DD288: Bahnverspätungen sind nicht Pech, sondern Gier! (März 2017)

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Die Bahn bedauerte jüngst, ihr selbstgestecktes Ziel knapp verfehlt zu haben, nämlich achtzig Prozent der Züge im Fernverkehr pünktlich abfahren zu lassen.

Als Mathematiker stelle ich mir da einige Fragen: Welches Pünktlichkeitsziel ist denn ein gutes Ziel? Ich meine: Welches Pünktlichkeitsmaß ist denn ökonomisch oder aus Kundenseite optimal? Ist das bekannt? Die Kunden möchten natürlich hundert Prozent, klar. Die sind ökonomisch gesehen „zu teuer“ – und „Personen im Gleis“ gibt es ja auch immer einmal. Wenn aber Unpünktlichkeiten überhandnehmen, muss der Betreiber ziemlich viel Katastrophenmanagement betreiben („heute auf Gleis 7, leider ist der ICE länger als dieser Ausnahmebahnsteig, laufen Sie deshalb bis zum Bistro im Zug vor und steigen Sie dort aus“), was dann die Verspätungen immer größer werden lässt („das Aussteigen über das Bistro hat uns sieben Minuten Mehrverspätung gebracht, jetzt verlangsamen wir auch den Verkehr der hinter uns fahrenden Züge“). Wir haben alle das Gefühl, dass das heutige tatsächliche Maß der Verspätungen ökonomisch absolut nicht optimal ist, also zu viel kostet, daher schlechtes Management oder schlichte Inkompetenz vermuten lässt. Achtzig Prozent? Die sind wohl aus der Luft gegriffen. Man hatte wohl schon einmal größere Verspätungen und setzt den nächsten Zehnersprung als Ziel. Fertig. Was aber ist ökonomisch am besten? Der Nahverkehr ist doch viel pünktlicher?!

Wann spricht man eigentlich von einer Verspätung? Die Bahn nennt „mehr als sechs Minuten“. Wenn also der Zug nur sechs Minuten Verspätung hat und ich den Anschluss verpasse, weil der verdammte Weiterfahrzug zufällig echt pünktlich ist, dann verliere ich eine Stunde meines Lebens, aber die Bahn zählt es unter „pünktlich“. Ist das in anderen Ländern auch so? Nein, die messen härter. In der Schweiz entschuldigt man sich schon bei zwei Minuten Verspätung, in Japan nach einer (!), aber sie entschuldigen sich trotz dieses härteren Maßstabs viel seltener. Wenn man Personal darauf anspricht, zucken sie die Achseln und verweisen auf sehr viel schmeichelhafter ausfallende Vergleiche mit chaotischen Verhältnissen „im Süden“.

Ich verstehe es nicht.

Wenn sich ein Zug von Klagenfurt so langsam über München bis nach Dortmund aufmacht, startet er doch (hoffentlich) in Klagenfurt pünktlich und hält an fast allen Stellen nur (!!!) zwei Minuten (schauen Sie im Zugbegleiter). Der Fahrplan ist darüber hinaus so eng getaktet, dass der Zug selten Verspätungen einholen kann – das ist beim ICE öfter einmal der Fall, bei den IC/EC nach empirischer Evidenz eigentlich nie. Wenn man aber die Verspätungen nicht aufholen kann, muss doch in den zwölf Stunden von Klagenfurt bis Dortmund jede Baustelle und jedes Zucken einer Weiche, jedes Warten auf „Passagiere verspäteter Züge“ oder eine Verzögerung beim Personalwechsel irgendwann einmal „zuschlagen“. Und ab dann vergrößert sich die Verspätung.

In der Schweiz halten die Züge ganz planmäßig oft vier oder mehr Minuten. Sie stehen regelmäßig für einige Zeit am Bahnsteig, sie fahren nicht gleich ab. Sie haben damit einen Zeitpuffer, der Verspätungen aufholen lässt. Warum ist das in Deutschland nicht so, zu einer Zeit, in der wegen der maroden Schienennetze zahlreiche Baustellen behindern müssen? Warum plant man nicht zehn Minuten Übergang im Fahrplan ein, wenn man doch noch mit der Sechs-Minuten-Pünktlichkeit nicht zurechtkommt? Dann fahren die Züge eben ein paar Minuten länger, für uns Kunden ist das besser. Aber die Bahn muss dann ein paar Minuten länger für die gleiche Beförderungsleistung arbeiten – das wollen sie wohl nicht? Gier! Kosten! Und dabei senken sie ja nicht die Kosten, weil sie das ökonomische Optimum gar nicht anstreben, vielleicht nicht einmal kennen.

