DD231: Optimale Wahl des Mottos für das Jahr 2015 (Januar 2015)
Wenn ein neues Jahr beginnt, ist es wichtig, einen Leitspruch zu kreieren, der die Mitarbeiter eines Unternehmens seelisch im Geiste zusammenschweißt.
Am besten ist es, dieses Motto 2015 gleich beim Januar-Kickoff des Unternehmens zu dessen Selbstfindung thematisch durch alle Begeisterungsreden zu ziehen, damit sich die Redner nicht zu viel selbst ausdenken müssen. Da das Motto sehr wichtig ist, muss es ja wieder und wieder im Stakkato ausposaunt werden. Deshalb ist es ganz okay, wenn alle Redner dasselbe evozieren: Motto! Motto! Motto!
Nun muss nur noch ein Motto ausgewählt werden, das in die Redentemplates eingefügt werden kann. Man sollte sich das nicht zu einfach vorstellen, weil dazu eine Menge emotionaler Intelligenz erforderlich ist, die ja im Unternehmen kaum jemand hat, jedenfalls keiner, der Mottos macht. Haben die Sekretariate einen EQ? Oder der Empfang unten? Die Unternehmenskommunikation? Schwierig. Man könnte extra jemanden mit normalem EQ einstellen, aber was tut der das restliche Jahr über? Man fragt am besten eine Agentur, die gleichzeitig auch solche Mottos anbietet, die auf irdene Kaffeepötte gedruckt werden können, die die Mitarbeiter dann zum Kickoff geschenkt bekommen.
Ein Beispiel: Ein gutes Motto wäre „Versucht, dem Kunden so viel wie möglich zu verkaufen! Bleibt dran, quält jeden Kunden zum Abschluss, hängt wie eine Klette an ihm, nervt ihn, schubst ihn, drückt! Presst! Presst!“. Das ist super, aber zu lang. So viel können sich Manager nicht merken, die ja die Mitarbeiter mit dem Motto indoktrinieren müssen. Außerdem könnte dieses Motto verschiedentlich Kunden verärgern, weshalb man das Motto beim Bekanntgeben auch irgendwie geheim halten müsste. Deshalb ist es besser, das Motto zu verklausulieren und es nur für Eingeweihte beim Kickoff zu dechiffrieren. Die Agentur hat da Erfahrung und schlägt vor: „Der Kunde steht im Mittelpunkt.“ Das klingt gut, oder? Und zum Glück weiß dabei kein Kunde, was wirklich gemeint ist! Man könnte „Presst!“ auch in „Prost!“ kodieren?! Auch das geht, aber es muss natürlich darauf geachtet werden, dass wirklich alle Mitarbeiter vollzählig beim Kickoff erscheinen! Es muss ja ausgeschlossen werden, dass ein Mitarbeiter das Motto ernst nimmt bzw. wörtlich auffasst. Wenn das passiert – na dann Prost!
Motto-Berater schlagen oft vor, den Leitspruch so zu wählen, dass damit gleichzeitig ein wichtiges Problem des gesamten Unternehmens quasi per Kaffeepott gelöst werden kann. Ein Beispiel: Ein Gymnasiast ist in Gefahr, nicht versetzt zu werden, weil er in Physik eine Sechs erwarten kann. Dann ist es klug, wenn die Eltern 2015 als das Jahr der Physik ausrufen und einen Kaffeepott mit e = m*c2 bestellen. Klar? Dieses Prinzip übertragen wir auf Unternehmen. Die Berater beurteilen, was im Unternehmen im Allerärgsten liegt, zum Beispiel „rüder, rücksichtsloser und unhöflicher Umgang mit Kunden“. Dieses Problem wird wieder so kodiert, dass es zu einem Design-Motto taugt. Entsprechender Einsatz von EQ ergibt: „Der Kunde steht im Mittelpunkt.“
Nun los zum Kickoff! Moment, jetzt kommt der Kaffeepott-Produzent. Er bemängelt, dass das Motto textlich zu lang ist, weil ja auch das Logo des Unternehmens auf den Pott muss. Einige Manager freut das, sie wollen gleich ein neues Logo machen, weil eine Logoerneuerung ja immer den Profit des Unternehmens steigert. Nein, man solle das Motto kürzen, sagt der Produzent. Er könnte aber alternativ ein symbolisches Menschlein in 3D mitten in die Tasse hineinproduzieren und es mit „Kunde“ etikettieren. Der Produzent sagt, dass dies aus seiner Sicht eine geniale Idee sei, weil der Pott dann das Vierfache kosten würde. Ablehnung.
