DD230: Dürftige Studien oder Was ist Charisma? (Dezember 2014)

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DD230: Dürftige Studien oder Was ist Charisma?  (Dezember 2014)

Die Philosophen füllen ganze Bibliotheken mit der Frage, was Charisma, Tugend, Arete, Tapferkeit, Liebe oder Schönheit sein mögen. Bei Platon diskutiert Sokrates Auffassungen anderer, hinterfragt sie, stellt sie auf den Kopf oder widerlegt sie glatt. Danach, so denken wir, wäre es doch noch ganz gut, genau zu erfahren, was Charisma, Tugend und so weiter wären. Eine Auflösung, bitte! Die aber gibt Sokrates nicht.

Die Dialoge enden in einer Aporie.

Wikipedia: Unter Aporie (altgriechisch ἡ ἀπορία he aporía „die Ratlosigkeit“, eigentlich „Ausweglosigkeit“, „Weglosigkeit“, von ὁ πόρος ho pόros „der Weg“ mit Alpha privativum: oν ἄπόρος on apόros „ohne Ausweg seiend“, „ausweglos“) versteht man ein in der Sache oder in den zu klärenden Begriffen liegendes Problem oder eine auftretende Schwierigkeit, weil man zu verschiedenen entgegengesetzten und widersprüchlichen Ergebnissen kommt.

Sokrates muss ja nicht den ewigen Schlussstein der Überlegungen bilden. Wir könnten ja hoffen, dass uns doch noch einfällt, was einen Fußballstar, einen genialen Komponisten, einen Picasso, einen Steve Jobs oder einen Einstein ausmacht.

Wenn wir es wüssten, dann würden wir reich. Also suchen wir nach der Erfolgsformel!

Die Ergebnisse sind einigermaßen ernüchternd. Irgendwie scheint den Suchenden die elementare Logik zu fehlen. Die Frage ist doch: „Was sind hinreichende (!) Kriterien für Reichwerden, Charisma etc.?“ Hinreichende Kriterien sind solche, die den Erfolg garantieren. Wer die Kriterien erfüllt, hat das Ziel erreicht. Genau diese Frage wird aber nie gestellt, sie suchen alle nach notwendigen Kriterien oder nach Zusammenhängen. Welche Faktoren hängen mit dem Reichwerden und dem Nobelpreisgewinnen zusammen?

Wir studieren also in endlosen Studien verschiedenste Leute, die wir für Helden halten. Was haben sie gemeinsam? Ganz klar, sie leben für ihre Passion! Aha, man muss sich für das Ziel begeistern. Aus ihrer Begeisterung heraus haben sie natürlich kein Problem, 20 Stunden am Tag daran zu arbeiten. Aha, wir müssen 20 Stunden pro Tag zu arbeiten bereit sein. Hmm, das ist nicht so schön. Sie haben alle ein Ziel vor Augen: Einstein die physikalische Weltformel, Kant die philosophische Weltformel oder Musashi das Geheimnis des Siegens. Aha, wir müssen uns also erst vornehmen, was wir eigentlich als Ziel wählen: wollen wir reich werden, ein Top-Model oder ein Weltmeister? Das ist schwer zu entscheiden, vielleicht arbeiten wir erst einmal 20 Stunden am Tag? Aber woran? Ach, da gibt es wieder andere Studien, die die Gesundheit als wichtigen Faktor für Erfolg ausmachen. Okay, wir werden gesund. Noch andere Studien verlangen seelische Gesundheit. Geistige und seelische Fitness sind unerlässlich. Uiih, so langsam kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste.

Sind Künstler denn immer seelisch gesund? Nein, sie sind ein bisschen verrückt, oder? Sind die Reichgewordenen nicht auch immer ein bisschen hypomanisch? Wissen wir denn nicht alle, dass Kant kein einziges Auslandspraktikum absolvierte?

Und wir sehen bei genauer Betrachtung: Die Studien stellen immer nur fest, dass irgendwelche Eigenschaften mit Reichtum, Arete oder Heldentum korreliert sind! Es sind nicht einmal notwendige Voraussetzungen! Die Studien stellen nur „Wünschenswertes“ fest.

