DD319: Willst Du quälen? Frage „Wie weit bist Du?“ (Juni 2018)

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Zahlenmanagement hat eben nur mit Zahlen zu tun. Eigentlich – wenn Sie im höheren Management arbeiten – nur mit den prozentualen Abweichungen zur Vorperiode, also zum Beispiel verglichen mit gestern. Das Quartalsdenken ist längst in Monatsbeschwerden und Wöchnerträume übergegangen. Daher muss immer schwerer daran gearbeitet werden, die Zahlen so aktuell zu halten, dass sie allzeit gut aussehen. Es ist gar nicht einfach, jederzeit auskunftsfähig zu sein, wenn der oberste Boss über seine Excel-KI-Schnittstelle eine Nachmittagsdelle in einem bestimmten Unternehmensbereich ortet und nachforschen lässt.

„Wie weit bist Du?“ – „Was ist da los?“

Wer also eine Delle in den Zahlen hat, wird sofort mit zusätzlicher Arbeit überhäuft, die Delle zu logisch zu erklären. Das gelingt im Prinzip leicht, weil der Nachfragende die Feinheiten ja nicht in den Zahlen stehen hat. Ich erinnere mich an das erste Jahr, als wir in Deutschland in der ersten Oktoberwoche eine sehr drohende Wochenwarnung bekamen. Okay, wir antworteten: „Der Nationalfeiertag ist in Deutschland jetzt auf den dritten Oktober verlegt worden. Daher ist nur diesmal der Wochenumsatz um ein Viertel niedriger.“ – „Wieso um ein Viertel? Ein Wochentag ist doch nur ein Fünftel?“ Hu, spüren Sie den Ton der Rückfrage? Der Frager signalisiert nicht „Ich Esel wusste das nicht!“, sondern eher „Sie kommen auf die schwarze Liste derer, die sich dauernd rausreden!“

Oft wird Grausamkeit sprachlich sehr verklausuliert. „Sie haben Probleme mit den Zahlen? Wenn das noch bis in die nächste Woche anhält, schicken wir gerne eine Taskforce aus der Zentrale, um Ihnen zu helfen.“ So wird der Inquisitor angekündigt. Damit er lieber nicht kommt, werden die Zahlen eine Woche lang (SIEBEN Tage) in Ordnung gebracht, was wieder Mehrarbeit macht.

Wer verrichtet dann noch die eigentliche Arbeit? Solche Leute soll es ja geben. Alle Handgriffe aller Arbeiten werden heutzutage vielen sehr klar definierten Projekten zugeordnet, deren Projektleiter nach Plänen agieren. In den Plänen steht natürlich, was abgehakt werden kann und was wann fertig sein muss. Manager schaffen es gar nicht mehr, die Mitarbeiter stets „Wie weit bist Du?“ zu fragen, weil sie die meiste Zeit eben diese Frage dem eigenen Chef beantworten müssen. Das halten sie fast für ihren ganzen Job und verstehen dann nicht, warum Mitarbeiter nicht hundert Prozent an ihren Meilensteinen meißeln, obwohl sie vom Manager und von allen ihren Projektleitern „Wie weit bist Du?“ gefragt werden. Besonders schlimm sind depressive Projektleiter, die mit „Bitte sagt mal ganz schnell, wer was zu Abhaken für mich hat! Hilfe, sonst bekomme ich Hilfe!“

 

(Quelle: Pixabay)

Da platzt manchem Mitarbeiter der Kragen. Er brüllt den Chef mit Argumenten an. „Stört mich nicht dauernd mit Zahlen!“ – Für diesen Fall haben Manager eine Ausbildung durchlaufen, glaube ich, weil sie alle ganz gemeine Formulierungen draufhaben: „Hör mal, jeder von Euch weiß doch exakt, wie weit er genau ist. Ich nehme deshalb mit Recht an, dass das jeder ständig dokumentiert. Ihr habt folglich alle Zahlen immer in der Schublade. Ist es zu viel verlangt, die kurz zu nennen?“ – „Aber ich hatte einen maschinellen Reparaturfehler zu bereinigen, das ist für Sie ja kein Fortschritt, sondern eine Frühabenddelle, da bereinige ich den Fehler und sonst nichts!“ – „Na, ich will Ihnen fachlich nicht so stark reinreden, das ist Ihr Job, aber Sie müssen alles dokumentieren und ich muss bei Dellen von über 30 Minuten einen Bericht haben und nach oben abgeben, sonst bekomme ich nicht nur wegen der Delle Hilfe von oben, sondern verstoße gegen meine eigenen Dokumentationspflichten.“ – „Das ist Ihr Problem, ich muss den Fehler in der Maschine bereinigen!“ – „Kommen Sie mir nicht mit fachlichen Schwierigkeiten! Sie sind Experte für Lösungen. Sie könnten doch den Fehler je fünf Minuten lang über mehrere Tage verteilt bereinigen, dann entstünde keine Delle!“ – „Oder am Abend unbezahlt?!“ – „Ja sicher, Sie wissen aber, dass ich das wegen der Gewerkschaft nicht verlangen darf. Ich muss Sie um Verständnis bitten. Ich meine, Sie müssen doch stets einen guten Plan haben, wie Sie bei der Arbeit vorgehen?!“ – „Den HABE ich! Ich bereinige den Fehler!!“ – „Das weiß ich, aber ich brauche nur den Plan, mehr nicht. Fachlich vertraue ich Ihnen voll und ganz. Nur scheinen Sie sich nicht voll darauf zu konzentrieren, wie lange es dauert, wie weit Sie sind und ob Dellengefahr besteht.“ – „Aber ich konzentriere mich auf die Bereinigung des Maschinenfehlers!“ – „Oh, das sehe ich ja. Deshalb coache ich Sie gerade, die Prioritäten zu verstehen. Sie sollten sich ein Vorbild nehmen, denke ich. Schauen Sie mich an und lernen Sie. Ich kümmere mich sehr um Zahlen.“ – „Aber Sie haben viel Zeit, weil Sie absolut ganz und gar nichts arbeiten müssen, verdammt!“ – „Das stimmt, klar. Aber meine Zahlen sind größer als Ihre und das ist dann ein Volljob.“

