DD217: Sie verstehen nicht – sie erleben alles neu (Juni 2014)
Da haben sich an der Uni einige Bachelor-Kandidaten entrüstet: „Wir haben so viel Stoff gelernt – und nun kam es in der Prüfung gar nicht dran! Wozu haben wir uns jetzt den Kopf zugemüllt?“ Bald danach haben sie ihr Wissen vergessen, weil sie es nur für den Zweck der Prüfung lernten. Sie haben sich den Stoff nicht angeeignet, nicht zu eigen gemacht und nicht verstanden in dem Sinne, dass sie den neuen Stoff im Kontexthorizont des alten Wissens eingebettet haben.
Das Wissen soll eigentlich später zu etwas dienen. Wer zum Beispiel lernt, dass man Dankbarkeit dem Anderen zuliebe ausdrücken soll und das durch ein „Danke!“ gut verständlich so tun kann, bettet das Dankbarsein, Höflichkeit und Achtsamkeit mit dem Wort „Danke!“ in sein ganzes Leben tief ein und verankert es dort ganz fest. Ich habe einige Erfahrung mit lieben Menschen, die an Alzheimer litten. Sie vergaßen all das viele nichtintegrierte Spezielle zuerst, konnten aber noch lange Zeit im Allgemeinen reden. „Wie geht es Ihnen, alles gut? Schönes Wetter heute, ich gehe spazieren, heute Abend gibt es gutes Essen.“ Viele Nachbarn haben den Alzheimer lange nicht erkennen können. „Was? Echt? Schrecklich! Glaube ich nicht! Redet doch ganz normal!“ Die Frage, was es genau zum Essen gegeben hätte und nach welchem Rezept genau – die wäre ja abgewimmelt worden. Es war ein erstaunlicher Prozess des Vergessens. Das quasi einmalig Erlernte fiel sofortiger Vergessenheit anheim und konnte auch nie mehr einmalig erlernt werden. Das Internalisierte und Praktizierte blieb länger, „es saß fest wie Schillers Glocke“, solches blieb sehr viel länger, und zum Schluss als Letztes „Danke. Bitte. Guten Tag.“
Ich möchte ja einmal wissen, wie Alzheimer bei Leuten abläuft, die immer nur für die Prüfung lernten, die jede Minute des Lebens neu erfuhren und eben nicht allmählich einen großen Kontext aus gut Verstandenem ausbilden. Kurzzeitgedächtnisalzheimer für fragile Frischwindhirne.
„Hallo, wie speichert man einen Text in Word?“ – „Klick dort oben!“ – „Aha! Gut, das merke ich mir. Ach, Moment, hallo! Wie speichert man jetzt aber eine Präsentation?“ – „Klick da!“ – „Gut, danke!“ – „Hör mal, man speichert überhaupt alles immer ähnlich, soll ich dir einmal einen Computer erklären?“ – „Oh nein, das ist ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Das vergesse ich doch gleich wieder. Es ist einfach zu viel! Schau einmal, ich habe so fünfzig Apps und das Speichern geht überall anders. Immer muss ich jemanden fragen.“ – „Nein, du willst es dir bloß nicht grundsätzlich aneignen.“ – „Aber nein doch, es ist zu schwer. Ihr setzt euch doch auch immer zu einem Meeting zusammen, wenn ihr ein Projekt anfangt, und ihr beginnt immer wieder ratlos von vorne. Ist doch immer dasselbe! Könntet ihr das Projektleiten nicht einfach grundsätzlich lernen?“ – „Nein, Projekte sind immer anders, das kann man im Vorhinein kaum lernen, da ist es besser, man setzt sich immer wieder in Meetings zusammen. Dann kann keiner hinterher behaupten, er hätte es allein besser gekonnt. Es ist wirklich jedes Mal anders.“ – „Speichern ist auch immer anders.“ – „Aber der Knopf oben zum Speichern ist immer ähnlich.“ – „Aber manchmal ist auch keiner da, oder es gibt mehrere ähnliche. Ihr habt doch eine Menge Projekttemplates gespeichert, die sind erstaunlich ähnlich, ich kann kaum erfassen, was am Projektleiten so großartig schwer sein kann.“ – „Und trotzdem passen sie fast nie genau auf die Templates, wir müssen sie im Meeting immer anpassen.