Ich fühle mich als Geschädigter. Ich fahre sehr oft Bahn und ich muss als Redner ja unbedingt pünktlich sein. Ich muss absolute 100 Prozent liefern (ist auch noch nichts passiert, toi, toi, toi). Ich schätze, dass ich fünfzig Mal im Jahr meine 100-Prozent-Pünktlichkeit durch früheres Abfahren erkaufen muss. Ich verliere also locker eine ganze Arbeitswoche im Jahr, dazu kommt durchschnittlich noch eine halbe Erkältung. Alles nur, weil die Bahn mal an die Börse gehen sollte?

Ich kenne das Argument vieler Bahner: „Fahr doch Auto, da sind die Verspätungen viel schlimmer!“ Leute, ich bezahle aber für die Bahn und bekomme eine zugesicherte Dienstleistung. Wo ist die Verantwortung, mir die zu liefern? Darf sich ein Frisör damit brüsten, sich bei achtzig Prozent aller Haarschnitte nicht verschnitten zu haben oder die richtige Farbe beim Färben getroffen zu haben? Darf ein Barbier sich rühmen, dass bei weniger als zwanzig Prozent der Rasuren Blut floss? Was passiert, wenn ein Imbiss nur zu achtzig Prozent frischen Salat in die Hamburger legt?

War nicht mein Schwiegervater als Eisenbahner so inbrünstig stolz auf „pünktlich wie die Bahn“?

 

 

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23 Antworten

  1. Da fehlt eine strategische Entscheidung: Schnell oder pünktlich? Was ist das höchste Ziel? Lange Jahre war es Schnelligkeit einer Strecke das höchste Ziel. Das rächt sich jetzt. Der Nahverkehr muss nicht schnell sein. Daher klappt es dort.

    1. So ist es. Man will ja schließlich mit „doppelt so schnell wie’s Auto, halb so schnell wie’s Flugzeug“ werben. Die Verspätungen und verpassten Anschlüsse eingerechnet, landet man bei „so schnell wie’s Auto, nur (wenn der Zug halbwegs leer ist) entspannter“. Mit mehr Puffer auch, nur stressärmer. Also: warum nicht so ehrlich sein?

  2. Sie Sprechen mir aus der Seele!
    Mich ärgert es, dass meine Straßenbahnverbindung hier in Karlsruhe extrem unpünktlich ist. 10min sind da der Regelfall und nicht die Ausnahmen. 2 Punkte habe ich für mich gefunden:
    1. Eine sinvolle Tätigkeit für die Wartezeit finden. Ich hab zB immer ein Buch in meinem Rucksack. Manchmal gehe ich eine Runde spazieren. Oder ich schau im Bücherladen am HBF vorbei.
    2. Jede Verspätung von >=10 minuten melde ich. Stehe auch im regen Kontakt mit dem Zuständigen der Beschwerdestelle. Ein großes Argument ist der Personalmangel. Im Winter kommen Krankheit dazu. (Letztes Jahr war es sogar so schlimm dass auf den Anzeigetafeln „Zugausfall wegen Krippewelle“ stand.) Der Personalmangel kommt übrigens von… der Gier. Personal wurde wegrationalisiert, kostet ja alles Geld. Jetzt fehlt es. Die Ausbildung zum Fahrer dauert lang und schaffen bei weitem nicht alle Bewerber. Die Quittung darf der Kunde bezahlen.

  3. Sie haben noch vergessen zu erwaehnen, dass Zuege, die ausfallen, nicht verspaetet sind. Vermutlich gibt es noch andere Verspaetungen, die nicht mitgezaehlt werden. Die 80 % werden also noch nicht mal erreicht. Ich waere daher als erstes fuer eine korrekte Statistik.

  4. Ja!!! Mal wieder voll ins Schwarze getroffen! Danke, lieber Gunter „WildDuck“ Dueck.
    Mitte des Jahres höre ich auf, meine Arbeitskraft und Kreativität gegen ein regelmäßiges Gehalt herzugeben. Ob mir dann auch so etwas einfällt? Das hoffe ich!

