DD211: Angst vor der Frage nach der größten Schwäche (März 2014)
Fast alle Stellenbewerber haben Angst vor der Gretchenfrage nach ihrer Einschätzung ihrer eigenen Schwächen und Stärken. Die fast sichere Frage (verklausuliert oder offen) wird lauten: „Was sind Ihre größten Stärken und Ihre größten Schwächen?“ Da muss man sich wohl gebührend glaubhaft loben und nicht zu stark tadeln? Wie aber macht man das?
Im Internet wird vorgeschlagen: „Meine Schwächen? Ungeduld, Perfektionismus und Schokolade.“ Das ist eine neckische Antwort, sie ist vielleicht noch einigermaßen charmant, aber sie suggeriert nur, dass der Bewerber eigentlich sagen möchte, er habe gar keine Schwächen. Er weicht also aus. Komisch, die Frage nach der größten Stärke scheint im Vergleich nicht so sehr zu schrecken. Da bekommt man aber erschreckend stereotype Angaben: „Ich kann mich gut und schnell einarbeiten, was immer es ist. Ich löse gerne Probleme. Ich bin flexibel und unabhängig. Ich bin begeisterungsfähig und engagiert. Ich arbeite gut und sehr gern im Team. Ich kommuniziere gut und sehr gerne.“
Ich habe in Interviews solche Antworten immer gehasst. Dieses Gerede! Das gibt bei mir Minuspunkte in Authentizität und Offenheit, nein eigentlich nicht, ich lasse es als wohl notwendiges Vorgeplänkel über mich ergehen und warte, bis sich der Bewerber beruhigt hat.
Aber das Geschwalle nervt. Ich will deshalb einmal erklären, was eigentlich gefragt ist: Es geht darum, ob der Bewerber eine reflektierte Einstellung sich selbst gegenüber hat – ob er weiß, was er kann und was nicht; ob er weiß, was andere über ihn denken und von ihm halten. Hat er – im Jargon – eine realistische Selbsteinschätzung und eine vertretbar kleine Fremd-Selbstbild-Differenz? Oder im Sinne des Orakels von Delphi: Kennt er sich selbst? DAS ist das Wichtige. Wer sich gut kennt, hat eine wirklich gute Basis für die weitere Entwicklung.
Natürlich wollte ich immer GUTE Bewerber einstellen – nicht einfach Leute, die sich gut kennen! Aber der Zusammenhang zwischen den beiden Größen – Qualifikation und Selbsterkenntnis – ist ziemlich eng. Wer sich selbst kennt, bewirbt sich ja wohl auch an der richtigen Stelle. Er weiß, dass er da einen guten Platz haben wird. Am liebsten hätte ich nur Leute eingestellt, die eine konkrete und realistische Vorstellung haben, was sie in fünf oder zehn Jahren sein wollten – nebst einem guten Plan, dahin zu kommen. Ich hätte gerne Bewerber gehabt, die sich als gutes Startup selbst betreiben und ein Businessmodell und eine Vision von sich haben, die sie lieben. Solche, die einen Vorschlag mitbringen, all das, was sie erstreben, bei der Arbeit verantwortlich in den Dienst des Ganzen zu stellen, also das Eigene und das Gemeinsame zu einer guten Synthese zu bringen…
Na, darum würden meine Fragen kreisen, ist doch klar. Es geht mehr darum, was Bewerber aus sich machen können („Potential“) und was sie wohl mit Energie und Freude tatsächlich im Team verwirklichen werden. Es geht darum, sie persönlich-charakterlich nach ihren Motivationen einzuordnen. Wozu haben sie Lust, was verursacht ihnen Pein? Jedes Team braucht einen Rambo, einen Kreativen, einen Ordentlichen und so weiter. Das steht in jedem Buch. Warum antworten dann aber alle, sie seien in der Lage und willens, jede beliebige befohlene Rolle zu spielen? Habe ich je gesagt, ich will Einheitsroboter aus dem Bewerbungshandbuch? Ich zum Beispiel kann nicht gut schneidig befehlen, jeder merkt sofort, wie Leid mir die jetzt nötige Härte tut, und sie können noch verhandeln. Ich hasse das Führen von Tabellen, weil ich ohne sie besser arbeiten kann; genauer: ich brauche keine, warum sollte ich Listen pflegen? Ich habe zu viel Angst vor Konflikten. Ich walle zu stark auf, wenn ich zu von mir gefühltem Unsinn gezwungen werde, wenn mir Leute ungebeten Hilfe anbieten, die ich nicht brauchen kann; ich mag keine endlosen Meeting um immer so wenig… usw. Ich bin ja zuerst einmal Mathematik-Professor gewesen, da fällt es absolut nicht auf, dass ich alle diese Schwächen habe. Sie kommen beim Nachdenken über Mathe nie zum Tragen! Aber dann als Manager? Ich musste mich ganz neu kennenlernen, als ich die Profession wechselte. Meine Schwächen habe ich beseitigt, nein, sie sind immer noch da. Ich kann das, was ich nicht kann, dann doch, aber ich muss mich zu stark zusammennehmen oder anders ausgedrückt: Ich kann es, aber es kostet zu viel Energie und daher Überwindung. Die gefühlte Arbeitszeit ist beim „ungern Gespielten“ zu lang. Ich fühle mich ausgelaugt und ineffizient. Und da es doch bei Ihnen auch so ist, muss ich wissen, was Sie auslaugt und was in Ihnen Energie entfacht und wie viel davon.