“ – „Sag ich ja, man muss es immer neu durchdenken, es ist nie gleich, beim Speichern und beim Projektleiten.“ – „Ja, immer verschieden, wie beim Kinderkriegen.“ – „Beim Verlieben.“ – „Beim Erziehen.“ – „Beim Lernen überhaupt. Es ist jedes Mal anders, du kennst dich nie aus und musst es immer neu machen. Wir sind Meister im immer neu machen. Das müssen wir sein, weil es immer verschieden ist.“ – „Na, aber beim Speichern nicht so echt, man könnte es verstehen.“ – „Du hast keine Ahnung vom Speichern, es ist wirklich immer verschieden. Du willst wohl darauf raus, dass nur Projekte sehr verschieden sind, und Speicherbuttons nicht, so dass du jetzt blöd behaupten kannst, du kannst sie nur in Meetings mit anderen besprechen. Ha! In Wirklichkeit bist du dumm!“ – „Das wollte ich dir auch sagen!“ – „Das merke ich die ganze Zeit.“ – „Ich kann mich jedenfalls mit Anderen in einem Meeting schnell in andere Projekte einarbeiten und damit habe ich mich auch erfolgreich beworben.“ – „Ich rede gerne mit immer anderen Menschen und bin im besser bezahlten Vertrieb, da muss ich jeden Menschen ganz neu kennenlernen und meist sofort wieder vergessen, wenn sie nichts kaufen, es gibt so viele verschiedene Menschen wie Speicherknöpfe.“ – „Menschen kannst du also auch nicht verstehen?“ – „Wie du keine Projekte.“ – „Dabei müssten eigentlich alle Menschen gleich sein, die das Einheitsabitur abgelegt haben. Sie sind völlig chancengleich.“ – „Und Projekte sind alle chancenlos?“
Fall für Fall, Mensch für Mensch, App für App kommen und gehen, immer wieder neu, weil keine Erfahrung durch allmähliches Verstehen gesammelt wird. Das sorgfältige Internalisieren und Aneignen findet nicht statt. In der Schule wird immer nur „wiederholt“, solange es beim Letzten „nicht sitzt“ – aber es wird nicht persönlich integriert. Dafür ist schon lange keine Zeit mehr und man hat es darüber vergessen. Wir mutieren zu Street Smarts, aber zu schlechten.
34 Antworten
Stimmt…… bis… ja, bis Menschen aufbegehrten gegen das System, dass das kontinuierliche Löschen (anders als im Internet) institutionalisiert hat… Aber diese Menschen wurden vergessen, bevor jemand verstanden hatte, dass es auch anders gehen könnte, ganz einfach und ganz einfach zu merken….
Herr Dueck – ich vergesse Sie nicht !!! Vielleicht hilft es die Botschaft in Stein zu meißeln, damit die Generationen nach uns sehen, dass nicht alle nur vergessen wollten… Oder die fragen sich dann, woher diese „anderen“ kamen, die noch wussten wie man Dokumente speichert….
Na gut => zynimsmusmodus aus!
Michel Serres, auch ein Mathematiker und Philosoph, HOFFT geradezu auf das Vergessen. Weil, vereinfacht gesprochen, damit auch die Irrtümer der Vergangenheit vergessen würden, die uns erst soweit gebracht haben; ein kognitiver Reset sozusagen.
Aber zwischen Wissen und verstehen gibt es einen Unterschied – grundlegend.
Wenn sie doch wenigstens Fragen stellen würden … aber das tun sie nicht (mehr). Wissen ist ein mit CPE bewertetes Konsumgut. Nicht mal mehr Investition, weil es nicht mehr inhaltlich der Karriere dienen soll (wie früher zu Zeiten materialstischen Denkens), sondern in der Symbolik des erzielten „Preises“ in CPE abgeheftet wird.
Ohne Markx-Kenner zu sein, aber: wie Geld letztlich nur die Option zum Kauf von Dingen ist, ist der Bachelor/Master/Doktor nur noch die Währung, gegen die man ein Auskommen eintauscht. Geld ist Papier oder nur die Datum, und das ist auch mit dem Wissen passiert – es existeiren nur noch die Symbole davon.
