Ausreichend-Lage nun konkret zu verbessern wäre. Nach solchen Ratschlägen werde ich immer wieder gefragt. Warum denn? Wenn ein Ausreichend-Unternehmen zu einem Befriedigend-Unternehmen aufsteigen will, ist der Weg doch klar: Es ist eine Ochsentour fällig, endlich das Richtige zu tun! Der Fokus auf das Überstehen der nächsten Prüfung oder des Quartalsendes hält im Keller fest. Das ist auch schon zu Schulzeiten so gewesen:
„Papa, frag mich mal diese hundert Englisch-Vokabeln ab. Morgen ist ein Test.“
„Was heißt ratio auf Deutsch?“
„Äh, äh, Moment, ah! Verhältnis.“
„Kennst du ratio, rationis aus dem Lateinischen?“
„Weiß nicht, Papa, das ist auch nicht wichtig, weil ich morgen einen Test bestehen muss. Frag weiter.“
„Hast du schon mal die Wörter Ratio oder rationell im Deutschen gehört?“
„Papa! Frag weiter Vokabeln, alles andere muss ich morgen nicht wissen!“
„Du lernst erheblich besser, wenn du die Zusammenhänge verstehst. Am besten entwickelst du ein Gefühl für europäische Sprachen.“ Das Kind reißt dem Vater das Buch weg.
„Ich gehe zu Mama, die macht einfach, worum ich sie bitte.“ Es verlässt den Raum. Der Test ist am nächsten Tag …
Sie wissen schon. So wie ein Kind arbeiten viele nur für morgen, ich meine, für das Quartalsergebnis. Weil das in Gefahr ist, werden Dienstreisen und Einkäufe gestoppt sowie alles Strategische verbannt. In den Meetings sitzen die Ausreichend-Mitarbeiter gelangweilt überdrüssig herum und versuchen, aufs Handy zu lugen; das sind sie aus dem Unterricht von damals gewöhnt …
Spüren Sie, wie hart der Widerstand gegen das Bessere ist?
Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung im Sinnlosigkeits-Zirkus, hoffe aber, dass Sie sich etwas empören. Oft sollten Sie auch ein Taschentuch parat haben und mitempfinden. Manchmal kann man Vergeblichkeit mit Achselzucken hinnehmen, oft macht sie wütend, ab und zu auch einmal traurig, wenn zum Beispiel eine alternde Diva sich unermüdlich um neue jugendliche Rollen bemüht – so wie die Dieselingenieure versuchen, noch ein bisschen besser zu werden. In allen Lebensphasen schaudern wir über die verlorene Liebesmühe: Innovationen misslingen, gut laufende Konzerne ersticken in komplexen Prozessen, alternde siechen viel zu lange dahin. So ist das ausreichende Leben. Aber ab jetzt: Keine Sinnfragen mehr, bitte!