So etwas Analoges würde ich gerne von Ihnen wissen, wenn sie sich bewerben. Ich möchte keine Selbstbewusstseinsdemonstration und auch kein bescheidenes Tiefstapeln, das auf Anerkennung größter Anständigkeit hofft. Tiefstapeln ist auch Lüge und eben nicht anständig. Ich möchte wissen, erstens: Wer sind Sie? Und zweitens: Wissen Sie das?
Ich dachte und denke immer, so sollte es eigentlich bei Bewerbungsgesprächen sein. Ich war dann bei offiziellen Personalinterviews dabei. Da fragen sehr Schwarzgekleidete dann tatsächlich manchmal (nicht immer, es gibt solche und solche, wie bei den Bewerbern) nach den Stärken und Schwächen und versuchen, die aus dem Bewerber detektivisch clever herauszubekommen, um sie in einer Liste einzutragen. Sie führen die gefundenen Schwächen vielleicht sogar triumphierend vor und schicken einen tief gekränkten Bewerber nach Hause, der die dann später vielleicht sogar angebotene Stelle empört ablehnt. Zu einem guten Bewerber gehört auch ein guter Personaler, denke ich bei mir… Aber die Personaler haben ja die Macht, sie müssen die Leitfäden für Interviews nicht so genau nehmen wie die Bewerber, die sie leider zu genau nehmen. Man braucht eben auch gute Leitfäden… Wenn Sie sich also Mühe geben, sich selbst zu kennen, schützt sie das noch nicht vor der restlichen Unbill in der Welt, aber es ist eine Menge getan…
Die größte Schwäche ist, sich nicht selbst zu kennen.
Die haben viele, aber sie kam als Antwort noch nie vor.
Wenn sie dereinst einer geben wird, versteht man ihn nicht.
27 Antworten
Ja – aber wo leben wir denn? Noch ist doch – zumindest aus der Wahrnehmung und Perspektive der Bewerber – maximale Anpassung gefragt. Menschen die selbstreflektiert sind und sich kennen sind einfach nicht so angepasst. Die stellen dann schonmal unbequeme Fragen oder geben gar Widerworte, wenn was total sinnloses verlangt wird. Dabei wollen doch alle nur, dass die Zahnrädchen im Getriebe sich mit möglichst wenig Widerstand drehen (möglichst reibungsarm und Wartungsfrei).
Da fällt es leicht den Stereotypen zu geben, statt Gefahr zu laufen aus dem Raster zu fallen….
Ich fänds ja schon mal nen (selbst)reflektierten Schritt, wenn die Personaler die Schwächen des Unternehmens kennen und nennen würden. Und überhaupt – wieso sind eigentlich Wert und Kultur nie Thema, und wird eher bei der fachlichen Tiefe bis zum Erdkern gebohrt.