„1984“ oder die „Farm der Tiere“, das kennen alle. Warum bloß ist „Die Zeitmaschine“ von H.C.Wells so unbekannt? Ich LIEBE diesen Film:
Ein Erfinder, George, aus dem vorigen Jahrhundert bastelt eine Zeitmaschine und reist damit in die ferne Zukunft. In dieser fernen Zukufnt begegnet er ausschließlich jungen Menschen, die sich die Zeit vertreiben und sich an gedeckte Tische setzen. Eloi heißen sie, und sie sagen, dass sie nie arbeiten und auch nicht wissen, wer ihnen den Tisch deckt. Während seines Aufenthalts entdeckt der Erfinder die unschöne Wahrheit: neben den schönen jungen Elois gibt es auch die Morlocks, die unterirdisch hausen. Ab und an erklingt ein Sirenenton, und die Eloi laufen dann wie hypnotisiert in eine Felsspalte solange, bis diese sich schließt und die Sirene verstummt. Der Erfinder findet heraus, dass die Morlock die Eloi wohl verspeisen, und er findet im Felsen entsprechende Vorrichtungen. Nach zähem Nachfragen bei den Eloi findet er heraus, dass nach einem Atomkrieg die Erde verwüstet war und nur die Morlock unterirdisch überlebt hatten und sich die Eloi züchteten. Nach Büchern befragt, zeigt ihm einer der Eloi schließlich Speichermedien, die man sich anhören kann – aber die Eloi nutzen den Kram nicht, wissen nichts damit damti anzufangen, sind amüsiert über den Erfinder, der sich darüber derart entsetzt. Der ERfinder kehrt noch einmal mit der Zeitmaschine zu seinen Freunden zurück, verabschiedet sich dann aber endgültig, um in der Zukunft die Eloi wieder an Wissen zu interessieren und sich mit ihnen von den Morlock zu emanzipieren.
Die Beschreibung ist nun ohne Wikipedia, so, wie ich ihn Jahre, nachdem ich den Film sah, erinnere – also das, was trotz Alzheimer übrig blieb;)
Und in dieser Rolle frage ich Herrn Dueck:
Gunter,heißt du eigentlich George? Und wo ist deine Zeitmaschine 🙂
Gunter ist nicht George, sondern in meinen Augen ein Nachfolger von Kafka.
Ach, lassen Sie ihn doch selbst antworten:-)
Für mich ist Kafka eine andere Ebene mit seinem mühelosen Absinken in den realen menschlichen Horror innendrin. Schließlich war Kafka auch Jurist, George ist Mathematiker. Den Unterschied merkt man ….
Kafka und Menschenzüchten kommt im Buch „Ankhaba“ vor! Das Buch ist eine Mischung von Bibel, Grimms Märchen und „Kafka“. Leider finde ich keinen Verlag für die Fortsetzungen….den Wells mag ich auch sehr…!
Kafka selbst kann ich ja nicht, habe keine Ängste und keinen Brief an meinen Vater zu schreiben…mich bewegt eher so etwas wie selbstbewusste Dummheit…
Aber Sie beschreiben kafkaeske Welten, das schon! Immer und immer wieder.
Natürlich aus anderem Beweggrund.
… und die Haltung, dass es nichts zu verstehen gibt, diese Neigung, blind jeder neuen Gebrauchsanweisung zu folgen – das ist für mich „Eloi“.
Hat vielleicht damit zu tun: wenn man so aufwächst, dass immer schon alles da und zur Verfügung ist … da muss man nur noch wissen, wie mans nutzt, nicht, wie mans herstellt.
Verstehen muss man streng genommen wirklich nur die Dinge, die einem Angst oder Probleme machen. Ich glaube, Sie haben das irgendwo in der Trilogie auch mal gestreift – dass der hehre Drang des „Wahren“ letztlich auf einem solchen Defizit beruhen könnte … ich weiß nur gerade leider nicht mehr,wo.
Das persönliche „Integrieren“ hat ja keinen Sinn, wenn jedes Mal neue Regeln aufpoppen.
Da lerne ich von Pappi das Fahrradaufpumpen, aber jeder fährt – ab neu – mit dem Auto. So gehts uns aber nicht nur mit dem Fortbewegungsmittel, sondern mit allem, was so an Ausdrucksformen möglich ist…es ist längst nicht klar, ob die Formen – von alt – noch heute-morgen aktuell sind oder schon überkommen.
Sind die Regeln wirklich anders? Wo ist der große Unterschied zwischen einen Reifen aufpumpen beim Fahrrad oder beim Auto? Eigentlich nur die Technik …..
Ich glaube heute verstehen wir immer weniger, daß es hinter den unterschiedlichen Techniken vergleichbare Prinzipien gibt? Verständnis für Wissen aufzubringen erfordert Muse. Wenn das Wissen immer schneller „umgeschlagen“ werden muss, konzentriert man sich mehr auf Techniken.
Was eigentlich gebraucht wird, ist zum einen das Grundverständnis und zum anderen die Flexibilität dieses auf die individuelle Situation anzuwenden! Beides erfordert eine gewisse Reife und die Reflektion des bisherigen tuns.
„Ich glaube heute verstehen wir immer weniger, daß es hinter den unterschiedlichen Techniken vergleichbare Prinzipien gibt?“.
Das sehe ich ja genauso – habe es vielleicht nur verquer ausgedrückt!
