DD321: Jeder in einem kleinen von ihm beobachtbaren Universum (Juli 2018)

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Am Wochenende sind wir endlich einmal dazu gekommen, einen Abstecher zum Haus der Astronomie auf dem Königstuhl zu machen, das der SAP-Mitgründer Klaus Tschira der Menschheit schenkte. Wir wohnen nur ein paar Kilometer entfernt. In einer großartigen Kuppel kann man sich dort wie im Kino das Universum anschauen. Da werden uns die Planeten und die Nachbarn der Sonne gezeigt, wir schauen uns anschließend Sternennebel an und – ja, so weiter.

Jemand fragt, warum man manchmal Radioteleskope, mal Fernrohre nutzt: Ist doch klar, man sieht jeweils eine andere Welt, je nachdem welche Impressionen man aus anderen Wellenlängen bezieht. Zum Schluss dann eine große schwarze Halbkugel über uns, darin eine kleine schwach erleuchtete Kugel, und mitten in dieser kleinen Kugel ein kleiner heller Punkt : das ist unsere Erde , das sind wir.

Das Schwarze ist das ganze Universum, die helle Kugel aber stellt das für uns sichtbare oder beobachtbare Universum dar (alles Licht, und alle Strahlen, die vom Urknall an endlich bis zu uns angekommen sind). Ja, und Tusch! Unsere Erde sieht man ganz genau im Mittelpunkt dieses imposanten Schlussbildes der Vorführung.

Da ist das ganze All! Aber im Mittelpunkt des Universums bin ich selbst.

„Der Mensch ist der Mittelpunkt!“, fällt mir sofort ein, aber ich bin nur deshalb der Mittelpunkt des beobachtbaren Universums, weil ich kugelförmig in alle Richtungen gleichweit sehen kann.

Da fiel mir das von Kahnemann beschriebene Phänomen ein, das er „What you see is all there is“ nennt. Menschen halten das für sie sichtbare Universum für schon alles und sind natürlich der Mittelpunkt dieses Universums.

Menschen haben wie die Astronomen verschiedene Sinnesorgane. Sie können die Welt durch Sehen, Hören, Schmecken, Tasten, Spüren, Greifen, Riechen erfassen. Sie können sich hineindenken, sich informieren, mit dem Herzen umsehen und so weiter. Manche haben gute Instrumente, andere nicht so gute. Wer sieht schon mit dem Herzen gut? Das fragt sich der Kleine Prinz. Wir predigen Zuhören, Mitdenken, Empathie usw., weil wir sehen, dass viele das eben nur inadäquat tun. Viele sehen eben wenig, sie blicken es nicht. Ergo: Ihr beobachtbares Universum ist klein. Und dann kommt „What you see is all there is“ dazu: Dieses kleine Universum wird für das Ganze gehalten.

Quelle: Pixabay

Wir kennen ja aus dem Geschichtsunterricht die verrückten Denkverrenkungen, die die Astronomen der Frühzeit verrichten mussten, um die seltsam anmutenden Irrläufe der Himmelskörper zu verstehen. Genauso seltsam klingen die Erklärungen aus Kleinstuniversen heraus. Oft sind es Verschwörungstheorien, naive Ideale oder unkritisch wiederholte Parolen von Marktschreiern…

Merken Sie, dass Sie in Ihrer Firma in solchen kleinen Universen leben? Sie schauen nur die Ihnen bekannten Wettbewerber an, nicht Google oder Amazon. Sie machen alles, wie es immer gemacht wurde – in Ihrem kleinen Methodenuniversum. Prozesse beschränken das Universum. Change Management zieht Sie mühsam an den Ohren, um das Universum zu erweitern (ja, manchmal wird es auch nur durch Berater verkleinert, ich weiß – sie nennen es Fokus, Kerngeschäftskonzentration oder Quartalsdenken).

Schauen Sie einmal auf Ihr kleines Universum und stellen Sie sich die ganze bekannte Welt dagegen vor, etwa die mathematische Vereinigungsmenge alle Einzelmenschenuniversen. Und dann sehen Sie wie ich trotzdem nur die kleine beleuchtete Kugel in einem großen unfassbarem Dunkel. Demut sollte uns beschleichen und Lust, wenigstens die Universen der Anderen kennenzulernen. Demut und Offenheit.

 

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13 Antworten

  1. „Wissen ist endlich, Nichtwissen ist unendlich!“ (von Einstein?) – vielen Dank für die schöne Einsicht. Demut und Offenheit sind die Konsequenz der „Kleinuniversen“, vielleicht gewürzt mit ein wenig Dankbarkeit, dass es in diesem wunderbaren Universum Platz für uns – für Sie und für mich – gibt.

  2. Wenn ich mal das Glück habe in einer sternenklaren Nacht und mit möglichst wenig Lichtverschmutzung in den Himmel schauen zu können, beschleicht mich stets das Gefühl der Bedeutungslosigkeit, das man wohl auch Demut nennen kann. Viele kennen kaum noch dieses altmodische Wort geschweige denn die zugehörige Haltung. Ich empfinde das nicht negativ, vielmehr ist eine Art wohltuendes Zurechtrücken.