Dagegen würd ich mich jetzt gerne mal bei Ihnen bewerben und vorstellen…. Man schauen, ob Sie meine Schwächen genauso sehen wie ich 😉
Danke für den Impuls und die Inspiration das nochmal zu reflektieren 🙂
Sie würden nach dem Selbstbewusstsein fragen..es ist aber klar, daß der Bewerber und die meisten Prüfer unter Selbstbewusstsein was anderes verstehen 😉
„Am liebsten hätte ich nur Leute eingestellt, die eine konkrete und realistische Vorstellung haben, was sie in fünf oder zehn Jahren sein wollten – nebst einem guten Plan, dahin zu kommen. “
Hallo Herr Dueck, sind Sie das wirklich, oder soll das Ironie sein? Der Prophet eines neuen, Flexibilität und Kreativität erfordernden Zeitalters – der hier verlangt, dass ein Bewerber zementierte Vorstellungen basierend auf der Vergangenheit hat???
Ich hätte Ihnen erzählt, was ich mit einer Büroklammer so alles anstelle, mich höfliche bedankt und Ihnen gesagt, dass ich in keinem Unternehmen arbeiten will, dass mich heiraten will.
VG
Meine ich nicht so…mehr, dass man eine „Vision“ von sich selbst hat, so etwas wie „in zehn Jahren auf dem Mond“, dass man etwas wirklich will und auch anstrebt…so wie man ein Startup betreibt. Das ist nicht zementiert, kann sich auch ändern, aber so einen fernen eigenen Wunsch wie „Meister in xy werden“ könnte man haben, oder?
Der Wunsch „Meister in xy werden“ kann schnell aufgegeben werden müssen und dürfen, wenn man plötzlich mittendrin Meister in „cxsdf“ werden soll.
Das ist jetzt indiskret, aber:
welche Vision hatten SIE von sich als Sie bei IBM anfingen?
Eine ehrliche Antwort auf eine solche Frage setzt leider vorraus, dass Bewerber die Stelle nicht unbedingt noetig hat und sich die Einstellung „wer mich nicht so haben will wie ich bin, bei dem moechte ich gar nicht arbeiten“ leisten kann. Gerade junge Menschen am Anfang ihrer Karriere haben dazu den Mut nicht, oder glauben noch sich genug aendern zu koennen, um es anderen Recht zu machen. Man erfaehrt ja erst mit der Zeit, welche Art von Sturm man trotzt seiner eigenen Schwaechen ueberstehen kann, ohne sich zu verbiegen.
So etwas habe ich einmal echt riskiert…man hat mich nach drei Jahren IBM im Assessment zum Manager gehabt. Frage: „Sie sind sicher bereit, jede Abteilung zu managen, auch mal sehr unangenehme oder in Situationen, wo es Härten gibt?“ Ich meinte, dass ich genau wüsste, dass ich JA sagen müsste, und dass ich auch weiß, dass sie das hier feststellen müssten. Ich würde aber nur etwas managen, woran mein Herz hängt, und wenn es dass nicht sein könnte, würde ich eben wieder Mitarbeiter. „Das ist so nicht gedacht…, das verstehen Sie doch? Manager ist Manager?“ Habe ich gesagt: „Das weiß ich, aber in meinem Fall machen wir das so wie ich das denke.“ – „Und Sie glauben, das wir das so tun?“ Habe ich all meinen Mut zusammen genommen und gemeint: „Es ist vernünftig so für alle, da machen wir es so.“ Das war das Ende des Gespräches. Sie haben mich ja genommen! Ich bin auch zwischendurch tatsächlich mal wieder Mitarbeiter gewesen…Ich will sagen: Man kann sich schon trauen, selbst zu sein, ich habe damals allerdings ziemlich gezittert – im Stressinterview – ja..
In der Schule lernen viele sich an das System anzupassen. Ein Bekannter erzählte mir stolz von seinem Sohn, der sich in der Sport-Gruppe „Golf“ bewusst „dumm“ anstellte (obwohl er seit Jahren Golf spielte). Ziel war es, dem Lehrer das Gefühl zu vermitteln, dass der Leistungsanstieg durch ihn kam und gute Noten vorprogrammiert waren.
Dieses Verhalten belohnt unser System. Der Vater ist stolz, der Junge hat gute Noten und er hat bewiesen, dass er sich anpassen kann. Gute Noten sind gut für die Studienplatzwahl.
