DD226: Neulandscham, bewusst nackte Kaiser und SABTA (Oktober 2014)
Ein lieber weiblicher Mensch träumt davon, einmal beim Wiener Opernball oder beim Neujahrskonzert dabei zu sein. Da stelle ich mir vor, ihm eine Karte zu schenken, und ich weiß, wie er reagieren wird: „Was ziehe ich da an?“ Es ist die würgend beklemmende Neulandscham, wenn man Bedenken hat, sich auf noch ganz unbekanntes Parkett „zu wagen“.
Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Internet als Neuland bezeichnet – und „wir Internet-Ureinwohner“ haben Häme über sie ausgegossen, aber nicht so schrecklich viel. Es war nämlich (so empfand ich es selbst) ein bisschen Scham in ihrer Stimme dabei, ein Wissen darum, dass das Internet eigentlich nicht neues Parkett sein sollte.
Die meisten Manager reden so, ohne Scham oder ganz und gar schamlos: „Wir sind praktisch die Einzigen, die den bevorstehenden radikalen Wandel als größtmögliche Chance begreifen, deshalb werden wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen und unserem schon seit Jahrzehnten proklamierten Ziel, die Nummer Eins zu werden, endgültig näher kommen. Wir sind da entschlossen, wo andere zaudern. Wir lieben Herausforderungen! Wir werden in der Krise stark und stärker – so war es bisher immer, wir hatten so viele Krisen! Wir sind noch aus jeder mit Bravour herausgekommen. Der Wandel ist in unseren Genen, er ist fest in der Helix unserer DNA eingeflochten, wir…“
Wie geht es Ihnen, wenn Sie so etwas hören (müssen)? Ich denke oft während der ganzen Rede nur darüber nach, ob der uns von sich so Überzeugende weiß, worüber er redet, was er wohl damit sagen will, ob er es ernst meint oder nur vorschützt, und ob seine Körpersprache ihn irgendwie verrät.
Es gibt diese schöne Abkürzung SABTA: „Sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit“. Ist es das? Ich kenne etliche Manager, besonders junge, die in einer hochdramatischen Weise an sich selbst glauben. Sie werden vor großen Klippen im Leben eines Unternehmens oft gefragt: „Wieso schaffen ausgerechnet Sie denn den Wandel, wo doch viele an dieser Aufgabe gescheitert sind?“ Und sie antworten: „Weil ich es bin.“ Manager für Manager scheitern, Prinz für Prinz verreckt in der Hecke um das Dornröschen…
Ich habe einmal einen sehr erfahrenen Vorstand eines größeren Unternehmens ungläubig gefragt, warum er die eben schon zitierte Rede mitten in der Finanzkrise hielt. „Glauben Sie das denn selbst?“ Er lächelte ein bisschen angesäuert-traurig und erklärte dann ganz sachlich, dass es absolut keine Alternative zu dieser Rede gäbe. „Es ist Krise, und alle Leute haben völlig zu Recht Angst, ich auch. Ich muss aber als Leader des Ganzen irgendwie etwas Positives sagen, das wird erwartet. Ich kann nicht sagen, dass ich Angst habe, weil wir Neuland betreten. Da erkläre ich, dass es unsere Chance ist.“
Da musste ich anerkennen, dass er wie ein nackter Kaiser vor das Volk tritt und wie einer redet, der in vollem Ornat prächtig prangt. Er weiß aber ganz genau, dass er nackt ist – und die Zuhörer wissen es wohl auch, aber niemand will es anprangern, weil sich alle einig sind, die Augen geschlossen zu halten. Denn eventuell sind sie alle nackt.
In der letzten Woche wurde der neue EU-Kommissar „für Internet“, Günther Oettinger, zum Internet befragt. Allgemein wurde ja gleich von der Netzgemeinde höhnisch bezweifelt, dass er irgendeine Ahnung vom Internet hat. Man war allgemein entsetzt, dass niemand „da oben“ auch nur daran dachte, jemanden mit dieser Aufgabe zu betrauen, der fachliches Vertrauen genießt und die Energien der Netzgemeinde bündeln und leiten würde.