Die Studienkonsumenten suchen aber nach einer leicht zu erfüllenden HINREICHENDEN Bedingung für den finalen Erfolg, wobei ich nicht so sicher bin, ob diese Studienkonsumenten das so genau wissen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob die Studienproduzenten so weit denken. Sie wollen ja nur einen Master oder Doktor für die Studie haben, Hauptsache, die Statistik ist signifikant.

Gibt es denn gar keine HINREICHENDEN Bedingungen für den Erfolg? Ja, die gibt es. Im Fußball muss man Meister sein, bei Unternehmen die Welt-Eins, Künstlerbilder sollten über eine Million pro Bild erzielen, das Top-Model sollte auf allen Covers erscheinen. Diese Bedingungen sind zwar hinreichend, aber nur eine trivial-banale Umschreibung des Ziels. Das bedeutet ja nichts.

Und da sind wir wieder am Anfang, in einer Aporie. Wir sitzen auf Tonnen von Studien, die etwas Wünschenswertes herausfinden und dieses als „Schlüssel des Ganzen“ hochjubeln. Wir haben dabei gar keine Ahnung, was wir eigentlich wirklich wollen. Dann machen wir uns daran, wenigstens einen Teil des Wünschenswerten zu erfüllen, und wir hoffen dabei, dass es irgendwie schon das Ganze sein möge. Der Deutschschüler sammelt viele Bullets in einer Stoffsammlung, er fertigt eine Gliederung an, schreibt möglichst intelligente Sätze der geplanten Reihe nach – ach, vielleicht ist es eine gute Story, die einem Dichter zur Ehre gebührt. Das Start-Up-Unternehmen führt Punkt für Punkt den Business Plan der Bank durch, vielleicht ist die erste Milliarde bald sicher.

Wissen Sie, was wirklich wünschenswert wäre? Ja, wenn wir uns zu Sokrates setzen könnten und alles Seiende aus allen Enden betrachten könnten! Geistig gesehen würde wieder und wieder alles in einer Aporie enden, aber wir hätten doch ein instinktives Gefühl oder eine Intuition, was zu tun wäre. Langes Sitzen bei Sokrates mag etwas in uns erzeugen, was über den Verstand geht.

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18 Antworten

  1. Ja klar, der Erfolg zieht an. Darum versuchen Studien dem auf den Grund zu gehen. Es gäbe aber auch Sinn, die auf dem Weg zum Erfolg gescheiterten, die zuhauf den Wegesrand zum Erfolg bilden, zu studieren. Aus Fehlern lernen!? Nun ist aber die Zahl der Gescheiterten vielfach höher als die der Erfolgreichen. Man wird bei den Gescheiterten wahrscheinlich viele Gemeinsamkeiten mit den Erfolgreichen finden, gleichwohl das Essenzielle nicht herausfinden. Am Ende bleibt die Aporie. Nehmen wir es als Naturgesetz. Die Einflüsse auf den Erfolg sind so mannigfaltig, dass es den Königsweg nie geben wird. Auch Umwege oder Abkürzungen (von sog. Crash-Ratgebern) werden nicht weiterhelfen. Es bleibt aber immer die Chance, durch eingehen von Risiken oder Anstrengungen jeglicher Art (ja, auch krimineller oder unethischer Art) zum (individuell erstrebten) Erfolg zu kommen. Beispiele: Nobelpreisgewinner, Mafiaboss, Papst, Vorstand, Kalif, Parteivorsitzender, Fußballweltmeister, Lottogewinner, US Präsident, FIFA Präsident, Steuerhinterzieher, Anchorman, Geheimdienstchef, Whisteblower, Oberfeministin, Bänker, Chefarzt, Astronaut, Olympiasieger, Dopingsünder,…

  2. Charisma hat man oder man hat es nicht. Das kann man nicht lernen und trainieren. Wenn man es hat, dann kann das helfen muss es aber nicht.
    Entscheidend ist das Glück. Die Ansicht über Glück ist aber wieder unterschiedlich.
    @joachim Schnurrer
    Die unten in der Antwort angegebenen Positionen sind mir nicht erstrebenswert!
    Lesen wir lieber alle noch einmal Momo und suchen uns im Freundeskreis den kleinen Sokrates und setzen wir uns zu ihm, wenn er das denn will.