Anpassung an das System ist der andere Pol zu „sich selbst kennen“. Selbst wenn jemand im Bewerbungsgespräch sich selbst offen und ehrlich darstellt, er sogar noch eingestellt wird (was schon unwahrscheinlich ist), dann stellt sich die Frage, ob der Chef, dessen Chef, die Kollegen damit umgehen können. Oder ob das System ihn kurzerhand wieder ausspuckt.
Letzten Endes stellen viele Chefs nur Mitarbeiter ein, die ihnen nicht gefährlich werden können. Die guten Chefs tun dies nicht.
Deshalb ist das Bewerbungsgespräch für die Auswahl des richtigen Unternehmens aus Sicht des Bewerbers noch wichtiger, als umgekehrt.
Ich bin auch der Meinung, dass es mit ein bisschen mehr Lebensreife und Selbstkenntnis einfacher ist, bei sich zu bleiben, bei seinen Stärken und Schwächen. Das Interessante ist aber, es hört nie auf mit der Selbsterkenntnis – wenn man sich bewusst wird, was man für einer ist. Man ist ja nie fertig mit der Entwicklung, es ändert sich also immer etwas. Dazu muss man sich aber beobachten, sich wahrnehmen, hingucken und -hören, fühlen und sehen. Das fällt vielen schwer. Entweder aus lauter Bescheidenheit, weil man sich ja nicht so wichtig nimmt, oder aus Angst vom dem, was dann entdeckt werden könnte, modrige Truhen mit unangenehmen Inhalt, Leichen im Keller. Allerdings findet man im Gerümpel der Jahre auch Kleinodien und Schätze, verschüttete Talente, vergessene Wünsche, die es wert sind, entdeckt zu werden. Da gilt es, uns zu antworten, auf Leichen und Truhen, Kleinodien und Schätze. Alles für wert zu erachten, denn die Leiche und Truhe haben uns auch genützt, sonst wären sie nicht da. Das nennt man auch Verantwortung für sich tragen, sich selber antworten. Wenn wir das anstreben und üben, sind wir auf dem besten Weg zu uns zu stehen, mit Stärken und Schwächen. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Unternehmen.
Danke für das Teilen Ihrer Gedanken, Herr Dueck.
Man kann sich schon trauen, selbst zu sein. Dito, im Grunde ist es die einzige Chance. Die „Blauen“ im Persönlichkeitstest haben diese Erkenntnis und sprechen sie auch aus, so wie Sie gerade eben.
Wir dürfen aber nicht von uns ausgehen, sondern vom Bewerber – vom Gegenüber. Also ist die Frage nicht, was erwarte ich, sondern was erwartet der Bewerber. Was kann ich als Führungskraft dazu beitragen, dass der Rahmen stimmt und der Mitarbeiter auf seine Art loslegen kann und sich traut, er selbst zu bleiben (mit allen Ecken und Kanten) und halte ich und die Kollegen das dann auch wirklich aus.
Dazu brauche ich als Personaler keine Interviewleitfäden, sondern 2-3 mit Ihnen zusammen erarbeitete, situative Interviewfragen, auf die der Bewerber sich nicht vorbereiten kann, weil Sie aus dem Arbeitsalltag kommen. Also zum Beispiel: „Sie arbeiten gerade konzentriert an xy. Herr Dueck stürmt in ihr Büro und gibt ihnen einen Postit mit einem Namen und einer Nummer und sagt im Hinausgehen – das könnte ein interessanter Kontakt für Ihr Projekt Z sein.“ Wie ist das für Sie?
Die Antworten fallen so überraschend aus wie ein bunter Blumenstrauß. Sie suchen aber eine Tulpe – also ist ihnen klar, was das gesuchte Verhalten ist und wie es sich zeigen könnte. Wäre das ein Ansatz für Sie?
Warum Stress verursachen, um die primitivsten Reaktionen zu überprüfen? Das ist so ein bisschen wie „Wir treiben Dich in die Ecke, um herauszufinden, ob Du es aushältst mit uns gemeinsam, einem Horrorunternehmen, das Dich schlecht behandelt, großartige Leistungen zu vollbringen. Menschen brauchen Sicherheit um Explorieren zu können. Einfach ausgedrückt, wer in Angst und Schrecken ist, kann nicht arbeiten, sondern sichert erst mal das Gelände.
