DD213: Uiih-Juiih-Juiih – mein Aggression Blocking System (April 2014)
Wie schon früher gesagt: ich war sehr, sehr schüchtern. Ich hatte insbesondere immer ein Problem damit, offensichtlich unverschämte Ansprüche von anderen abzuwehren. Da kommen doch Leute ohne einen Schimmer von Legitimation und wollen etwas Freches von mir, als wäre ich ihr Diener! Ich kann in einer solchen Situation gar keine logischen Argumente auspacken, weil eigentlich keine nötig sind und auch nicht erwartet werden. Ich soll einfach „spuren“. Mir blieb meist nur die Spucke weg.
Ich könnte mich weigern, aber das würde einen schönen Zirkus geben – das fürchtete ich sehr. Lohnte sich das, wo ich doch offenen Streit so sehr mied? Ich spurte dann doch wieder einmal, war aber sehr finster gestimmt, zu einem guten Teil auch gegen mich selbst, weil ja bei offensichtlichem Versagen so etwas wie Selbsthass einsetzt… Es ist diese absolut starke Verblüffung, die mich das Unverschämte oder Unbescheidene gegen meinen eigentlichen Willen dulden lässt! Ich fühle mich so ohnmächtig wie andere bei guten Pointen, zu denen ihnen nicht so schnell etwas Geistreiches einfällt (erst im Fahrstuhl oder im Auto nach Hause). Ich weiß nicht, was ich der Waffe „unverschämt“ entgegensetzen soll, weil ich beim Wehren zu sehr die augenblickliche Gegengewalt fürchte.
Raymond Fein hat mir einen Tipp gegeben und mir bei einem Workshop das Zauberwort verraten. Es heißt: Uiih-Juiih-Juiih. Immer, wenn jemand etwas Ungehöriges tun würde, sollte ich „Uiih-Juiih-Juiih!“ sagen. Dann würde der andere stutzen oder vielleicht sogar lächeln. Denn die Unverschämten seien so eine Art verspielter Löwen, die ein bisschen raufen wollten. „Uiih-Juiih-Juiih!“ aber erkennt ihre Stärke an und unterbricht oder verschiebt das Raufen für eine kleine Weile. „Uiih-Juiih-Juiih!“ zwingt das geplante Raufen ganz explizit auf die Metaebene: „Wie stehen wir eigentlich zueinander?“
Ein Anwendungsbeispiel: Als ich als Mitarbeiter eines großen IT-Konzerns einen Kunden besuchte, eröffnete dieser mir zur Gesprächseröffnung ganz brutal und endgültig ausgedrückt, er würde mir erst dann Aufträge erteilen, wenn ich meinerseits einige Produkte seines Konzerns für den privaten Gebrauch beschaffen und nützen würde. „Sonst können Sie gleich wieder in Ihr Büro zurückfahren!“ In einer solchen Lage war ich immer ziemlich hilflos – wie lässt sich das Gespräch weiterführen, wenn es gleich mit offenem, unfairen Krieg beginnt? Weshalb sollten wir überhaupt anreisen? Ich nahm mein Herz in beide Hände und sagte mit glänzend bewundernden Augen: „Uiih-Juiih-Juiih!“
Er stutzte – das hatte Raymond Fein genau vorausgesagt. Ich hatte jetzt eine Sekunde, um nachzudenken, wie ich reagieren sollte. Ich schaute ihn einfach cool an. Was würde er jetzt entgegnen? Er deutete auf den mit mir erschienenen und neben mir sitzenden Vertriebsbeauftragen meiner Company und sagte etwas herablassend: „Der da hat das genau nach meiner Aufforderung gemacht!“ Ich blickte zu meinem Kollegen hinüber und sagte: „Uiih-Juiih-Juiih!“ Und dann, verwundert schauend: „Echt? Warum?“ Eine Sekunde Schweigen – ich fing mich langsam wieder und meinte: „Kaufen Sie denn jetzt viel mehr bei uns, bloß weil er Ihnen gleich gehorcht hat?“ – „Nein, natürlich nicht.“ – „Aha“, sagte ich, „dann lohnt es sich also nicht. Also ein NEIN von mir.“ – Er sagte: „Dann wollen Sie riskieren, ohne Auftrag heimzufahren?“ Ich sagte: „Uiih-Juiih-Juiih!“ und fügte hinzu: „Ich bin sehr teuer als Berater – und Sie müssen doch schauen, dass Sie Ihr Geld nicht für irgendwen ausgeben. Für einen Knecht doch sicher nicht. Sie wollen doch einen, der Ihnen etwas beibringt, oder?“ So ging es eine Weile sehr verschärfend weiter… und dann sprachen wir normal über Aufträge. Das Raufen vorweg muss wohl bei manchen sein – sie wollen wahrscheinlich feststellen, wer sich wie sehr respektiert. Wer dabei kneift, wird nicht respektiert. „Uiih-Juiih-Juiih!“