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11 Antworten

  1. Ich empfehle allen diesen so genannten Führungskräften die Lektüre von „Reinventing Organizations“ und „Das Konzept des Konsequenten Humanismus“. Dann ist dem meist nichts weiter hinzu zu fügen.
    Controlling versus Vertrauen. Management versus Selbstorganisation. Nörgeln versus Verantwortung ergreifen. Lösungs- statt Problem-Orientierung. Fokus auf die Lösung, ist der Kunde glücklich? Wenn es kein Management mehr gibt, kommen diese blöden Fragen nicht mehr.

  2. Ein Aspekt der Digitalisierung sollte es sein, dass die Kennzahlen automatisch herauskommen, ohne das der „Arbeitende“ etwas dafür extra machen muss. Denn das Zahlenprüfen wird man den Managern nicht abgewöhnen können, zumindest nicht so lange, wie die Hierarchiestrukturen in Unternehmen so sind wie sie heute sind (EIN Leiter ist verantwortlich für die Leistungen seiner Mitarbeiter, also muss er sie STEUERN und kontrollieren).

    1. >>Ein Aspekt der Digitalisierung sollte es sein, dass die Kennzahlen automatisch herauskommen […]<<

      Ja. Daran wird hart gearbeitet. Ihr Job fällt dann aber auch weg, weil er nun auch automatisch erledigt wird.

  3. „Es ist gar nicht einfach, jederzeit auskunftsfähig zu sein, wenn der oberste Boss über seine Excel-KI-Schnittstelle eine Nachmittagsdelle in einem bestimmten Unternehmensbereich ortet und nachforschen lässt.“

    HAHAHAHA.

    Ich sach immer, die Welt ist komplex geworden… und nicht nur Wahrnehmungen sondern auch Ziele und Wertvorstellungen sind eben unterschiedlich…

  4. Tja, von der Sorte hatte ich zwei. Leider bleiben derartige Eindrücke. Durch konsequente Leistung und Behebung von Fehlern schaltete ich die Dumpfbacken aus meinem Bewusstsein. Leider hatte ich diese Menschen bald wieder in der Nähe, so lange, bis ich die Abteilung wechselte. Das war besser für die Seele und die Hochleistung und die Effizienz. Allerdings hatte ich auch mal ein ganz tolle prima LInie, die sich wirklich kümmerte: belegte Brötchen und Getränke wurden persönlich an den Arbeitsplatz gebracht, nachts wurden Spezialisten zur Ablösung eingeflogen, die Zufriedenheit aller Beteiligten war außerordentlich hoch, als wir eine Lösung hatten (natürlich auch die Zufriedenheit des Kunden). Da wurde eben gearbeitet, bis diese Arbeit erledigt war. Das Erfolgserlebnis ist danach unbeschreiblich. Es erzeugt Verbesserungen quer durch die Firma. Und motiviert sehr stark und dauerhaft.

  5. Diese Frage an sich wäre nicht das Problem. Das Problem ist, wenn man nicht frei darauf antworten kann, weil Zeitpläne rücksichtslos durchgedrückt und daher abweichende Antworten nicht toleriert werden.

  6. In der Tat läuft das in vielen Fällen so. Kurzfristig-kurzfristiger-KurzFrust. Erschrecken wie eine eigentlich wertvolle Funktion wie das Controlling pervertiert wir und -wie bereits gesagt- zur Antithese von Vertrauen gerät. Da hat Management nix mehr mit Betriebswirtschaft zu tun.

    Man kann es immer nur wieder sagen Controlling hat NICHTS mit Kontrolle (des Einzelnen) zu tun. Es soll der Kompass für das Unternehmen oder den Bereich sein. Den braucht es übrigens auch in selbstorganisierten Strukturen. Wenn man sich als Manager dann noch der alten Controller-Weisheit „Je genauer die Planung, desto größer die Abweichung“ erinnert, kann das sehr wertvoll sein.

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