Angstfreie Interview´s wären auch mal ein Ansatz. Zum Beispiel den Bewerber überraschen und mit ihr einfach mal um den Block gehen – idealer weise ins Grüne am Fluss entlang. Beim alternierenden Paargang kommen die Gehirnhälften in Schwung (außer sie gehen neben einem Kamel). Nach maximal 2 Stunden fällt die Fassade. Aufwändig? Demütigungen, Fehleinstellungen und Frühfluktuation sind aufwändig.
In diesem Sinne eine schöne Wochenmitte,
Grüße aus München,
Eva Lutz
Personalmanager & Trainer
Danke für diese weiterführende Antwort Frau Lutz!
„Wir dürfen aber nicht von uns ausgehen, sondern vom Bewerber – vom Gegenüber. Also ist die Frage nicht, was erwarte ich, sondern was erwartet der Bewerber. Was kann ich als Führungskraft dazu beitragen, dass der Rahmen stimmt und der Mitarbeiter auf seine Art loslegen kann und sich traut, er selbst zu bleiben (mit allen Ecken und Kanten) und halte ich und die Kollegen das dann auch wirklich aus.“
Sie zeigen das Bild eines Menschen auf und eine Haltung, die davon ausgeht, dass sich der Bewerber für eine Stelle engagieren und einbringen will mit seinen ganz persönlichen Möglichkeiten und damit zum Gelingen des Unternehmens beitragen möchte, unabhängig von seinem Bedürfnis, auch noch gutes Geld dafür zu bekommen.
Das hat für mich etwas von Wertschätzung und einem Menschenbild, welches den Bewerber als bereichernd ansieht.
„Angstfreie Interview´s wären auch mal ein Ansatz. Zum Beispiel den Bewerber überraschen und mit ihr einfach mal um den Block gehen – idealer weise ins Grüne am Fluss entlang. Beim alternierenden Paargang kommen die Gehirnhälften in Schwung (außer sie gehen neben einem Kamel). Nach maximal 2 Stunden fällt die Fassade. Aufwändig? Demütigungen, Fehleinstellungen und Frühfluktuation sind aufwändig.“
Für eine fruchtbare und auf viele Jahre angelegte Zusammenarbeit sollten 2 Stunden pro Bewerber schon drin sein, auch wenn es mehrere sind. Dass spätestens nach dieser Zeit die Fassade fällt, habe ich selber auch schon feststellen können. Auf Dauer zahlt sich das aus, indem es tatsächlich Demütigungen, Fehleinstellungen und Frühfluktuation erspart.
Aus dem konventionellen Kontext ausbrechen und einfach mal ein anderes und idealerweise entspannteres Setting wählen (Spaziergang o. ä.) zeigt m.E. auch eine Form des Respekts gegenüber dem Bewerber. Unter anderem auch deswegen, weil der Personaler gar nicht umhin kommt, sich selber auch zu „zeigen“, was wiederum den Respekt des Bewerbers sichert, denn der hat nicht das Gefühl, dass nur er/sie sich „offenbaren“ muss! Paradoxerweise wahren die Beteiligten ihr Gesicht, obwohl sie selbiges doch gerade zeigen.
Hier zeigt sich dann, ganz praktisch, wiederum das wertschätzende Menschenbild.
Wer das nicht kann oder will sollte besser bei der Konvention bleiben.
Mit freundlichem Gruß aus dem sonnigen Lipperland,
vom Fuße des Hermannsdenkmals,
Peter Lauhöfer
Emotiologe/Heilpraktiker für Psychotherapie
Meine grösste Schwäche? Dass ich bei einer solchen Frage lüge wie gedruckt.
Selbstreflektierte, die wissen wollen, wie das Unternehmen tickt und ob es zu ihnen passt, können doch ihrerseits auch Fragen stellen. Etwa so: http://intrinsify.me/10-clevere-fragen-fuers-bewerbungsgespraech.html
Warum fragen Sie dann nicht direkt, sondern verpacken die Frage, z.B. wie genau ein letztes Projekt war, welchen Betrag genau der Kandidat daran hatte und was er zukünftig anders machen würde?
Ein Bewerbungsgespräch ist ein Verkaufsgespräch zur eigenen Person. Welcher Autoverkäufer verrät denn vorab alle Mängel?