  3. Na ja, da kann man erst einmal trefflich darüber philosophieren, was Erfolg denn nun ist. Einigen wir uns darauf, dass Erfolg heißt, besonders anerkannt, reich oder mächtig zu sein. Dann gibt es eine Reihe Faktoren, die dem Erfolg zuträglich sind, die wir aber gar nicht im Griff haben, nicht beeinflussen können, die einfach sind. Das ist z.B. ein gewisses Talent, eine natürlich Neigung zu einem Thema, z.B. Musiktalent, Führungstalent, Talent, unterhaltsam zu sein, sportliches Talent etc. Dann wirkt auf Erfolg auch die Alterkohorte, in der man sich befindet. Nicht umsonst kommen zwei der erfolgreichsten IT-Unternehmer aus dem gleichen Jahrgang. Als die Herren Jugendliche waren, gab es einen Technologiesprung, den beide bewusst mitbekommen haben und genutzt haben. An solchen Faktoren können wir wenig ausrichten, die sind einfach oder sind nicht. Und Üben, Üben hilft wirklich, die alte Tugend des Fleißes – effektives Üben, nicht Stunden abarbeiten. Üben ist Scheitern, Aufstehen und noch mal machen. Neugier und Begeisterungsfähigkeit helfen ebenfalls. Das können wir beeinflussen, manchmal. Nachzulesen sind diese Dinge in den Büchern von Gerald Hüther und Malcom Gladwell.
    Das alles hat erst mal nichts mit Charisma und planmäßigem Abarbeiten von Checklisten zu tun. Wir merken ja selber schnell, dass das nichts bringt, wenn wir es tun. Da hilft wirklich nur sich hinzusetzen, nichts zu tun und ratlos zu sein. Nicht zu wissen, was jetzt geht. Denn ohne die Leere im Kopf kann nichts Neues hinein, keine neue Idee, kein Gedanke, kein neues Gefühl – und damit eine neue Richtung. Würden wir doch nicht so beharrlich an den Wegen (Checklisten, Pläne etc.) kleben, sondern beharrlich unser Ziel verfolgen und die Wege Wege sein lassen.

  4. Vielleicht gibt es kein „Hinreichend“!

    Wir sehen nur diejenigen die Erfolg haben. Aber alle diejenigen, mit mit gleicher Leidenschaft, gleichem Engagement gescheidert sind sehen wir nicht.

    Das „Hinreichende“ Kriterium ist Glück.
    Das Glück zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein. Das Glück daß man gerade den speziellen look des Modells sucht. Das Glück, daß man gerade einen Manager braucht, der gut integriert, gut begeistert oder ….

    Neben Glück braucht es natürlich noch andere Eigenschaften, diese sind aber nur notwendig und nicht hinreichend. Diejenigen die es geschafft haben, können nicht zugeben, daß es eben nicht nur ihre Leidenschaft war, die zu ihrem Erfolg beigetragen haben. Denn wenn es nur Glück war, wirft dies andere Fragen auf.

    Wie sagt schon der Volksmund: „Erfolg ist 99% Arbeit und 1% Glück“.

    Aber ohne das 1% „Arete“ wird es nicht mit dem Erfolg.

  5. Charisma deckt sich in vielen Beschreibungen mit Narzissmus. Narzissmus gibt es als „gesund“ und „krank“. Da unter „krankem Narzissmus“ viele Menschen leiden (meist die anderen, z.B.in der Familie oder Mitarbeiter) sollten wir ihn kritisieren wo es geht. Narzissmus in der Führung ist ein grosses Thema. Ohne Scham können wir das Thema auch nicht behandeln. Deshalb hier ein Hinweis.

  6. These: Das Geheimnis des Erfolgs ist die Fähigkeit des Individuums, den Rest der Welt auszublenden. Als nicht existent, als nicht relevant bis hin zu nicht lebenswert.