Es wirkt! Probieren Sie es aus! Und wenn ein unartiges Kind brüllt, es will ein zweites Eis – dann sagen Sie mit leuchtend begeisternd wertschätzenden Augen „Uiih-Juiih-Juiih!“
Sie können es abwandeln und „Der Löwe hat gebrüllt und die Wüste zittert“ sagen, immer sehr begeistert, als würden Sie einer großartigen Darbietung Applaus spenden. Genau auf diese Respektsbezeugung kommt es an. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal XY kennenlernte, eine echte Löwin. Sie präsentierte vor Fachkollegen. Einer unterbrach sie und gab einen – na ja – „Ratschlag“. Die Löwin fuhr die unsichtbaren Krallen aus, man fühlte es, dass die Löwin gekränkt war. Sie sagte ausgesprochen schneidend und stolz (gleich ist Krieg!): „Halte ich die Rede oder Sie?“ Ich saß im Publikum und sagte: „Uiih-Juiih-Juiih!“ Nein, ich glaube, ich sagte „Großes Kino!“ oder so etwas. Ich habe nur noch ihre Reaktion wie ein Video vor Augen: Sie lächelte mir zu! Sie hatte, so könnte es gewesen sein – oder war es so? – einen sehr roten Löwenschal um und schlug ihn wie ein Löwe seine Mähne nach hinten. Da lächelte sie mir noch einmal zu und redete ruhig weiter. Der Respekt war wieder da.
„Uiih-Juiih-Juiih!“ ist mein Aggression Blocking System (ABS) geworden.
19 Antworten
Uiih-Juiih-Juiih!
Werde ich probieren! Erinnert mich an den Zirkus der unser Leben gut darstellt. Da gibt es den Dompteur, die Dressierten, die Zuschauer, die staunend die Artisten bewundern und ……den Clown! Sagte der nicht auch manchmal auch uiih – juiih – juiih?
Kann ich bestätigen. Funktioniert. Bereits mehrfach praktiziert ohne was von Löwen zu ahnen 🙂 Bange machen lassen gilt nicht.
Wundervoll. So auf den Punkt gebracht. Danke!
Tolle Vorgehensweise – da scheinen Sie ja einen guten Weg für den Umgang mit Löwen gefunden zu haben.
Ein gepflegtes, wertschätzend-freundliches „Fuck you!“ wäre wohl die passendere Antwort gewesen. Aber wahrscheinlich hätte ich mich einfach nur lachend auf dem Boden gewälzt. Ist ja auch zu komisch: Kaufen sie erst bei uns, bevor wir bei ihnen kaufen. Die müssen’s echt nötig haben.
Wenn Sie zB Vertriebsbeauftragter für einen Großkunden sind (und Ihr Gehalt nur nach dem Umsatz mit genau diesem bekommen), möchte ich mal Ihr lachendes Wälzen sehen, das ein halbes Jahresgehalt kostet. Es gibt Lagen im Leben, wo man miteinander auskommen muss und in denen Sie sich nicht Ihre Gegenüber aussuchen können.
Das ist ganz toll beschrieben.
Und mir aus der Seele: ich kenne das, dieses Versteinern bei Zumutungen, leider sehr gut.
Das Uiuiui transportiert eine Gelassenheit – nicht so sehr Mut – die man aber auch erst mal zusammenbringen muss. Das ist in einem Zustand innerer „Katatonie“ manchmal gar nicht so einfach.
Es wäre wünschenswert, wenn Steinmeier, Kelly, Putin, Lawrow usw. damit im Ukrainekonflikt auch einen Schritt weiter kämen. [Mitnichten, da juckt vorort niemanden das Uiih-juiih-juiih der „Mächtigen aus Genf“]!
Mir scheint, dieses „klein klein, Sandkastengehabe“ was ich in der Kindheit auch erlebt habe (Das ist mein Bagger! – alternativ Prügel – was bei Kindern sicher auch heute noch im Sandkasten geübt wird – das Recht des Stärkeren?-) sollte keine Maxime der Gestaltung des Lebens sein.