  5. Die Bahn ist ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert, und ich verstehe nicht wie man bei all unserer Modernität an dieser Technik krampfhaft festhält. Der Mensch hat höhere Ansprüche an die Mobilität, die man mit dem Auto geschaffen hat. Nun wäre es an der Zeit die 2 Entwicklungen zusammen zu führen und autonome elektrifizierte Fahrzeuge auf den Bahnschienen (die dann alle geteert sind) einzuspuren und selbständig von Einspurbahnhof bis Ausspurbahnhof fahren. Die Strecke von Zu-/Abbringung vom „Bahnhof“ kann man selbst fahren, man nehme z.B. einen Smart E (ohne hier Werbung machen zu wollen) aber man könnte damit den Platzbedarf auf der „Schienenspur“ den Ansprüchen an Einzelpersonen oder Familien (Tesla) anpassen. Die Energie könnte über Hochspannungsleitungen induktiv in das Fahrzeug abgeführt werden und das GPS die Lenkungsbefehle steuern. Dazu müsste die Bahn eben solche neuen Konzepte gehen und die Verwaltung des Netzes weiterhin übernehmen, aber die „zertifizierten“ Fahrzeuge würden sich die Personen selbst beschaffen, also keine Kosten mehr für die Bahn für Rollmittel. Die Verspätungsdiskussion wäre passé, denn es liegt dann nicht mehr an der Planung der Züge sondern höchstens vielleicht noch an der Netzstruktur, aber über die entscheidet die Bevölkerung ja selbst in den Wahlen. Auch das Thema Tempolimit kann damit zentral geregelt werden, wie schnell eben auf diesen Strecken gefahren werden darf bestimmt der Computer mittels der Eingabe des Bundesverkehrsministers (auch vom Volk indirekt gewählt).
    Man kann die Welt in diesem Aspekt nicht von heute auf Morgen verändern, aber man darf doch hoffen, dass man die Diskussion zur Veränderung aufnimmt und sich technisch weiter entwickelt. Dieses Gebiet des autonomen Fahrens wollen wir doch nicht nur den Automobilherstellern, E.Musk und IT-Riesen überlassen, da sind wir alle gefragt, oder?. Bahner, Autofahrer, ÖV-ler, E-biker….
    Schönen Frühling!! 🙂

  6. Passt sehr gut zusammen mit der Analyse, die Frank-Michael Dittes in seinem Buch „Komplexität. Warum die Bahn nie pünktlich ist“ (Springer Vieweg Verlag 2012) abliefert. Auf Seite 131 heisst es dort:

    Die Bahn ist eine komplexe Organisation. Wenn komplexe Systeme zum „edge of chaos“ streben, dann macht natürlich auch die Bahn keine Ausnahme. Allein das Netz ist komplex im Sinne dieses Buches. Allerdings ist es eine beherrschbare – und auch weitgehend beherrschte – Komplexität. Viele Probleme der Bahn mit der Pünktlichkeit sind verursacht durch die wachsenden Herausforderungen an sie:
    Sie soll schneller werden – wir wollen doch schnell ans Ziel kommen. Die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten sollen also ausgefahren werden? Natürlich ja. Der Preis dafür ist klar: Ein Aufholen von Verspätungen ist praktisch nicht möglich.
    Es sollen so viele Züge wie möglich fahren – wir wollen es doch bequem haben! Mehr Züge sind doch besser als wenige, nicht wahr? Die Folge: Das Netz ist an der Grenze der Belastbarkeit.
    Es müssen mehr Güter auf die Schiene gebracht werden – das ist doch gut für die Umwelt. Das Ergebnis: Der Mischverkehr auf den Strecken nimmt zu und damit auch die gegenseitige Verflechtung.
    Der Chaosrand lässt grüßen.

  7. Vielen Dank für den Artikel!
    Ich pendle täglich Köln – Frankfurt – Köln. Auf dem Hinweg 98% Punktlichkeit. Auf dem Rückweg leider nicht mal die angestrebten 80%. Das liegt daran, dass sie Züge schon den ganzen Tag unterwegs sind und sich Verzögerungen und Störungen häufen, wie im Text beschrieben. Dazu kommt, dass es Züge gibt die regelmäßig so überfüllt sind (Donnerstags gegen 18.00Uhr, viele Berater auf Heimreise), dass selbst um die Sitzplätze auf dem Boden gekämpft wird.
    Dennoch ermöglicht es mir die Bahn 200km von meinem Arbeitsplatz zu wohnen. Dafür bin ich sehr dankbar, mit einem anderen Verkehrsmittel wäre das kaum möglich. Vielen Pendlern auf der Strecke geht es ähnlich, manche fahren sogar eine noch längere Strecke – täglich und seit Jahren. Der Slogan „Deine Zeit“ passt, man kann die Zeit meist aktiv nutzen, sodass vermeindliche hohe Obligantionzeit effektiv reduziert wird.