Das Auto verbraucht zu viel Spritt (ich arbeiter eher zu langsam), das Auto klappert später (ich streite mich mit Kollegen), Reparaturen sind teuer (ich lerne Neues nur widerwillig), Bremsen machen oft Probleme (ich mag keine ständigen Veränderungen), …
Wie bereits geschrieben spielen Unternehmen auch nicht mit offenen Karten und eventuell bekommt eher der extrovertierte Blender die Stelle, als der zurückhaltende Profi, der es nie gelernt hat sich selbst zu verkaufen. Also dem Personaler möglichst wenig Angriffsfläche bieten.
Ich bin ein Universalwerkzeug, kann alles, mache alles, habe keine Schwächen.
Danke für die Schützenhilfe zum besseren Reflektieren! Ein klassischer Dueck: jetzt, wo Sie’s sagen, stimme ich vorher schon gerne zu.
Reflektieren hört auch nicht auf.
Das geniale am Älterwerden: ab und zu nehm‘ ich eine kleine Auszeit und belächele, wieviel meines Weltbilds von vor zehn Jahren – intern und extern – hinfällig geworden ist.
Meine subjektiv beste Antwort in einem Bewerbungsgespräch:
F: „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren“
A: „Auf einer Insel, unter einer Palme mit einem Cocktail in der Hand.“
Der Abteilungsleiter und ich lagen uns dann in den Armen vor lauter Lachen, während der Personaler etwas verquollen daher schaute.
Das Resultat vor zehn Jahren: ich habe den Job nicht gekriegt.
Der Witz nach zehn Jahren: ich lebe derzeit wirklich auf einer Insel mit Palmen, ohne dass das je meine „Vision“ war.
Meine schleimigste Antwort auf die Stärken/Schwächen Frage: meine Stärken sind gleichzeitig meine grössten Schwächen. Rhetorisch nett, mit null Reflektion.
(Kam gut bei einigen Personalern an)
„Meine schleimigste Antwort auf die Stärken/Schwächen Frage: meine Stärken sind gleichzeitig meine grössten Schwächen. Rhetorisch nett, mit null Reflektion.
(Kam gut bei einigen Personalern an)“
Warum schleimig? Genau so ist es doch – wenn man sich ernsthaft mit seinen Stärken und Schwächen auseinandersetzt!
Es bleibt allerdings wirklich rethorisch nett, wenn Sie Ihre Aussage dann nicht mit Inhalten füllen können. War das seinerzeit so?
So schlecht scheinen die Personaler gar nicht gewesen zu sein; anscheinend haben sie nicht genügend nachgehakt!?
Mit freundlichem Gruß,
Peter Lauhöfer.
Also mein Chef benennt in unseren regelmäßigen Feedbackgesprächen meine Stärken recht gut, aber eben nicht meine Schwächen. Ich kenne die schon, aber wieso soll ich ihm das unter die Nase reiben?
Als ich mich damals mit über 10.000 Stunden Programmierungerfahrung als Softwareentwickler bei einer Bank beworben habe, hatte ich denen glaubhaft bekundet eine mit bis dahin unbekannte Programmiersprache zu beherrschen. Ich hatte damals ca. zehn Sprachen von Assembler über funktional und objektorientiert codiert und war mir sicher innerhalb kürzester Zeit mir eine weitere anzueignen. Als ich dann die Zusage für die Stelle hatte, habe ich eine Woche gebraucht und es ist dem Arbeitgeber nie aufgefallen. Hätte mich die Bank eingestellt, wenn ich ihr gesagt hätte: „kein Problem, ich lern das in ein paar Tagen“?
Das hier gefiel mir gut:
„Die gefühlte Arbeitszeit ist beim „ungern Gespielten“ zu lang. Ich fühle mich ausgelaugt und ineffizient. Und da es doch bei Ihnen auch so ist, muss ich wissen, was Sie auslaugt und was in Ihnen Energie entfacht und wie viel davon.“
Tja, aber da haben wir das Problem: In dem Moment, wo Sie als Personaler erkennen, dass ich keinerlei Interesse mehr an irgendeinem Beruf habe und alles (mit dem nötigen Ernst und der erforderlichen Sorgfalt natürlich, keine Frage, aber eben ohne jeden Enthusiasmus) mache, stellen AUCH SIE mich nicht mehr ein.