Oh, es ist nicht so einfach mit einem Motto. Jetzt beginnt nämlich erst die eigentliche langwierige Arbeit, die wahre Meisterschaft erfordert. Nach mehreren Design-Thinking-Phasen (das Motto Buy! Buy! wird zB in Bye-Bye codiert) kommen die ersten brauchbaren Vorschläge:
- Grow
- Win
- Team
- Lead
- Smile
- Passion
Das Kickoff-Taskforce (KITA) ist begeistert. Alle jubeln, bis ein alter Hase mit bedenklicher Miene moniert, dass diese idealen Mottos schon auf den Tassen der Vorjahre gestanden haben. „Wir kommen ja im Unternehmen schon lange nicht mehr mit den Kunden klar, das liegt quasi in unserer DNA. Bis zur Lösung des Problems müssen wir wohl noch einen langen Passionsweg zurückgelegen.“ – Manche sind jetzt entgeistert. „Passion steht also immer in dieser Doppelbedeutung auf den Tassen? Ist das so?“ – „Ja, natürlich, es ist kodiert.“ – „Aber das wurde doch nicht beim Kickoff dechiffriert, oder? Haben wir nicht hingehört?“ – „Nein, wir haben nur die Führungskräfte informiert – so doof sind wir doch nicht. Die Führungskräfte sollen immer diese Formulierung benutzen: ‚Wir haben noch einen langen Weg zu gehen, das werden wir alle mit aller Passion tun.‘ Die Führungskräfte sind angewiesen, das deutsche Wort Passion wie Pähschen auszusprechen, dann fällt nichts auf.“ – „Oh, dann nehmen wir wieder Passion! Wir könnten auch statt des Logos eine Passionsfrucht abbilden, oder?“
„Sage mir, was du kodierst, und ich sage dir, wer du bist.“ Na, das kennen Sie ja. Wir können als Spezialfall ableiten: „Sage mir, was auf deiner Tasse steht, und ich sage dir, wo sie in deinem Schrank fehlt.“ Immer das Allerärgste steht kodiert auf dem Pott. Wenn dann neue Berater kommen, sind sie schon nach dem ersten Kaffee eingearbeitet.
15 Antworten
Habe schallend gelacht beim Lesen, denn es kommt mir ja sooo bekannt vor. Warum nur?
Gleichzeitig fühle ich eine große Sorge in mir aufsteigen, denn ich darf unser diesjähriges Kick-Off vorbereiten. Ich fühle mich an das Ratespiel erinnert, bei dem der zu erratende Begriff bei der Beschreibung nicht verwendet werden durfte. Ich werde also ein Kick-Off Spiel spielen, bei dem ich die Begriffe Grow, Win, Team usw. nicht verwenden darf, sonst geht die innere Wild-Duck Hupe los.
Dieser Arbeit werde ich mich mit ganzer HUUUUUP widmen.
Auf ein gutes neues Jahr 2015, in dem wir mit HUUUP einen HUUUP nach dem anderen gegen die Wettberwerber machen werden, um unsere HUUUP HUUUP HUUUP …
Sustain! Innovate! Excel! Care! Initiate! Pro-Act! Change! Sex-Sigma! Wow! Close all gaps (Hintern zusammenkneifen)…
Hallo Herr Dueck,
schön ausformuliert. Dabei ist es doch so einfach…
Ein zynisches Zitat hilft die extrinsische Motivation zu erhöhen:
„Wer aufhört besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein”
Na – ist das nicht was?
Einer meiner meistbesuchten Artikel dazu handelt um eine Analyse genau eines solchen Unternehmenszitats:
http://www.agile-is-limit.de/zitatanalyse-wer-aufhoert-besser-zu-werden-hat-aufgehoert-gut-zu-sein/
…und auf Tassen drucken ist eigentlich etwas zurückhaltend…
Liebe Grüße
Patrick Koglin
Man kann das auch positiv sehen! Beethoven & Bruckner sind immer besser geworden. Meist wird es aber anstachelnd/manipulativ gebraucht, im Sinne: Wer nicht besser werden will, kann gehen.