    Ich mag das Bahn-Bashing nicht und bin davon überzeigt, dass viel für die Verbesserung des Angebots getan wird.
    Vor allem den Ansatz, über Big Data-Analysen die Kundenströme zu lenken oder technische Störungen zu prognostizieren, bevor sie entstehen finde ich gut. Unverständlich ist, dass Bahncard100-Kunden nie erfasst werden. Die Bahn weiß nicht, wann ich wohin fahre und auch nicht, wie viele Menschen in ihrem Zug auf Pendler-Strecken unterwegs sind.

    Ich glaube es gibt ein grundsätzliches Verständnis für Verspätungen, wenn diese gut erklärt werden. Das Nervigste ist die schwache Informations-Strategie und fehlende Infos in der DB-App. Man geht von pünktlichen Zügen aus, doch am Bahnsteig klettert die Verspätung von 5 min. auf 10 min. und schließlich auf 25 min. Nur böse Gesichert am Gleis. Das kann nicht das Ziel sein.

  8. die frage nach zielen finde ich insofern spannend, da ich neugierig bin, welches ziel sich pria zur vertonung des artikels gesetzt hat. in dem satz „Die Kunden möchten natürlich hundert Prozent“ liegt die betonung nicht wie ich es vermutet hätte auf dem _wert_ „einhundert“ sondern auf der _einheit_ „prozent“. Diesem Satz folgen noch weitere, die mich stutzen ließen, inwieweit die gewählte betonung mit der intention des autors übereinstimmt. und so angenehm die stimme sich anhört stelle ich fest, dass es mir zunehmend schwerer fiel dem inhalt zu folgen, bis ich letztlich gar nicht mehr darauf eingehe, was mich am bahn claim „diese zeit gehört dir“ stört, sondern mich wundere, wieso mich das anhören dieses artikels mehr zeit kostet als ihn einfach selbst zu lesen.

  9. Wenn irgendetwas nicht mehr lesen mag und auch nicht mehr als Entschuldigung akzeptieren will, dann ist es dieses Management-Rumgesülze, dass ein System zu komplex sei, um darin ein bestimmtes Ziel wie Pünktlichkeit zu erreichen. Jedes komplexe System lässt sich in Teilkomplexe zerlegen, die alle auf ein Ziel wie z. B. Pünktlichkeit eingeschworen werden können. Natürlich gibt es dann Abstimmungsprobleme und vielleicht auch sich kannibalisierende Projektideen, aber am Ende verbessert sich der Prozess im Hinblick auf ein Ziel signifikant. Ist dies nicht der Fall, so liegt es nicht an der Komplexität, sondern daran, dass es Unternehmenskultur ist die eigene Verantwortlichkeit im Sumpf der vermeintlichen Komplexität abtauchen zu lassen.

  10. Na, na, lieber Herr Dück, die Optimierung der Flugpläne, die Sie in Ihrem Newsletter erwähnen, muss aber auch schon wieder in Vergessenheit geraten sein. Oder Sie haben damals weder LH noch airberlin optimiert. Wie erklären Sie sich und mir denn eigentlich, dass Horden von Fluggästen an den Gates völlig gelassen reagieren, wenn sich ein Flug mal wieder um mehrere Stunden verschiebt, aber bei der Bahn Schimpftiraden schon bei 5 Minuten Verspätung die Regel sind. Ich finde Bahn-Bashing ein bisschen AfD-mäßig: Immer sind die anderen schuld.

    Da gefällt mir der Beitrag von Peter Köster oben doch gleich viel besser: Komplexität und ein über Gebühr gefordertes System – auch von den Kundenerwartungen überfordert – das sind die Ursachen und nicht Dummheit oder Unwilligkeit von Bahnern. Und außerdem gibt es doch kontinuierlich Fortschritte – z.B. bei der Information: Im Navigator gibt es seit Kurzem eine Info über die tatsächlich Reihung der Wagen bei Einfahrt des Zuges – und die stimmt bereits zu 98%. Beruht im übrigen auf moderner IT, u.a. Big Data. Also nicht lästern, sondern Fortschritte loben und die Bahn anspornen. Weiterhin gute und sichere und bequeme Fahrt!

