DD194 „Das Ideale seh’ ich wohl, allein wie komm’ ich aus dem Mist heraus?“

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DD194 „Das Ideale seh’ ich wohl, allein wie komm’ ich aus dem Mist heraus?“  (Juni 2013)

 

Katharina Saalfrank, unsere Bundes-Super-Nanny, hat in Heidelberg ihr neues Buch über Erziehung vorgestellt, wie die Rhein-Neckar-Zeitung am 21. Juni 2013 berichtet. Köstlich! Das Buch beschreibt, wie eine ideale Erziehung aussehen könnte – natürlich anhand wundervoller Beispiele von Eltern-Kind-Beziehungen. Solche kamen aber in ihren TV-Sendungen niemals vor – nicht einmal annähernd. Und vor ihr sitzt ein Publikum, das konkrete Ratschläge gegen schreckliche Kinder erwartet.

 

Auf der einen Seite das Ideal – aber auf der anderen eine Welt in Trümmern, die kraftlos nach einem Rettungsanker sucht, und zwar am besten nach einem, der ohne großen Aufwand die gröbsten Probleme verschwinden lässt. Sebastian Riemer kommentiert: „Am Ende ist es schlicht ein Plädoyer für den gesunden Menschenverstand, für Verantwortung, Liebe, Authentizität und Respekt…“ Und er fragt sich: „Viele Worte, wenig Erkenntnis?“ und „Warum man es [das Buch] nach eineinhalb Stunden Metaebene noch lesen sollte, bleibt offen.“

 

Da versuchen Eltern erfolglos zu beherrschen, verlieren die Kontrolle und sind überfordert. Kinder versuchen gegenzuhalten und entwickeln Tyrannenqualitäten. Das ist die Lage. Und Katharina Saalfrank fordert nun eine echte Eltern-Kind-Beziehung, die absolut nicht Interessenterror bedeutet – von keiner Seite.

Ach, ich kann mir so richtig vorstellen, welches Gesicht unterlegen-geschundene Eltern dazu ziehen, die bestimmt gekommen sind, viele neue Techniken der „Stille-Treppe-Pädagogik“ zu erlernen und so der Erziehung endlich Herr zu werden.

 

Die Probleme entstanden, weil sie Erziehung als Machtausübung und Kontrolle verstanden hatten und damit keine Beziehung schaffen konnten. Das vorgetragene Ideal der Beziehung aber halten sie bloß für gesunden Menschenverstand und tun den als solchen ab. Und sie fragen hartnäckig, wie sie denn die Kontrolle wiedererlangen könnten, damit sie DANN und DAMIT eine gute Beziehung herbefehlen könnten. Da seufzt der Idealist und weiß, dass es zumindest heute keine wirkliche Brücke gibt. Die Grundannahmen der Erfolglosen über das Wurzelübel (z.B. „das Kind ist eklig“) sind falsch. Die Wurzel liegt sehr oft in ihnen selbst.

 

Ach, ich erlebe so etwas häufig. Ich beschreibe in meinen Keynotes, wie es gehen kann. Und dann bestätigen mir Zuhörer zwar eine „scharfe Analyse“ und „ja, es ist so“, bemängeln aber, dass ich bei den konkreten Vorschlägen quasi kneife und sehr vage bleibe, sodass sie von meinem Vortrag sehr wenig profitieren könnten. Lehrer: „Die Schüler haben aber kein Interesse! Was tun Sie dann?“ – Manager: „Wir haben aber kein Geld für Innovationen. Wie sollen wir vorgehen?“ – Oder: „Die Arbeit hier ist naturgemäß stumpfsinnig, wie sollen wir denn die Mitarbeiter begeistern?“ Oder: „Die Wähler wollen nun einmal Versprechungen. Wie können wir da regieren?“ Oder: „Die Terroristen hassen eben unser Land. Sie respektieren uns nicht. Da müssen wir uns alle bewaffnen.“ Oder: „Unsere Kinder hassen uns. Dagegen müssen wir hart vorgehen. Eltern haben Anspruch auf Respekt.“ Oder generell: „So ist die Realität vor uns nicht.“

 

Die Super-Nanny versuchte, Todesspiralen in solchen Beziehungen zu unterbrechen, denen die Abwärtskatastrophe gar nicht bewusst war. Die, die im Mist stecken, laufen in einem Hamsterrad und versuchen, schneller zu laufen, damit sie hinauskommen. Stehen bleiben und sich ruhig umschauen? Nie.

Die, die im Mist stecken, sehen das Ideal durchaus klar. Sie rennen aber in eine falsche Richtung, um es möglichst schnell zu erreichen. Da entfernt sich das Ideal in der Todesspirale, und sie rufen von weitem: „Was sollen wir tun?“ Und darauf antwortet jedes Ideal, wirklich jedes: „Kehre um.“ Die, die die schreckliche Realität vor sich sehen, haben sie nämlich irgendwann hinter sich gelassen.