Der Vater wusste um „Funktionsweisen“. Das wissen die Alten noch…etwa, wie ein Motor funktioniert, ein Fahrrad aufzupumpen ist oder ein Teil des Haushalts zu reparieren ist. Know-How!
Das nenne ich „gesundes“ Wissen, weil es sozusagen gereift und organisch ist…und nicht jedes Mal ganz neu geschaffen werden muß!
Dieses Zumüllen der Köpfe wird im Auftrag des Staates und mit Steuergeldern durchgeführt; und es wird propagiert, dass wir noch mehr davon brauchen („höhere Bildungsquote“). Wir sind also eine Sado-Maso-Gesellschaft.
„Da haben sich an der Uni einige Bachelor-Kandidaten entrüstet: „Wir haben so viel Stoff gelernt – und nun kam es in der Prüfung gar nicht dran! Wozu haben wir uns jetzt den Kopf zugemüllt?“ Bald danach haben sie ihr Wissen vergessen, weil sie es nur für den Zweck der Prüfung lernten. Sie haben sich den Stoff nicht angeeignet, nicht zu eigen gemacht und nicht verstanden in dem Sinne, dass sie den neuen Stoff im Kontexthorizont des alten Wissens eingebettet haben.“
Liegt das einzig an den Studierenden? Liegt es neben weiteren Dingen womöglich auch daran, dass Lehrende häufig bloß Inhalte vortragen, nicht aber Zusammenhänge und den Sinn dahinter näherbringen können?
Leider habe ich die Erfahrung machen müssen, dass viele Studenten kaum Interesse an praxisbezogener Lehre haben. Ich bemühe mich immer, den theoretischen Stoff in einen praktischen Zusammenhang zu bringen, der das Verständnis und das Lernen ermöglicht/ erleichtert. Da wurde ich dann von Bachelor-Studenten (berufsbegleitend!!) als „zuwenig Theorie“-lastig abgewatscht. Kritisches und eigenständiges Auseinandersetzen: weitestgehend Fehlanzeige. Folge: bei denen ich überlasse den Theoretikern unter den Kollegen das Feld …
Hallo Frau Nolte, gerade eben habe ich etwas dazu auf Google+ gesagt, wo dieser Artikel auch diskutiert wird…ich kopiere den Beitrag einfach, damit Sie sehen, dass Sie nicht allein sind…:
Darauf ausgelegt sind sie, ja. Und sind sie noch so, auch nach Bologna? Und können sie überhaupt so sein, wenn die Studenten eben nicht verstehen wollen, nur bestehen? Ich selbst habe jeden Wochenanfang (in der 80er Jahren, heile Welt) die erste Viertelstunde alles motivierend in den Zusammenhang gebracht…hab mir echt Mühe gegeben. Dann aber sagten viele, das sei jetzt schön, man müsse nichts mitschreiben, und man könne es ohne Mitschreiben verstehen. Einige Zeit später kamen sie darauf, später zur Vorlesung zu kommen, weil „noch nichts passiert“, heißt mitgeschrieben werden müsse… Meine Studenten waren dann in den Prüfungen nicht wirklich besser als die, die ganz furchtbare Vorlesungen hatten! Ich bekam für meine Vorlesungen so etwas wie „Silber-/Bronzemedaillen“ (Gold immer für den Rektor Grotemeyer), aber die Studenten waren nicht darauf vorbereitet, sich mit Zusammenhängen zu befassen. Auch damals schon nicht.
Von meinem Abi habe ich nach 20 Jahren sicher 90% oder mehr vergessen. Gelernt wurde in vielen Fächern nur für die Prüfung. Dafür waren meine Lieblingsfächer (Physik, Mathe, Informatik) zu flach und das Niveau orientiert sich eher am unteren Ende.
Aus meiner Sicht ist es der Einheitsbrei, der unterfordert und zugleich langweilt. Beim Diplom war es besser, weil es meine Themen waren. Beim Bachelor habe ich gehört, dass dieses System total verschult ist. Man muss wohl nur punktuell Lernen und Credit Points sammeln.
Ich sehe die Schuld nicht bei den Schülern, sondern vermute ein Problem im Bildungssystem. Warum gibt es nicht früher die Möglichkeit der Spezialisierung?
Die „Schuldfrage“ ist ein gutes Stichwort – das ich noch ergänzen möchte:
Ich denke, dass der Bachelor die Dinge sicher nicht verbessert hat. Aber ich denke nicht, dass er sie grundlegend (!) verschlimmert hat.
Die Engführung durch reproduzierten Stoff und das starren auf Noten, die haben auch schon in der seligen Zeit des Diploms stattgefunden.