„Herr Oettinger, wie wohl fühlen Sie sich eigentlich im Internet?“, fragte die Rhein-Neckar-Zeitung. Sie erhielt Antworten wie zum Beispiel (wörtlich zitiert): „Wenn ich auf der Suche nach Informationen bin, schaue ich im Netz nach, suche bei Google. Das Internet kann eine enorme Erleichterung sein.“ Und: „Manchmal schreibe ich mir über mein iPhone selbst Termine in der Kalender und behalte so die Übersicht.“ Und ich frage mich: Ist das SABTA? Naivität? Wurschtigkeit? Wenn jemand als Kaiser weiß, dass er nackt ist, redet er dann so ganz nackt daher? Man sagt doch Oettinger auch nach, dass er sich sehr wohl diszipliniert einarbeiten könne, zum Beispiel in das Englische, so dass es ihn so langsam kleide, über die Jahre…
Was es auch immer sei – und wie es auch immer zugeht: Es macht mich ganz nervös, zwischen nackten Krisenkaisern, Neulandbeschämten und Sabtisten in die Zukunft zu sehen.
13 Antworten
Ich frage mich gerade, was ist besser: SABTA oder SABAU = „Sicheres Auftreten bei angstverursachter Untätigkeit“. Denn SABAU nehme ich bei vielen Managern wahr, die die Krise sehen, das SABTA „überwunden“ haben und dennoch weiterhin nix tun. Das ist auch das Ergebnis dieser Studie zu „gutes Führung“ (http://www.forum-gute-fuehrung.de/redaktions-artikel/der-monitor-gute-führung). Alle wissen’s, alle „wollen’s“, keiner bewegt sich. Ein bisschen wie Beamtenmikado.
Schade nur, dass „der Wandel“ genauso wie „das Internet“ nicht an den Landesgrenzen halt macht und sich von selbst entschleunigt und drosselt…. Wobei, dafür haben wir ja auch unsere Ex-Staatsmonopolisten…..
Ich bin wirklich kein Öttinger-Fan, aber mir ist einer lieber, der ein Experte im Brüsseler Politiksumpf ist als einer, der ausschliesslich Digitales versteht, also ein KABSE (Katastrophales Auftreten bei super Expertise).
Die Piratenpartei hat das schön demonstriert: Immer schön digital vernetzt, aber zu chaotisch und weltfremd, um wenigstens so etwas wie eine Vereinssatzung hinzubekommen.
Das mit der Energie hat der Öttinger am Ende schon ganz gut verstanden. Dass die Energiewende in Europa noch viel schwieriger ist als in sagen wir mal Bayern, das möchte ich ihm nicht anlasten.
Ansonsten kann ich aus Sicht von Großunternehmen sagen: am besten fährt man mit SABPA (Souveränes Auftreten bei partieller Ahnungslosigkeit). Ausser den Professoren glaubt man ohnehin niemandem dass er alles weiss. Wenn er aber das bisschen, was er weiss nicht vermitteln kann, nützt leider auch das Wissen nichts.
Ich glaube inzwischen (leider), dass es um etwas ganz anderes geht. Menschen, die von etwas keine Ahnung haben, sehen die Sache eben undifferenziert und haben auch keine Angst, weil sie weder wissen, noch selbst erfahren haben, was passieren kann. Das Ergebnis ist ein unerschrockenes Auftreten im Angesicht der Katastrophe.
Menschen mit Wissen UND Erfahrung können eine Lage viel besser einschätzen und wenn sie der Meinung sind, dass eine Katastrophe bevorsteht, merkt man ihnen das auch an der Körpersprache an, weil sie es nicht verbergen können.
Die Frage ist, welche Führungspersönlichkeiten besser durch die Krise führen: die, die gnadenlosen Optimismus verbreiten, weil sie es nicht besser wissen, aber damit dafür sorgen, dass andere Menschen mitziehen und nicht in Panik versacken – oder die, die die Lage einschätzen können, die richtigen Maßnahmen verordnen und dafür auch eingestehen, dass es schwierig wird.
Ich glaube, je älter man wird, desto mehr wünscht man sich letztere.
Bei aller Ahnungslosigkeit der meisten Politiker vom Internet muss man ihnen aber auch zu Gute halten, dass sie neulich im Rahmen des Snowden-Ausschusses (der Name ist mir gerade entfallen) ja offenbar kompetente Nachhilfe bekommen haben, wem das Internet eigentlich gehört und wie es organisiert ist. Zumindest die Mitglieder dieses Ausschusses. Das ist doch schon mal was.