 

Der Rhein-Neckar-Artikel im Internet 

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7 Antworten

  1. … dabei gibt es doch das eine oder andere gute Buch, was Wege aus solchen Teufelszyklen aufzeigt, z.B. Parenting the strong willed child (2010, Rex Forehand von Mcgraw-Hill Professional), Das Geheimnis gelassener Erziehung (2009, Holger Schlageter von Fischer Krüger), um einmal zwei Extreme zu nennen.
    Holger Schlageter läßt sich z.B. auch sehr einfach auf Führungsrollen übertragen 🙂

    Und in D wird ja auch eher der RTL Journalismus bedient als bei einer Beratungsstelle angerufen (i.e. professionelle Hilfe anzufragen)

    lg S. Scheid

  2. Lesen wir einmal ein Stelleninserat, was der Kandiat für ein Profile haben sollte: zielstrebig, kreativ, flexibel, ergebnisorientiert, hartnäckig, führungsstark etc.
    und wenn dann unsere Kinder solche Eigenschaften zeigen, entweder daheim oder in der Schule, dann wird ihnen das ausgetrieben oder wegtherapiert.
    Wir haben 4 Kinder gross gezogen, es war beileibe nicht immer einfach. Das Ziel war, sie zu selbstständig denkenden Menschen zu machen, halt mit XMV, auf Schweizerdeutsch „Xunder Menschenverstand“.
    Ein Satz aus einem Erziehungsbuch ist mir geblieben und der bringt es auf den Punkt „wir halten uns viel zu oft daran, die Unkräuter aus dem Lebensgarten unserer Kinder zu jäten, als die Blumen darin zu düngen“.

  3. Ich ziehe gerade zwei Kinder groß, echte Digital Natives, habe bewusst fast kein Erziehungsbuch gelesen, außer eines, Netzgemüse – Von der Aufzucht und Pflege der Generation Internet, meines Erachtens Pflichtlektüre für Lehrer, Erzieher und Eltern.
    Ich besinne mich oft auf das, was mir meine landwirtschaftliche Herkunft gelehrt hat: Was säen, und Geduld haben, bis das der Same aufgeht. In der Regel erntet man mehr, als man sät. Düngen, aber alle Nährstoffe im Gleichmaß, nirgends ein Mangel, der Mangel bei einem Nährstoff bestimmt das Wachstum, selbst wenn alles andere im Überfluss da ist. Nicht vorzeitig Ergebnisse (Ernte) erwarten, es dauert eben so lange wie es dauert. Beobachten, wie sich alles entwickelt und dann ggf. entscheiden und vor allem sofort loslegen mit den entschiedenen Maßnahmen (Nur so kann der Landwirt gute Ernte einbringen). Unkraut erst bekämpfen, wenn Schadschwellen erreicht sind. Alles andere stresst, kostet zu viel und bewirkt nicht viel. Also Leitplanken setzen und innerhalb der Leitplanken der Kreativität und der Gestaltung freien Lauf lassen. All das hat bisher prima funktioniert. Und nicht nervös werden, wenn die Schulnoten zu wünschen übrig lassen, aber das Kind sich für ganz andere Themen begeistern lässt. Doch das erfordert Mut und Geduld, und die Langmut, sich nicht von aufgeregten Mit-Müttern unter Druck setzen zu lassen oder ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen.

    1. Sehr schön beschrieben!
      Habe jetzt nach 30 Jahren Mutterdasein das letzte ‚Kind‘ durch die Schule – mir war von Geburt der kleinen Persönlichkeiten an klar, welche individuellen Geschenke ich da groß ziehe – und alle haben in ihrer Verschiedenheit Herz und Verstand ausgebildet.
      Die Ernte? Auf ins großartige Leben…

  4. „Am Ende ist es schlicht ein Plädoyer für den gesunden Menschenverstand …“

    Da muss ich dann doch ein bisschen mit meinen Augen rollen. Gesunder Menschenverstand garantiert leider nicht ein gutes Erziehungsergebnis. Der Weg zur Hoelle ist ja oft mit guten Vorsaetzen gepflastert. Ich kenne viele Eltern, die sich wirklich Gedanken machen, und all den guten Ratschlaegen folgen, aber dann kommt halt doch ein schreckliches Kind dabei heraus.

    Vielleicht sinnvoller waere, zusammenzutragen, was denn wissenschaftlich erwiesen ist. Zum Beispiel wie Po Bronson in seinem Buch „10 schockierende Wahrheiten über Erziehung“. Da kommen dann auch die Details zu Tage, wie genau man denn nun das Kind dazu bring die Wahrheit zu sagen (oder wenigstens oefter als vorher ..). In seinen Beispielen sind es oft recht kleine Unterschiede in der Kommunikation mit dem Kind, die dann das Ergebnis in eine ganz andere Richtung schwingen lassen (wie man ein Kind zum Beispiel richtig lobt und ermutigt).

    Mehr solche Vorschungsergebnisse zusammenzutragen wuerde zumindest den Eltern helfen, die sich bemuehen, aber dann Dank „gesunden Menschenverstandes“ genau das Falsche tun. Ein richtiges user manual eben.

    1. Was genau hat Gedanken machen und allen guten Ratschlägen folgen zwingend mit gesundem Menschenverstand zu tun?

      Was ist gesunder Menschenverstand für Sie?

    2. Ansprüche, „wie man ein Kind“ zu diesem oder jenem Verhalten bringt, haben nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun. Denn dieser sagt: „das Kind“ gibt es nicht! Kinder sind Menschen, Individuen. Und sämtliche Bücher, die behaupten, sie wüssten wie man „das Kind“ arbeiten mit unlauteren, manipulativen Methoden, die diese wunderbare Individualität nicht respektieren. Wer von seinem Kind Respekt erwartet, muss selber damit anfangen, ihm Respekt zu zeigen. So wie wir Eltern mit unseren Kindern umgehen, so werden sie später mit anderen Menschen umgehen.

      Ich weiss nicht, ob ich über den Satz „[…] aber dann kommt halt doch ein schreckliches Kind dabei heraus“ lachen oder weinen soll. Das Kind ist ja nie das Resultat der Erziehung. Das Resultat von dem, was wir in der Erziehungsarbeit säen, sehen wir in 20 oder 30 Jahren.

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