Ich arbeitete einst in einem Betrieb mit dem Motto „Your success is our passion“.
Dazu ein Powerpoint-Vortrag (sic!) mit Bildern, die uns Mitarbeiterlein als maximal erstrebenswerten Erfolg das schnellstmögliche Erklimmen des steilen (Passions-)Wegs auf die schwindelerregenden Höhen einsamer, eiskalter Bergspitzen zeigte.
Ich beschloss, doch lieber weiter auf der blühenden Blümchenwiese im Tal zu leben – und verließ die Firma.
Danke für den heiteren Neujahrstext!
Erst mal ein gutes neues Jahr.
Und vielen Dank für den ausgezeichneten Beitrag. Beethoven & Bruckner sind vor allen Dingen durch Ihre enorme Erfahrung besser geworden. Als mittlerweile über 20 Jahre im Berufsleben stehender kann ich nur sagen, dass keiner der „erfahrenen“ Mitarbeiter mehr diese „Kick-Off-Parolen glaubt. Die „jungen“ Mitarbeiter schon, aber auch nur einmal. Keine Ahnung warum an diesen Parolen immer noch festgehalten wird …. Vielleicht wäre es mal Zeit für etwas Neues (Innovation)?
G E N A U Christian.
Das kommt mir soooo bekannt vor, das man die Leute mit viel Erfahrung and die Seite schiebt weil die nicht am richtigen Moment klatschen und jubeln.
Und weshalb klatschen die nicht… weil sie den Quatsch schon ein dutzend mahl gehört haben und wissen das es nicht wirkt.
Man spricht nicht über Selbsverständliches, nur über Besonderes.
Oh Mann …..
Lieber Herr Dueck,
jetzt haben Sie mir fast mein Credo „Kunde im Fokus“ vermasselt. Aber ich will es ja nicht auf Tassen drucken lassen …. weil ich noch alle im Schrank habe.
Mit besten Grüßen
KWD
Lieber Herr Dueck,
danke für die Kaffeepott-Idee. Wir haben auch welche im
Angebot. Unter anderem „Fertig machen. (Nur abgeschlossene Projekte bringen nutzen.)“ und „Denken. (Weil es so herrlich gut Probleme löst.)“ Jetzt fehlt uns wohl lediglich noch der Kick-off. 🙂
Beste Grüße aus Horb
Holger Zimmermann
Lieber Herr Dück,
Sie beschreiben dieses Thema so treffend, so pointiert, so subtil, so humorvoll….
Sie regen zum Nachdenken und zur „Innenschau“ an. Vielen Dank und liebe Grüße aus Vorarlberg!
Wie wahr, wie wahr!
Erinnert irgendwie an Erbenisorientierung. Im Betrieb wäre Ergenisorientierung wirklich das Gebot. Was kam dabei raus – mehr Gewinn auf der Unternehmensebene egal wie. Dieser Logik folgend sind alle Unternehmen bereits im Long Run. Die abgemagerte Antilope wird aufgemascherlt und als Cash Cow in die Auslage gestellt.
Wäre dies jemals anders gewesen, ich kann mich nicht erinnern. Warum funktioniert dies? Das jeder relativ zum anderen in der Umgebung wird gemessen.
Zurecht bemerkt jedes Jahr ein neues Motto damit wir am Jahresende relativ zueinander alle besser da stehen.
Lieber Herr Dück,
läuft es nicht schon immer so?
Herzliche Grüße aus Freiburg und alles
Gute in 2015.
Ihr
Michael Stelter
Sehr guter Beitrag, habe Ähnliches als „Jahresprogramm“ bei einem früheren Arbeitgeber auch schon erlebt.
Möchte als Diskussionsbeitrag Tom DeMarco’s PM-Roman „Der Termin“ zitieren, wo die EntWaK’s (‚Entpflichtete zur Wahrnehmung anderer Karriere-Chancen‘) eines amerikanischen Telekom-Unternehmens beim „Outplacement-KickOff“ Stofftaschen mit der Aufschrift „Unser Unternehmen wird schlanker, damit der Rest der Welt fetter wird“ bekommen. 😉 Es gibt für (fast) alles ein passendes Motto…