Ich selber habe Ende der 80er ein Diplomstudium absolviert und erinnere, dass es auch da schon viel Blödsinn zu reproduzieren gab. Zudem habe ich Ende 2012 nebenher einen (mir völlig fachfremden) Bachelor absolviert und kann sagen, dass sich das nicht verschlimmert hat. Im Gegenteil, die Inhalte waren in diesem speziellen Fall sogar manchmal durchdachter als beim seinerzeitigen Diplom. Was aber nicht daran an der CPE-Orientierung verändert hat. Für mich wars vergleichsweise komfortabel, weil ich – da es sich um ein interessemotiviertes Zweitstudium handelte – den Luxus leisten konnte, dass mir zwar noch das Bestehen,nicht aber die Noten sonderlich wichtig waren. Womit ich nichtnur bei Kommilitonen, sondern auch bei Dozenten auf blankes Unverständnis stieß: diese Haltung wurde mir sogar noch als Arroganz ausgelegt – schließlich habe ich mit der Haltung die heiligen Noten beleidigt. die dann trotzdem ordentlich waren – sozusagen als Nebeneffekt, weil mich die Sache wirklich interessierte. Ein Umweg, den sich heute keiner mehr erlaubt.
Lustig auch: ich habe mal in Hagen spaßeshalber eine Philosophierklausur auf Masterlevel geschrieben. Es gibt ncihts Erfrischenderes, als den Kategrischen Imperativ als MC abgefragt zu bekommen;)
Aber in Summe: auch der Bachelor ist nicht „schuld“, sowenig wie Studentengenerationen. Die wachsen in eine Gesellschaft hinein, die darauf basiert, dass ausschließlich Anpassung belohnt wird. Und bereits ausdauerndes Wissenwollen stört diesen Frieden, schwächt den heiligen Konsens. DAS ist die Ursache – auch wenns leider weniger komfortabel zu beseitigen ist als ein Bachelor, und weniger bequem, al nur auf „die Jungen“ zu schimpfen. Woran die sich anzupassen gelernt haben, existiert real, und sie sind von klein auf zur Anpassung erzogen.
Verstehen erzeugt sich durch eigenes Vernetzen und Integrieren. Durch den Schwarm sich überstürzender Worte, Verdoppelungen ergibt sich ein Sog des Zustimmens, des „Ich bin ein Teil des Ganzen“, „Oh wie schön und kuschelig“, „der sagt das aber doll“!
Schade, die Konzentration auf nützliches Wissen verhindert die Entwicklung eigener Kompetenz. Habe ich das so „richtig“ verstanden?
2 Inszenierungen, der Prozess von Kafka in München und der Biedermann und die Brandstifter in Basel bieten viele Anregungen zum Denken und Verstehen.
Ich geb es gleich vorab zu, normalerweise gehöre ich bei den Omnisophen nur zu den Konsumenten. Ich lese die Beiträge und schweige dann. Manchmal weil es noch länger denkt, manchmal weil mich intelligente Sprache einschüchtert, manchmal weil ich mich nicht getroffen und manchmal einfach aus Faulheit. Diesmal hat mich jedoch das Thema genau getroffen und der Sprachkanal ist geöffnet. Ich arbeite in der Organisation einer Fachhochschule und das Erleben des Fast-Food-Lernens ist alltägliches Elend. Man macht ein Studium heute nicht mehr um Wissen zu Erlangen sondern um den dazugehörigen Titel zu bekommen und seine Karriere zu planen. Nachfragen nach der Wahl des Studiums werden mit materiellen Argumentenbegründet oder auch nur mit verständnislosem Schweigen.
Ich habe eine Zickzack-Karriere durchlebt. Nach einer kaufmännischen Ausbildung kam ich dann mit verschiedenen Umwegen zum Qualitätsmanagement in der Maschinenindustrie. Damals als Nichttechnikerin und Frau ein Ding der Undenkbarkeit.
Und nun zum Pudels Kern. Ich habe damals hochgelehrten Ingenieuren anhand von Beispielen wie zum Beispiel des Dampfkochtopfes meiner Mitter, dem Aufbau von Druckverhältnissen erklärt und dabei zugeschaut wie ihr ungläubiger Blick zu erleichtertem Verstehen sich wandelte. Viel zu oft habe ich erlebt, wie sich alles was sich nicht aus dem angelernten Wissenspool ziehen liess undenkbar war.