    Erst dann können Talent, Leidenschaft, Fleiß oder gar kriminelle Energie ihre Wirkung entfalten.

    Für die Masse an Menschen sind Personen, die ihre Überzeugung von sich selbst aus jeder Pore ausstrahlen, faszinierend. Es mag sogar die Faszination des Ekels sein, aber es ist Faszination. Wer das nun als Charisma bezeichnen möchte…

  7. Sind Carisma, Erfolg, Reichtum und Macht vielleicht gar nicht das Ziel, sondern nur das Mittel?

    Seht in der amerikanischen Verfassung nicht Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück?

    Was bedeutet aber Streben nach Glück, hier und jetzt, anderes als ein Gewinn an Freude, Wohlbefinden, Lust, Zufriedenheit, kurz ein aktueller Gewinn an guten Gefühlen?

    Wie können wir diesen Gewinn an Wohl jetzt erreichen?

    Die Wohlfühl-Ökonomie gibt Antworten. Vielleicht solltes Du schauen, ob Du den einen oder anderen Zusammenhang auch in Deiner Welt wiederfindest?

  8. Reichtum im Sinne von Vermögen … Für mich ist Reichtum die Summe aller Teile die es erlauben das Vermögen zu mehren, wenn man von Erfolg im kommerziellen Sinn ausgeht. Die anderen Reichtümer – Dinge zu bewegen, auf den Weg zu bringen reichen weiter über das hinaus.

    Es gibt vermutlich Zusammenhänge, aber wesentlich ist noch immer Ursache und Wirkung zu belegen und beide nicht zu verwechseln.

  9. Was ist Charisma, was ist Erfolg, was ist Glück? Es gibt so viele Definitionen, so viele Lösungswege „von anderen Menschen oder großen Denkern“. Die Schlüsselfrage ist: Was bedeutet es ganz konkret für mich? Was muss „erfolgen“, damit ich mir selbst folgen kann? Welche Rahmenbedingungen brauch ich? Welche Kompromisse will ich auf keinen Fall mehr eingehen? Wir können die Fragen unendlich fortsetzen….und dann wieder beim Philosophieren landen. Oder… ins Handeln kommen 🙂

  10. Welche Bedinungen vorliegen müssen (hinreichend oder notwendig) interessiert den Wissenschaftler, nicht den spontan tätigen Menschen. Dieser hat jedoch eine klare Antwort auf die Frage nach dem Warum seines Handlung. Diese Antwort kommt aus seinem Herzen, nicht aus seinem Kopf.

  11. Komplexe Systeme haben oft keine einfache Lösung. Es würde mich deswegen wundern wenn es hinreichende Bedingungen für Erfolg gäbe (oder eben auch nur eine). Vielleicht kommen wir einer Lösung näher, wenn wir das Ganze umdrehen und untersuchen welche Bedingungen hinreichend für Miss-Erfolg sind?

    Am Ende stelle ich mir folgende Frage: Wieso soll es hinreichende Bedingungen für Erfolg geben? Immerhin haben Sie hier eine ganze Seite mit unterschiedlichen Persönlichkeitstest gefüllt. Es scheint so, als wäre die Persönlichkeit nicht einfach allumfassend beschreibbar.

    Oder ist Ihre These, dass der Erfolg unabhängig von der Persönlichkeit ist?

    1. Die These ist, dass die Studien Schrott sind… und die Simpel-Lehrbücher „Jeder kann das“ auch…alles andere ist Beispiel – und mir macht es etwas Kummer, dass doch wieder nur über das Beispiel diskutiert wird…

      1. Die beiden Thesen unterstütze ich.

        Eigenartigerweise haben nur wenige Menschen ein Problem damit, sich einzugestehen, dass sie es nicht zum Weltmeister in einer beliebigen Sportart bringen werden. Aber erfolgreich sollen wir alle sein können, wenn wir nur ganz stark wollen und üben?!

        Allerdings finde ich das diskutieren von Beispielen gar nicht so schlecht. Dumm ist, dass die Beispiele oft nach 10 Buchseiten dargestellt sind und dann (für gewöhnlich) noch 300 Seiten folgen.

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