Sind vor doch ehrlich. So gut wie jeder geht nur arbeiten, weil er das Gehalt braucht. Der Job interessiert praktisch niemanden. Personaler und Chefs aber suchen Leute, die abends nicht heim wollen und morgens schon um 5 Uhr aufstehen weil sie es kaum erwarten können, ins Büro zu kommen und 16 Stunden lang wie auf Speed und XTC zu arbeiten, weil das alles sooooo spannend, aufregend und interessant ist.
In Wahrheit aber sieht man in dutzende halbtote Augenpaare, wenn man morgens mit all den anderen Drohnen zum „Durchquälen“ in die Büros fährt. Praktisch jeder sagt am Montag „Ach, wäre doch schon Freitag“ und meint damit „lieber eine Woche näher zum Tod als diese Woche durchleben zu müssen“, denn offensichtlich ist für fast jeden ein Arbeitstag ein Tag, an dem man älter wird ohne gelebt zu haben.
Und so sieht es eben aus. Die allermeisten Jobs sind, wie Sie schreiben „ungern Gespieltes“. Was soll man also bei einem Bewerbungsgespräch sagen? „Wo wollen Sie in 10 Jahren sein?“
„In Pension. Oder als Lottomillionär auf meiner Dachterrasse, aber nicht hier, eigentlich wäre ich jetzt auch schon lieber woanders aber ich brauche verdammt noch mal ein Gehalt, sonst fliege ich aus meiner ungeheizten Wohnung.“
Sollen wir Drohnen _so_ antworten, ist das die Ehrlichkeit, die uns weiter bringen würde? Ich denke nicht. Es bekommen eben nur die eine Chance auf Gehaltsbezug, die so tun, als würden sie das „ungern Gespielte“ freudig tun.
Meine größte Schwäche ist übrigens meine unbedingte Ehrlichkeit. Ich lüge nicht. Und das empfinde ich als meine größte Stärke. Was zu meiner zweitgrößten Schwäche wird. (Das Empfinden…)
Hallo,
meine pers. Erfahrung der letzten Jahre – in denen ich mich recht oft auf dem Bewerberstuhl befunden habe.
Meine offene Art und meine Selbstreflektion hat an mancher Stelle überrascht, war aber in jedem Fall hilfreich – auch um das Gegenüber zu verstehen und einzusortieren.
Die Gespräche, die ich mit Bewerbern führen durfte liefen ähnlich ab, da ich das Thema „Schwächen und Mißerfolge“ offen angesprochen habe und das volle Spektrum der menschlichen Reaktionen ernten durfte. Meine perspektivische Frage hat immer den Zeithorizont von 3 Jahren – mehr kann man einfach nicht vorherplanen…..
Bei der Aufzählung Ihrer Schwächen hab ich mich lächelnd zurück gelehnt und zustimmend genickt.
Mit einem Wort, lieber Gunter, die Beobachtungen decken sich und lassen mich weiter munter in die Zukunft schauen,
Karl
Als junger Mitarbeiter unter 30 Jahren fragt man sich, wieso nahezu alle älteren Kollegen nur ihren Job machen und die meisten bereits lange innerlich gekündigt haben. Man ist da meist noch rebellisch und möchte etwas verändern, rennt gegen Wände.
Mit Anfang 30 lassen sich dann viele über die in Aussicht gestellte Karriere zu mehr Leistung und Überstunden treiben. Man muss nur besser sein, um höher zu kommen. Und die ständige Veränderungen werden als persönliche Chance begriffen, in der man sich beweisen kann. Die alten Lowperformer würde man am liebsten alle rauswerfen.
Mit 40 reift dann die Erkenntnis, dass man sich hat verheizen lassen. Die andauernden Veränderungen werden als nervig empfunden und ständig gibt es immer wiederkehrende Initiativen unter anderem Namen. Man überlegt auszusteigen, noch mal ganz neu zu starten. Aus der Karriere wurde letztlich nicht, denn man konnte und wollte sich nicht ständig verbiegen.