Mein Ressumée heute ist, dass es die Wichtigste zu vermittelnde Fähigkeit wäre, den Studierenden beizubringen Analogien zu erkennen. Befinde mich dabei jedoch oftmals in der Situation eines Rufer in der Wüste. Man will weder lehren noch lernen Dinge zu verstehen, zu hinterfragen und darüber hinauszugehen. Sogar in so vernetzten Fächern wie zum Beispiel der Bionik wird einem heute beigebracht, dass Pflanzen zur Oberlächenverbesserung, Insekten und Vögel zum Flugverhalten und alles Meeresgetier für Strömungsverhakten dient. Man versteht sich als Vermittler von Wissen und ist nicht bereit ggf. auch von oder mit Studierenden zusammen etwas zu erlernen. Zweifel an der Unfehlbarkeit der Dozierenden wird als Existenzbedrohung verstanden.
Vielleicht sollten wir endlich Bildung neu denken, bzw. einen Schritt vom System abweichen und unseren Kindern und Jugendlichen wieder ermöglichen, für sich selbst zu lernen.Ihnen ermöglichen,wieder kreativ und neugierig zu bleiben – so werden wir nämlich alle geboren.
Lernen und erleben,anfassen, riechen, das Leben selbst berühren.
Ich fürchte mich vor einer Zombie-Generation, die meint, bestehen zu müssen – vor wessen Augen eigentlich?
Über meiner Schule stand (ist etwas länger her): NON SCHOLAE SED VITAE DISCIMUS
Welcher Trottel hat da „Leben“ durch Arbeit/Industrie ersetzt?
Deine bissig-stimmige Beschreibung eines um sich greifenden Zustandes hat mich berührt, aber eine noch so gute Zustandsbeschreibung kann nur der erste Schritt auf einem schwierigen Weg sein.
Wir leben auch, um verantwortlich etwas zum Besseren zu verändern.
Danke dir, du hast ein paar zusätzliche Gedanken in meinem Projekt losgetreten.
Apropos Analogie:
Der Hauptmann von Köpenick; ein typisch „deutsches“ Verhalten!? „So tun als ob“ funktioniert eben prima! Darum wird es immer populärer.
Die Verpackung ersetzt den Inhalt.
Der Schein ersetzt das Sein!
„Es ist seltsam: Die Menschen klagen darüber, dass die Zeiten böse sind. Hört auf mit dem Klagen. Bessert euch selber. Denn nicht die Zeiten sind böse, sondern unser Tun. Und wir sind die Zeit.“
– Aurelius Augustinus (354-430)
Ich sage immer, wir leben in einer Zeit, in der ausgebildet wird, nicht mehr gebildet. in der nicht mehr das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht.
Warum kapieren immer mehr Schüler immer weniger von dem was man versucht zu lehren?
Theorie 1:
Möglicherweile weil immer mehr Lehrpersonal nur noch lehrt weil es bezahlt wird und weniger weil es eine Berufung ist.
Möglicherweise weil die Jugend immer weniger Interesse hat etwas zu lernen, weil es von hause aus nicht mehr gefördert wird, weil die Medien das (Mit-)denken auf ein Minimum reduzieren und weil Zukunftsperspektiven anscheinend nicht mehr vorhanden sind.
Und jetzt steht der Einzelne verzweifelt da und jammert er könne doch am System nichts ändern. Das System sind aber wir!
Lehrende (hier gemeint sind alle die versuchen anderen etwas beizubringen) sollten mit mehr Begeisterung bei der Sache sein und nicht nur versuchen den Stoff zu vermitteln. Da fällt mir wieder der Vortrag von G.Dueck ein über die Pantoffeltierchen und die Dinosaurier oder die Clips von Khan, die sind innovativ!
Theorie 2:
Vielleicht muß man auch einen ganz anderen Denkansatz wählen:
Da viele, wenn nicht alle, natürlichen Prozesse alternierend verlaufen, könnte es vielleicht sein, dass das Wissen als Resultat einer Folge von Ereignissen (Variablen) im größeren Kontext (Gesellschaft) auch eine alternierende Funktion darstellt? Wenn dem so ist, dann ist das Lehr- und Lernverhalten eher natürlich bedingt und kann in Folge nur begrenzt geändert werden. In der Vergangenheit ist unsere Gesellschaft bzgl. Wissen schon durch einige Höhen und Tiefen gegangen.
Ja, genau so ist es! Und ich freue mich, dass ich im fortgeschrittenen Alter heute viel besser lernen und vernetzen und systematisch denken kann. Aber vielleicht liegt genau da das Problem. Denn die eigentliche These in diesem Artikel war ja, dass es heute schlechter als früher war – und das stimmt – zumindest in meinem Fall – überhaupt nicht. Ich habe in Schule und Uni in einem anderen Jahrhundert auch nur für die Prüfungen gelernt, und tat mir ziemlich schwer damit, obwohl der eine oder andere Lehrer durchaus versuchte, Zusammenhänge herzustellen und zu vermitteln. Könnte es sein, dass erst das Ansammeln von Erfahrungen die Grundlage bildet, um dann weitere Informationen einzuordnen und damit zu „lernen“?