    1. Ich sage, dass man das Problem mal mit Pufferzeiten angehen kann…ich sage, dass es in der Schweiz und Japan solche Verspätungen nicht gibt. Ich sage, dass die Bahn früher der Inbegriff der Pünktlichkeit war. Ich verweise auf Wikipedia Stichwort Stellwerke, da lesen Sie, dass die Stellwerke der Bahn uralt sind… und darauf gehen Sie nicht ein und kommen mit AfD, aha? Wenn ein Unternehmen Mist liefert, ist es nicht schuld? Darf man die Telekom bashen, wenn man nicht die gekaufte Bandbreite bekommt? Darf ich nicht verlangen, dass mein Diesel sauber ist? Auch AfD? Sie erwähnen Komplexität. Wenn man ein bisschen Aufholpuffer in die Pläne gibt, SINKT doch die Komplexität! Und wahrscheinlich ist die japanische Bahn nicht komplex? Ist Amazon komplex?

      1. Ja, die Argumente „Pufferzeiten helfen“ und „Lieferversprechen müssen eingehalten werden, egal von wem“ akzeptiere ich. Akzeptieren Sie, dass sich die Bahn verbessert und Konkretes tut? Und dass, Komplexität nicht „Gier“ ist, auch wenn man noch nicht alles unternommen hat, um sie in den Griff zu bekommen? Zudem sollten wir den politischen und den medialen Einfluss auf die Bahn nicht unterschätzen – würden Pufferzeiten und geringere Netzauslastung und höhere Redundanz akzeptiert werden -von Politik und Öffentlichkeit. Oder um bei Ihrer Gier zu bleiben: ist es die der Bahner, oder die von uns allen? Die AfD-Analogie nehme ich zurück, denn ich erkenne natürlich an, dass Sie echte Argumente haben, im Gegensatz zu AfD.

  11. Die Pufferzeiten sind durchaus vorhanden. Es gibt Haltezeiten, die auf Mindesthaltezeiten verkürzt werden und die im Fahrplan veröffentlichten Fahrzeiten enthalten auch verschiedene Zuschläge, die als Puffer für betriebsbedingte Verzögerungen dienen – etwa die Einfädelung in einen Knoten, die sich vorab schlecht planen lässt.
    Bei Fahrplanerstellung bekannte Langsamfahrstellen werden in der Fahrplankonstruktion auch berücksichtigt.
    Der Unterschied zwischen DB und SBB könnte in der Betriebssteuerung liegen. Die SBB hat den Prozess zur Umsetzung von Dispositionsentscheidungen gut optimiert, bei der DB wird da noch viel telefonisch abgestimmt.
    Die Komplexität ist in Japan übrigens wirklich niedriger – die Personenzüge haben ein vom Güterverkehr getrenntes Schienennetz.

  12. Der Vergleich mit der Schweiz hinkt ein wenig. Die maximale Laufzeit eines Zuges (St. Gallen – Genf Airport, sehr oft wegen Problemen früh gewendet) beträgt 4 Stunden und die Anzahl der abhängigen Querverbindungen ist überschaubar.
    Die Schweiz hat eigentlich ein grosses S-Bahnnetz mit halbstündigen Rendezvousphasen, die Verspätungen in Grenzen halten (auch keine Reservierungen, die einen Wagenstandsanzeiger erfordern würden). Auch die SBB hat ihre Probleme mit Flaschenhälsen, Verschleiss und Wachstum (z. B. legte eine undramatische Entgleisung den Bahnhof Luzern letzte Woche für über 4 Tage vollständig lahm), aber diese wirken sich nicht immer augenfällig aus.
    Wenn die DB ihre Langläufer beseitigen würde, der Kunde also öfter umsteigen müsste, keine Reservierungen möglich wären, wären die gewünschten Puffer vorhanden. Das will der Kunde aber nicht.
    In Verbindung mit dem Ausland hat die SBB übrigens alle Probleme mit Ausfällen und Verspätungen. Und ja, Japan ist eine Insel, hat maximal ca. 3 Stunden Zuglaufzeit, wenige Halte, kaum Abhängigkeiten, eigene Trassen. Europa ist ein Flickenteppich, auf dem Kraut und Rüben über Systemgrenzen hinweg unterwegs sind. Gier alleine ist mir dafür zu einfach.