War es nicht so, dass das „Neuland“ Internet von Herrn Freiherr zu Guttenberg erforscht und entscheidungsmäßig für die EU aufbereitet werden sollte? Kann es dann sein, dass die Entscheidung für Herrn Oettinger damals aufgrund dieser Forschungsarbeit erfolgte? Dann wäre sie sicher als sehr gut zu bezeichnen oder?
Etwas anderes geht mir noch durch den Kopf: Ich war vor langer Zeit Angestellter in einem SW-Haus. Da kam es des öfteren vor, dass der Chef in den Raum kam und KollegInnen oder mich fragte, „Kannst du Informix?“ (oder Oracle, MS SQL Server oder oder …). War die Antwort „Nein“ ging es weiter, „Gut, dann hältst du das Seminar für unseren Kunden XYZ AG über Informix (…) in 4 Wochen!“ Das Ziel war offensichtlich, dass MitarbeiterInnen dadurch gezwungen wurden, etwas Neues zu lernen, auch wenn es auf Kosten des Kunden war. Herr Oettinger kann nun Energie, drum wurde es Zeit, dass er sich nun um neues Neuland kümmert und wir sind die Kunden!
SABTA wurde an der Cornell-Uni erforscht, der Fachbegriff ist „Dunning–Kruger effect“. en.wikipedia.org/wiki/Dunning–Kruger_effect
Beim D-K-Effekt geht es doch aber um Inkompetente und gar Dumme, hier rede ich über Manager und Politiker…ist doch ein Unterschied, oder? Der Effekt kommt aber dann effektiv in Szene: in meinem neuen Buch über Dummheit in Teams von Intelligenten.
Bin ich eigentlich der einzige der Merkels Neuland-Satz damals ganz anders wahrgenommen hat?
Mir schien es nämlich, als bezöge sich Merkels Aussage auf das Problem, für „das Internet“ _angemessene_ internationale rechtliche Regeln zu finden.
Und als hätten all die Spötter vor lauter Diehatjasowasvonkeineahnung-Reflex ganz übersehen, dass sie damit wohl eine bedeutende Wahrheit ausgesprochen hat.
Bei der Kommunikation ist der Sender dafür verantwortlich, dass die Nachricht ankommt. Natürlich war der Sachinhalt so etwa, wie Sie darstellen, es gibt aber andere Seiten: Der Ton, die Art, die Körpersprache etc… Wenn ich bei der IBM damals ein Statement abgelassen hätte, was so sehr missverstanden worden wäre, hätte ich – also – sonstwas aufs Haupt bekommen, wegen schlechter Kommunikation zumindest. Das Unwort „Peanuts“ (gemeint=kleines Problem vergleichbar mit dem eigentlichen Meag-Komplex) ist ja auch in der Sache richtig gewesen, aber es sind doch die anderen Nuancen?!
Die meisten Menschen wurden als Kinder für Fehler bestraft, egal, ob Neuland oder nicht. Das gilt aber immer noch besonders für die beiden Berufsstände Politiker und Manager, bei denen meistens 60 Prozent der Arbeitszeit dafür draufgeht, sich gegen Konkurrenz zu wehren. Es ist die Opposition, die dem Politiker genüsslich am Zeug flickt, wo immer er sich eine Blöße gibt. Es sind die Kollegen, die einen Fehler nutzen, um am Stuhlbein sägen, auf dem der Manager sitzt.
Die sicherste Methode, keine Fehler zu machen, ist eben überhaupt nichts zu machen. Ganz besonders darf man nichts Neues anzufangen, denn dort stochert man besonders im Nebel. Stattdessen wird sich gründlich und umständlich abgesichert. So unterbleibt eben der Fortschritt. Und weil man nur im Kriechgang vorankommt, fällt man immer weiter zurück.
»Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel« Bertrand Russell.
Während die einen (oft die Klugen, wie Russell sie nennt) noch am Zweifeln sind, während sie um ihre Standpunkte ringen, nach Worten suchen und Inhalte grammgenau abwägen: Derweil haben die anderen (oft die Dummen, die zweifelsfreien Lautsprecher) ihre Ansicht schon hinausposaunt, die Meinung in der Firma geprägt, die Weichen gestellt.