Na, „früher“ waren wir (1969) 15 Abiturienten in der Klasse, und wir konnten ohne NC (außer Medizin) alles studieren, wenn wir nur bestanden. Jeder wurde etwas – kein Stress. Ich wüsste nicht, dass jemand in unserer Klasse für die Prüfung gelernt hätte. Es ging auch nicht um Noten. Jeder hatte ein unterschiedliches Gefühl, wie gut er etwas machen müsste – ja. Damals machten nur so sieben Prozent von allen Abi, für die gab es ja auch Stellen, niemand hatte da Angst oder ein Problem…
Ich finde, Sie haben damit ganz nebenher das Patentrezept für die Lösung des Problems formuliert!
Das Narrativ besagt, dass der Mensch leistungsfähiger werde, wenn er ständigen Prüfungen und Konkurrenzdruck ausgesetzt ist.
Aber das Gegenteil ist der Fall!!! Prüfungen und Konkurrenzdruck erhöhen nicht die Lust am Lernen, sondern beschleunigen lediglich das Hamsterrad der Anpassung an Vorgegebenes – für angstfreie Auseinandersetzung mit Interessen ist ja keine Zeit mehr, und es kommt in dieser Gesellschaft darauf auch nicht an, im Gegenteil: es stört.
Nachdem Lanier gerade kontrovers diskutiert wird, bin ich dabei, „Gadget“ zu lesen, um selbst einen Eindruck zu haben.
Er beschreibt dort eine Untersuchung von Kazuo Okanoya, der die Wildform und die domestierte Form der Japan-Mövchen bezogen auf deren Gesangsvilefalt untersuchte. Die, wilden, dem Sleketionsdruck ausgesetzten Mövchen verfügte nur über eine geringe Zahl von Rufen, während die domestizierte Form, die sich um Futte rund Sexualpartner keine Sorgen machen musste, also stressfreier war, vielfältige Formen des Gesangs entwickelten.
Vermutlich sollte man die Kindheit als Schutzraum wiederentdecken, statt die kreativitäts- und intelligenztötenden Konkurrenzen bereits im Kindergarten zu etablieren.
Bingo,
In http://www.alphabet-film.com/ wird ein Weg gezeigt, der möglich wäre. Ein, wie ich finde, sehr guter Film. Das war schon in anderen Beiträgen ein Thema, das leider nicht weiter vernetzt wird / werden kann?!
Es ist Schade dass man hier nicht stärker vernetzen kann, wie das z.B. im Biblionetz möglich ist. Alle Beiträge beginnen mit einem Statement von GD und enden relativ bald mit einem letzten Beitrag.
Eine Vernetzung mit früheren Beiträgen und Kommentaren findet nicht statt, was durchaus spannend wäre.
Niklas Luhmann hatte schon zu Zeiten in denen es keine Computer gab einen sog. Zettelkasten betrieben, der mahr Vernetzung hatte als dieser Blog.
Vielleicht überlegt GD mit seinen Mitstreitern einen Weg, der hier mehr Möglichkeiten eröffnet auch ältere Beiträge wieder „ins Spiel zu bringen“. M.E. wäre das ein Mehrwert dieses Blogs.
Hilfe, das ist wieder ein voller Part Time Job…sorry…
Ich, als Mittdreißiger habe ja nun auch wieder ein Studium begonnen und im Prinzip ist es halt so: Ich lerne zweimal. Einmal für die Prüfung, einmal für mich. Es ist zeitintensiv und es kommt nicht mal eine Eins dabei raus. für eine 2 bis 3 reicht es aber. Für mich lerne ich nur all das, was mich interessiert, das jedoch intensiv, sodass der Rest des Stoffs eigentlich über die Prüfungen abgedeckt werden müsste. Nur klappt das oft nicht, weil weder der Stoff von der Uni aus eingeübt wird, noch die Prüfungsfragen entsprechend sind. Ab und an gibt es Ausnahmen. Da muss man das Wissen dann anwenden und mal etwas berechnen oder in Zusammenhang bringen. Das sind die schönen Momente. In der Regel aber kann ich eine 2 stündige Prüfung in 30 Minuten erledigen, weil es eben nichts nachzudenken gibt und ich alles schnell aus dem Gedächtnis wiedergeben kann. Ich weiß nicht, ob das nun ein relevanter Punkt ist, aber im Gespräch mit meinen Professoren geht es nie um den Prüfungsstoff, sondern immer nur um Fragen, die man sich erst mit einem tiefen Eintauchen in die Materie stellt. Es gibt da eine riesen Kluft und die können auch Einser-Studenten nicht überwinden, wenn sie sich nicht mit Fragen beschäftigen, die sich aus dem Ganzen, das bekanntlich ja mehr als die Summe seiner Teile ist, stellen. Vielleicht entsteht dann, wenn man das nicht schafft, so etwas wie Fachidiotie?