  13. Ich gehe bei vielem mit, bei anderem möchte ich aber zumindest einhaken, weil es mir zu sehr in die etwas hauruckige Bahnbashing-Ecke geht.

    Grundsätzlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass es sich hier einerseits um ein Komplexitätsproblem und andererseits vermutlich auch um ein Versäumnisproblem handelt. Es ist also nicht einfach, aber es wurden in der Vergangenheit auch Fehler gemacht, die sich jetzt nur mit viel Zeit oder mit viel Geld (oder beidem) ausbügeln lassen.

    Mehr Puffer einzubauen ist eine naheliegende Lösung, hier sehe ich zweieinhalb Probleme:

    1. Für Menschen, die seltener, aber länger Bahnfahren mag Pünktlichkeit vor Schnelligkeit gelten, für Menschen, die regelmäßig kürzere Strecken pendeln ist es vermutlich eher umgekehrt, vor allem, weil ja eben auch nicht jeder Zug zu spät ist und gerade morgens die Züge noch eher im Takt fahren als abends. Ich glaube nicht, dass der Wunsch „lieber pünktlich als schnell“ für alle Nutzer der Bahn gleich gilt.

    1 1/2. In der Theorie mag man glauben, dass die Leute sich mit Pufferzeiten besser arrangieren können als mit Unpünktlichkeit, das möchte ich aber erstmal in der Praxis bestätigt sehen. Wenn ich mir den durchschnittlichen deutschen Bahnfahrer so angucke, sind da auch nicht alle mit Engelsgeduld gesegnet, entweder verlagert man die Unzufriedenheit also nur.

    2. Offen bleibt die Frage, ob eine längere Aufenthaltszeit am Gleis überhaupt praktisch umsetzbar ist oder ob dadurch Gleise belegt werden und dadurch die Taktfrequenz runtergeschraubt werden muss. Alternativ könnte natürlich der Bahnhof ausgebaut werden, aber auch das stelle ich mir in vielen deutschen Großstädten schwierig vor.

    Ein Kompromiss könnte sein, regelmäßig Aufenthaltspuffer einzubauen, um zumindest etwas Verspätung abzufangen, also etwa (bei Fernverkehrsstrecken) an jeden dritten Bahnhof zehn Minuten Verweildauer zu kalkulieren. Da, wo es auch von der Bahnhofskapazität passt.

    Den Vergleich mit der Schweiz und Japan finde ich schwierig. Natürlich kann man das vergleichen und sollte das auch tun, dann muss man sich aber auch eben genau angucken, warum es da funktioniert, was die genau tun, damit es funktioniert und was man davon in Deutschland übernehmen kann und was nicht. Das Schweizer Bahnnetz ist zwar sehr dicht, aber streckenmäßig deutlich kürzer als das deutsche. Das japanische ist auch noch kürzer, aber vor allem nicht so dicht. Auch Mentalitätsunterschiede spielen da eine Rolle, und zwar nicht von den Firmen, sondern auch des ganzen Landes. Das schließt natürlich nicht aus, dass uns die ein oder andere Schweizer oder japanische Eigenheit auch gut tun würde, aber so einfach lässt sich nicht sagen, dass es doch hier auch klappen muss, wenn es doch auch in der Schweiz und in Japan klappt.

    Und zuletzt stellt sich mir die Frage, warum wir die Bahnpünktlichkeit immer so genau beobachten, beim Reisen mit dem Auto oder dem Flugzeug aber viel großzügiger sind. Staus sind auf der Autobahn normal, wenn das Flugzeug eine halbe Stunde auf den nächsten Slot warten muss, kann man nix machen, die Bahn muss aber immer pünktlich sein? Ich habe keine Statistiken für Unpünktlichkeiten bei anderen Reisemittel, würde aber zumindest hinterfragen wollen, wie hier die Zahlen aussehen und warum wir ausgerechnet bei der Bahn so viel schimpfen. (Das Ergebnis kann natürlich auch sein, dass die Bahn tatsächlich am unpünktlichsten ist, wie gesagt, ich kenne keine Zahlen.)

  14. Man hat es vor ca. 15 Jahren mit Blick auf den Börsengang als „Effizienzsteigerung“ verkauft, die damals vorgegebenen Zeitpuffer zu entfernen. Seitdem kaskadiert jedes Problem durch das gesamte Netz. Immerhin scheint man langsam zu lernen, dass „unrentable“ Züge Passagiere zu „rentablen“ Zügen bringen. Das war Herrn „wir sind eine bodengebundene Fluglinie“ Mehdorn auch noch nicht klar.