Allerdings muss man sich den „Realitäten“ natürlich stellen. Das Uiih-Juiih-Juiih kann manchmal helfen, aber nur, wenn einem in der gewonnenen Zeitspanne was „besseres“ einfällt, wie im Beispiel von GD beschrieben. Im „Micro“ mag das mal klappen, aber im „Makro“ ist das auch nur eine Metapher, ein „Als ob man das ja sowieso besser könne als das Gegenüber“. Hier wird einfach die Kontingenz im Sinne des „es hätte besser kommen können“ bemüht, ohne das – ex ante – wissen zu können. Wenn es „um die Wurst geht“ sind solche Kinkerlitzchen kaum hilfreich, im täglichen „Rumwurschteln“ kann man damit evtl. Punkte sammeln.
Da in unserem Schulsystem „Das Recht des Stärkeren, Schaueren, Cleveren, Scheinheiligen“ befördert wird, brauchen wir uns nicht darüber wundern, dass die Ergebnisse so ausfallen. [Alle Bänker, bayrischen u.a. Finanzpolitiker (Alpe Adria), Lobbyisten, etc. haben Abitur und akademische Ausbildung].
Nach Werten wie Anstand, Loyalität, Solidarität, Gemeinsinn, Bescheidenheit, Wohltätigkeit, Respekt, Würde, usw. fragt doch „keine Sau“ mehr.
Uiih-Juiih-Juiih!
Sorry, Kelly ist natürlich Kerry (USA) gemeint
Glückwunsch zu diesem schönen „Trick“, auch wenn er nicht auf Herrrn Duecks Mist gewachsen ist. Ein kurzer analytischer Beitrag (obacht mit nem Haufen NLP-Jargon für die Allergischen):
Im Kommunikationsjargon nennt man das „sleight of mouth – pattern“ – da steckt ne Menge drin: Musterunterbrechung (des garstigen sich-auf-die-Mütze-haun-Musters), pacing-leading
reframing (Bedeutungsgebung des Brüllens wird verändert), Metakommunikation (Beziehungsebene wird unterschwellig thematisiert), Ankern (der Uii-juii Spruch weckt beim Sprecher positive Emotionen und Selbstwirksamkeit), Wechsel der Rangdynamik (ins symmetrische), von Win-Loose zur Möglichkeit eines Win-Win.
Tolles Beispiel, kann in Lehrbuch aufgenommen werden und wenns dann auch noch hilft!
…aber was wenn unsere Kinder das plötzlich auch lernen, wenn wir als Eltern (natürlich zurecht) mal Brüllen…uii juiii juiiii
Ausgiebig genutzt wurde das „Uiih-Juiih-Juiih!“ aber schon vor über 30 Jahren von einem anderen 😉 http://youtu.be/LB9wDZLpVX4
Oh wie entsetzlich! Das war mein erster und auch zweiter Gedanke, als ich den Artikel las. MUSS man da mitmachen?
Im übrigen kann ich garnicht recht glauben, daß das immer funktioniert. Kann sein, daß man mit „Uiih-Juiih-Juiih“ rausfliegt (Was maßt der sich an, mit seinem Kinderreim)?
Hui, Wui, da fürchten wir uns aber! So hieß das bei uns. Solche Situationen kommen manchmal vor…
Es gibt viele Kunden, es gibt viele Lieferanten so ist die Welt.
Hörst sich nach Versicherung an? Oder so ähnlich. Die denken so schlicht.
Ich hab mal in einem Seminar gelernt, daß es in menschlichen Gruppen im Unterbewußtsein, wie auf dem Hühnerhof zugeht. Es muß erst jedes Huhn seinen Rang in der Hackordnung finden, bevor eine vernünftige Arbeits- und Kommunikationweise funktioniert. Uiih-Juiih-Juiih verweist einen aggressiven Akteur auf einen mir untergeordneten Rang in der Hackordnung. Natürlich völlig unbewußt.
Das funktioniert tatsächlich.
Ich gebrauche manchmal ein etwas übertriebenes „Oooha!“, gelegentlich gefolgt von Titel und Namen des Löwen, etwa im Loriot-Stil, „Oooha, Herr Doktor Klöbner“. Den eigenen Namen zu hören, in welchem Ton auch immer, verlängert selbst bei ausgebufften Profis die Schweigeminute.
„Uiih-juiih-juiih“ dürfte noch wirksamer sein. 😉
Schon bei Birkenbihl gehört. Die sagte, dass ihre Mutter immer „Ja wie find‘ ich denn das!“ sagte. „Uiih-juiih-juiih“ gefällz mir sehr viel besser. Danke Herr Dueck.