Letztlich ist das vielleicht aber auch eine Sache, die sich dann mit dem Berufseinstieg ganz automatisch ergibt. Wie gesagt, es ist nicht nur eine Studentensache, sondern auch eine Professorensache und gerade für die Forschung muss ich sagen: Noch eindimensionaler geht es fast nicht mehr. Egal welche Forschungsarbeit ich heute raus suche, die Ergebnisse sind fast immer so speziell und sich mit einem ganz bestimmten Detail beschäftigend, dass sie wiederum nur eine Interpretation für das eigene Problem zulassen. So richtig groß angelegte Arbeiten gibt es nur sehr sehr selten.
Aber, Herr Dueck, da unser beiden Gehirne vermutlich ähnlich arbeiten, ist das vielleicht auch nur eine Sache, die uns betrifft und wir dadurch die Sache in einer gewissen Egozentrik sehen?
Abschließend, zur Frage des tiefen Verständnisses, muss ich jemanden erwähnen, der dereinst meinte, ein Künstler könne gar nicht die Schönheit einer Blume verstehen, da er nicht über die speziellen chemischen und physikalischen Vorgänge in dieser Blume Bescheid wissen. Wie tief muss man heute eine Sache verstehen, um sie verstanden zu haben? Reicht, bleiben wir beim Beispiel aus der Biologie, den Stoffwechsel der Blume zu verstehen, oder müssen wir auf die atomare Ebene? Auf Quantenebene wird die Sache dann etwas heikel. Ob es da überhaupt einen einzigen lebenden Menschen gibt, der sich da auskennt? 😉
Ästhetik hat wohl nichts mit Stoffwechsel zu tun…na, ich mag dieses atomare Gehabe überhaupt nicht…und ja, die wissenschaftlichen Arbeiten sind irgendwo in einem mikroskopischen Bereich, wo man die Resultate kaum noch sehen kann. Mir hat mein Doktorvater eingeschärft, vor allem Nachdenken über etwas zu bedenken, was ich den normalen Menschen sagen würde, wenn ich meine wissenschaftliche Arbeit fertig hätte. Fänden die dann, es wäre ihre Steuergelder wert? Was würde das Nobel-Komitee sagen? Wir haben das wirklich überdacht – gute Übung zur Wahl einer wissenschaftlichen Beschäftigung! Da muss man eben einmal wirklich über das Ganze nachdenken!
Also wir haben uns jetzt mal drauf geeinigt, an sehr grundlegenden Dingen zu arbeiten, die es zwar schon seit vielen Jahren im Prinzip gibt, aber nie in der Praxis ankamen. Das klingt dann halt nicht so abgespaced wie sonst im Wissenschaftsbetrieb üblich, aber der output ist dann doch ein ganz anderer, wenn die neue Erkenntnis von vielen vielen Praktikern angewendet werden kann (eigentlich muss ich da „wird“ schreiben, weil das das Ziel ist). Mein Betreuer hatte es mal wie folgt gesagt: „Es muss auch ein chinesischer Bauer mit drei Jahren Schulbildung verstehen und anwenden“.
Es ist diese riesen Kluft zwischen dem, was Wissenschaft heute erzeugt und dem, was davon beim Finanzier ankommt, die vielleicht zu vielerlei Problemen führt und eben auch dazu, dass Wissenschaft oder wissenschaftliche Ausbildung gar nicht mehr so ernst genommen wird. Nicht ohne Grund werden Akademiker oft durch angelernte Fachkräfte ersetzt. Die können irgendwie das gleiche, nur billiger. Wer kann sich heute als Unternehmer schon einen echten Doktor leisten? Der Bachelor hat ja auch das Gehaltsschema ein wenig nach unten nivelliert.
Fast hätte ich schallend gelacht – wenn es nicht so wahr und so traurig wäre. Danke Herr Dueck für diesen wunderbar durchdachten und tiefgründigen Text, insbesondere für: Menschen kannst du also auch nicht verstehen?