  15. Was noch zu erwähnen wäre: (1) es gibt leider mehrere 100 Suizide im Netz der Deutschen Bahn pro Jahr. Ein Suizid „dauert“ zwischen 45 u. 120 min.. Sorry – klingt makaber, aber solange dauert es bis die Kripo die Strecke wieder frei gibt. Dafür kann die DB mal nichts. Erwähnt wird das öffentlich nicht – um keine Nachahmer zu ermutigen.
    (2) Aktuell gibt es etwa 700 Baustellen, die nicht alle komplett planbar sind. Die vielen Baustellen sind eine Folge der jahrzehntelang unterlassenen Investitionstätigkeit und erhöhen natürlich aktuell die Komplexität im Betrieb dramatisch.
    (3) Dazu kommt dann noch: die Bahn hat insgesamt viel zu wenig Züge und damit keine Reserven bei Ausfällen. Es fehlen ICE Garnituren im zweistelligen Bereich. Das ist eine direkte Folge der großen Sparpolitik unter Mehdorn (in der Vorbereitung des Börsengangs: und damit natürlich schon „Gier“, nur die Folgen der Gier von gestern). Die Neukonzeption und Neubestellung der aktuellen Baureihe hat 8-10 Jahre gedauert. Wir reden hier über sehr sehr langfristige Investitions- Zyklen, die kaum eine kurzfristige Veränderung erlauben. Die Transportkapazität im Fernverkehr ist bis 2030 +/- 1-2 ICE Garnituren fix.

    Ganz unrecht hat Hr. Dueck also nicht – nur dass es um die Gier von ’98 -„08 geht und weniger um die von heute.. Ich wäre daher für spürbare Steuererhöhungen in Form eines Bahn-Solis – um die Bahn schneller als bisher geplant mit moderner Infrastruktur zu versorgen.

  16. Immer schön drauf auf die Bahn. Ich reise viel mit ihr und es stimmt. Die Züge sind nicht immer pünktlich, aber zumindest bei mir halten sich die Verspätungen im Rahmen (max. 15 Min). Ganz ehrlich – das ist zu verkraften. Wie oft saß ich dagegen eingezwängt in einen viel zu eng bemessenen Sitz einer Fluglinie auf dem Rollfeld oder mit meinem Auto im Stau?

    Außerdem kenne ich keine andere Reisemöglichkeit, die es mir trotz Fahrt erlaubt, konzentriert zu arbeiten. Lieber fahre ich eine Stunde länger mit der Bahn als mit dem Auto oder dem Flieger und konnte einiges von meinem Pensum wegarbeiten.

    Auch wenn das unpopulär ist – ich fahre gerne Bahn. Was nicht heißen soll, dass ich alles gut finde. Aber wie gesagt, die Reisezeit kann ich nutzen. Und das hilft, wenn man viel zu tun hat.