Was tut man als Mensch, der vor dem Sprechen denkt, unter Menschen, die vor dem Denken sprechen – und sich damit auch noch durchsetzen? Drei Strategien: Erstens sollten Sie, wann immer es geht, Ihre Zweifel mit sich selbst ausmachen. Bilden Sie Ihren klaren Standpunkt vor einer Debatte, und vertreten Sie ihn so überzeugt wie möglich.
Zweitens können Sie die Meinungstrommler immer wieder nach Fakten fragen: »Welche Belege gibt es dafür, dass …?« Drei, vier solcher Fragen, die schwammig beantwortet werden, können die Gruppenmeinung drehen. Und drittens bleibt Ihnen die Chance, Ihre Standpunkte schriftlich mitzuteilen, was bei der permanenten Hektik meist wenig Wirkung zeigt.
Tun S‘ Ihnen nix an!
In Österreich, und vermutlich nicht nur bei uns, wird jeder das, was er nicht ist.
Ist so. Gernerika waren in Österreich bis 2006 so herum praktisch unbekannt, respektive wurden als solche nicht wahrgenommen. In 2008 erklärte die Gesundheitsministerin, dass jetzt Generika bevorzugt würden. Der kolportierte Informationsstand war – billige Tabletten.
Sie machen sich Sorgen um die Zukunft. Auf nach Österreich. Wir nicht!
„Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit.“
(Karl Farkas)
Darüber besteht in Österreich Konsens, wenn wir schon Klischees bedienen wollen.
Was sollte Merkel, Öttinger etc. denn machen? Zugegeben, ich hab den Blog hier quasi überflogen, aber das Sender-Empfänder Modell emfand ich durchaus als pfade… während meines Grundstudium an der FH Westküste .. Fachbereich BWL etc. pp. was ich meine? Merkel und Co stehen für den Staat, was soll der denn noch machen? Steuererklärung elektronisch und vollautomatisch! Die sind dabei, obwohl vollautomatik eher wenige Interessenten begeistern würde. Ebenso mit den Lehrern, wo wir gerade bei Begeisterung sind, kein Lehrer ist „ernsthaft“ interessiert begeisterung zu zeigen, mal ausgenommen von Physikern… (aus eigener Erfahrung). Beim besten Willen, der deutsche Staat ist der am stärksten strukturierte Staat des Westens, das einige Kriterium was fehlt, alles digital z.B. ohne Personalausweis mit Reisepass (dank ECHTER digitaler Identität u.a. wegen des obligatorischem Fingerabdrucks) abzuwickeln, aber solche weltweit akzeptierten Dokumente sind für ein kleindeutschen Staat wohl eher nicht relevant, weil man lieber die Einheimischen über Tagesschau etc. zugegeben „ficken“ möchte, ansonsten wäre man längst auf dem Standard der Vereinigten Staaten von Amerika (wie im übrigen der Reisepass sein muss i.S.d. EU- oder UN Vorschriften). Am Ende wollte ich den Lesern hiermit mitteilen das die Union nur aus „Papier“ oder lesbarerer Schrift wie in einem Textdokument besteht….. Verhaltensweisen .. klar wichtig und interpretationsfähig… aber: wer meint was er sagt? wer weiß was „verführung“ ist? wer weiß was „liebe“ ist? Technische Errungenschaften hin oder her, den großteil gibt die Softwareindustrie vor und Schluß ist erst bei Vollautomatisierung erreicht und kein „deutsch“ kann da gegen was machen, man schaue sich nur die steuerlichen Vorschriften hinsichtlich von Einfuhren aus osteuropa oder „besser“ über die Osturkaine hinweg bis nach Indien und China, an. Zeit-zu-gehen für Mami & Co.KG, hier kann nur noch US&EU-Regierungsverantwortung etwas „bewegen“ .. die Frage ist, wielange es dauert das man noch „BLENDEN“ muss (die stellt sich eher für Nachunternehmer, also Manager im Prinzip), bevor man endlich „korrektheit“ ablegen kann und quasi vorindustriell verweisen kann (der sagt das, der sagt das .. usw.). oder: Vor-Ort ist besser als weit-weg, solange es ein Thing außerhalb der Wohnung oder der Kapitalstrafen ist 😉