Ab 50 hat man das Ziel vor Augen. Die ganzen Veränderungen interessieren einen nicht mehr. Eventuell ergibt sich ja noch die Möglichkeit vorher mit goldenem Handschlag auszusteigen. Ein Jobwechsel kommt nicht mehr in Frage, denn man hat gelernt mit so wenig wie möglich Aufwand nicht aufzufallen und schwimmt einfach mit. Es gibt ja die jüngeren, die wollen und sollen sich beweisen.
Ab 60 muss man dann erkennen, dass alles anders läuft als früher zu guten alten Zeiten. Die Jungdynamiker haben das Ruder übernommen und meinen mit neuen Methoden würde alles besser. Es ist egal, sollen die nur machen. Was hat im Berufsleben erreicht, was bleibt?
Ich glaube, die Jahreszahlen muß man etwas nach oben rücken, aber ansonsten ein gängiges Bild.
Als junger Mensch ist man sowieso begierig nach intensivem Leben, wodurch auch immer.
„Es geht darum, ob der Bewerber eine reflektierte Einstellung sich selbst gegenüber hat – ob er weiß, was er kann und was nicht […]“
Was ich nicht weiß oder kann ist eine Schwäche? Das wird ein langes Gespräch, denn das ist unendlich viel.
Was brauche ich, um wirksam zu sein? Sie sind am besten, wenn Sie etwas managen woran Ihr Herz hängt? Okay. Ist es eine Schwäche, dass Sie nicht zur Gruppe der leidenschaftslosen Management-Söldner gehören? In meinen Augen nicht.
Vielleicht führt nicht nur die „Angst“ vor der Frage zu unbefriedigenden Antworten, sondern die Eignung der Frage selbst.
Es ist möglicherweise so, dass heutzutage der Anteil der Fiktion und Simulation, der Konstruktion und Fabrikation, der Inszenierung und bloß symbolischen Darstellung, des ‚impression managment‘ und der Scheinheiligkeit im beruflichen Leben (… und anderswo) zu wachsen scheint.
Wir handeln, als ob wir hinreichend gute Gründe hätten, zum Handeln, weil wir hinreichend gute Gründe haben, und seien es nur gute Gründe, das Spiel des ‚Als-Ob‘ zu spielen. Alle spielen das ‚Als Ob‘, da es scheinbar wirkungsvoll ist.
Und in diesem Spiel ist die Unterscheidung zwischen Fiktion und der Welt des Scheins, der Lüge und der Show immer prekär.
Werte wie z.B. Loyalität, Vertrauen, Fairness, Hilfe, Wissen sind solche Güter, die eben in dem herrschenden System nur sehr selten ‚einen Wert‘ haben, da sie sich der Messbarkeit entziehen.
Das ‚Eigentliche‘, also der Kern des Gewünschten, Erwarteten, Ersehnten, Bestellten, Geforderten, Verlangten, wird damit aber nicht erreicht.
Warum?
Weil in unserem System nur gilt was gemessen werden kann. Das ‚Eigentliche‘ entzieht sich jedoch der Messbarkeit.
Je mehr wir messen, je detaillierter die Ziele ‚heruntergebrochen‘ werden, umso mehr verfehlen wir das ‚Eigentliche‘. Das erzeugt eine Spirale, deren Ende niemand wirklich haben will, das aber aufgrund der ‚Messmania‘ unausweichlich scheint.
Hallo Herr Dueck, das ist mal etwas zum Anfassen, und ich stimme 89%ig zu. In letzter Zeit haben Sie sich eher abgehoben geäußert. Vielen Dank, dass Sie wieder konkreter werden.
Gruß TB
Ja, Herr Schnurrer – und das führt sehr schön wieder zurück zu Herrn Dueck. Die Fiktion und Inszenierung hat er mal „Topimierung“ genannt. Um das „Eigentliche“ ist er immer bemüht, und die „Messmanie“ war auch schon sein Thema. Ihr Beitrag hätte von ihm sein können.
Danke „für die Blumen“ Herr Niggemann.
Es ist fast genau so, wie Sie vermuten. Zu den „Anleihen“ von GD kommen dabei noch welche von Günther Ortmann aus dem Buch „Als Ob“, in dem dieses Phänomen detailliert dargelegt wird. Dieses Buch ist m.W. nur noch als eBook bei Amazon erhältlich.