  17. Nun ja, auch in Japan (und Taiwan) habe ich schon gewaltige Verspätungen erlebt. Zum Beispiel während eines Scheesturms in der Region Tokio. Bei so einem Jahrhundert-Naturereignis helfen auch großzügige Puffer und das in Japan reichlich vorhandenen Bahnpersonal nicht weiter. Und wenn dann der Zug auf der Strecke (in diesem Fall zum Flughafen) festsitzt, kommt eine smarte Zugbegleiterin und entschuldigt sich wortreich und mit tiefer Verbeugung. Alle Japaner im Zug sinds zufrieden und ertragen geduldig und wortlos ihr Schicksal. Die amerikanischen und europäischen Touristen beeindruckt das allerdings wenig; sie wollen ultimativ von dem armen Mädchen wissen, wann es weiter geht und ob sie ihren Flug noch bekommen. (Mit 6 Std. Verspätung wurde der Airport tatsächlich erreicht, aber alle Flüge waren wetterbedingt gestrichen und jeder der 20.000 (!) gestrandeten Passagiere bekam 2 Schlafsäcke (einen davon als Kopfkissen), um die Nacht auf den Airportfluren etwas angenehmer zu gestalten.)
    Schneestürme, Tsunamis und Erdbeben sind zugegeben die Ausnahme, in der Regel kommen Busse und Bahnen in Japan sekundengenau an und fahren auch sekundengenau ab. Und gefühlt gibt es auch keine großzügigeren Pufferzeiten, sondern die Züge verkehren vielmehr in einer für mein Gefühl abenteuerlich kurzen Zugfolge. Aber die Netztopologie ist geographisch bedingt schlichtweg weniger komplex. Es geht nunmal fast alles in Nord-Süd-Richtung und umgekehrt. Die Strecken von Ost nach West (und umgekehrt) sind vergleichsweise kurz und kreuzen gar keine oder sehr wenige andere Strecken und alleine schon daher sind Unregelmäßigkeiten leichter und vor allem mit deutlich schnellerer Wirkung auszugleichen. Insofern hinkt dieser Vergleich. (Mit dem anderen Beispuiel – der Schweiz – habe ich mich weniger befasst, alleredings dürfte auch dort die Anzahl der Bahnknoten deutlich geringer sein als hierzulande. Und jeder, der mal eine Modellbahn betrieben hat, weiß auch ohne mathematisches Modell, dass die Komplexität des Bahnverkehrs überproportional mit der Anzahl der Knoten steigt. )
    Ich bin in meiner aktiven Zeit hierzulande trotz allem beruflich gerne mit der Bahn gefahren. Die gelegentlichen Verspätungen haben mich zwar auch geärgert, aber im Vergleich zur Autobahn war das Zugfahren schon um mindestens eine Größenordnung zuverlässiger. Ich habe die Zeit im Zug zur Vorbereitung und Aufarbeitung genutzt. Und jede Verspätung gab mir auch – dank Laptop bzw. späte dank Tablett – die willkommene Gelegenheit, Liegengebliebenes aufzuarbeiten.
    Wie ich an mir selbst beobachten kann, scheint man in fortgeschrittenem Alter dazu zu neigen, zu glauben, dass früher alles besser war. Wenn da was dran sein sollte, dann mag das tatsächlich an der Gier liegen, die notwendigerweise mit der Privatisierung und dem damit verbundenen Streben nach Gewinnmaximierung einhergeht. Das ist ja auch nicht in jedem Fall verkehrt und hat sicherlich auch in bestimmten Fällen der Steigerung des kollektiven Wohlstands gedient. Aber es stellt sich schon die politische Frage, ob sich Infrastruktur zur Privatisierung eignet oder ob eine gesicherte Grundversorgung vor wirtschaftlichen Interessen rangieren sollte. Die entsprechenden Entscheidungen haben nicht Politiker selbstherrlich getroffen, sondern wir – das Wahlvolk – haben dies letzlich mehrheitlich so haben wollen, wie es heute ist. Und wenn es dann aber nicht so funktioniert, wie es uns von bestimmten Interessengruppen ausgemalt wurde und wie wir es uns haben einreden lassen, dann sind plötzlich die Politiker kollektiv für die Misere verantwortlich. Herr, wir danken Dir, dass wir nicht so sind, wie die da oben …..

  18. Bzgl. Absatz 3 Verspätungsdefinitionen: DB > 6 min; SSB >2 min; Japan >1 min
    Nur als Ergänzung: bei der Preußischen Staatsbahn wurde jede Verspätung >3 min dem Verkehrsminister gemeldet; wenn dieser Brauch weitergepflegt würde, käme Herr Dobrindt nicht mehr vom Telefon weg.

  19. Vergleiche Ihr Beispiel mit dem ‚E‘ bei Ihre Republika Vortrag, in anderen europäischen Ländern kriege ich ein LTE im hinterletzten Kuhkaff, gleiches gilt leider für die Bahn. Das liegt wohl irgendwie an einem grunddeutschen Mißverhältnis , ein Selbstverständnis für allgemein gemeinschaftliche nutzbare und staatlich finanzierte Infrastruktur zu fordern sobald es über die Autobahn hinausgeht und selbst da wackelts schon. Klar bezahlen diese Länder, ihr Failbe für den Aufbau einer genöresen öffentlichen Infrastruktur mit
    wirstschaftlichen Kennzahlen ,die für den Shareholder nicht so dolle sind wie die unseren,
    aber ich frage mich schon des öfteren wie zur Hölle kann es sein, daß ich in dem angeblich wirtschaftlich so maroden Italien oder Frankreich im Hochgeschwindigkeitszug äußert zügig von einen von einem Ende des Landes ans andere , für 23 Euro zweiter Klasse komme .
    Zumal meistens auch pünktlich und wesentlich komfortabler

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