  3. Das gilt für das große (Universum, Galaxie, Erde, Land) wie für das kleine. Selbst mein eigenes Haus, meine Arbeit, meine Hundegassirunde bietet jeden Tag kleine, erkundbare Universen.

    Die Hölle für den „Maximiser“, der alles ausprobieren will und von Ecke zu Ecke schnüffelt wie ein Hund.

    Viel zu viel für ein Leben.

    Ich verzettele mich jeden Tag darin.

    Ist das gut oder schlecht?

    Manchmal beneide ich meine Großmutter. Die sagte immer „früher haben wir es gerade einmal mitbekommen wenn es in der Nachbarschaft gebrannt hat. Heute sehen wir die Feuer der ganzen Welt brennen, zu jeder Zeit“

  4. Sehr treffend formuliert! Manchmal ist es hilfreich, wenn man den Horizont bewusst erweitert. Unbedingt lesenswert finde ich in diesem Zusammenhang Otto Scharmers Überlegungen zur Theorie U (Von der Zukunft her führen) und Kate Raworth Donut-Ökonomie.

  5. Kahneman meinte sein „ALL“ wohl geradezu erschreckend absolut. Die Grenze zwischen Erkenntnis und Glaube ist fließend und Wahrnehmung wie die Kugel selbst gekrümmt, wenn man nicht peilt, was der andere meint. Es lebe die Meinungsvielfalt – Recht haben ist langweilig.

  6. Sein Universum zu verlassen ist doch so einfach: Handy stecken lassen, einfach mal nicht zu telefonieren, zu simsen … , sondern Auge in Auge ein Gespräch zu führen. Ja, es erfordert Mut, es zu tun. Die Reaktionen der Worte zu erleben, Emotionen zu spüren … Und man (und auch Frau) erkennt: Ich bin nicht allein!

  7. Eine wichtige Erkenntnis. Mehr als mein eigenes Bewusstsein, kurz Wahrnehmungen, Gedanken u. Gefühle sind mir nicht zugänglich, auch wenn meine Handlungen auf Mitmenschen und Umwelt wirken. Die deutlichere Trennung von Wahrnehmungs/Bewertungs- Ebene, Handlungs-Ebene und Beschreibungs-Ebene ist zu empfehlen. Letztlich können wir die Konstruktion unserer unbewussten laufende Welt-Wahrnehmung nur durch die Wirkungen unserer Handlungen überprüfen. Genauer durch den Vergleich erwarteter Wirkungen bei der Handlungswahl mit den erzielten Wirkungen. Achtsamkeit, Sorgfalt und Bescheidenheit ist zu empfehlen.

  8. Wenn wir doch nur besser das Wesentliche von dem ganzen Müll trennen könnten, mit dem wir täglich zugeballert werden ( > 50 e-Mails ist schon zu viel, nur um einen Bereich zu nennen). Ein bisschen Aufklärung gibt „Flachsinn“

  9. Der Mensch steht im Mittelpunkt – und damit allem Anderen im Wege. Oder schlimmer: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!
    Auch Youval Noah Harari beschreibt dies in der kurzen Geschichte der Menschheit sehr treffend: Jeder Herrscher setzte eigene Hierarchien in Kraft: Freie über Sklaven, Weiße über Farbigen, Männer über Frauen. Das sind erfundene Ordnungen, die sich biologisch nicht rechtfertigen lassen. Von Gleichberechtigung bis Homosexualität. Was durch eine Kultur für unrein erklärt wird, hat es schwer, da wir uns gegen die instinktive Angst vor dem Unreinen schlecht wehren können.
    Kultur aber besteht, anders als unser Überlebensinstinkt, aus künstlich generierten Motiven. Sie ist im Unterschied zur naturgesetzlichen Ordnung voller Widersprüche.
    Man kann das momentan z.B. live in der Türkei ganz offensichtlich erleben, wo ein Herrscher aus künstlich generierten Motiven erklärt was gut und schlecht ist. Auch in Mitteleuropa findet man diese Geisteshaltung des „beschränkten Horizonts“ der „kleinen Universen“ auch „—-blasen“ genannt. Ethnozentrische Blasen sind da die Treiber. Soziale medien sind dazu die geeigneten Werkzeuge oder Hilfsmittel.
    Leider ist der gebrauch des eigenen Hirns immer seltener, was auch Kahnemann überzeugend darlegt, da das „System 2“ viel mehr energie verbraucht als „System 1“.
    Wenn es schlecht läuft macht die Menschheit nur noch das, was „System 1“ alle drei Sekunden als plausible Lösung vorgibt! Testen Sie sich selbst! Aber nur 10 Sekunden nachdenken!!
    Ein Ball und ein Schläger kosten zusammen 1,10 Euro.
    Der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball.
    Wie viel kostet der Ball?
    nach spätestens drei Sekunden sagt ihnen „System 1“ –> 10 Cent,
    ODER?

  10. Und wie immer scheint der Autor als einziger die Welt zu verstehen…
    …What you think is all there is ( in your mind )

  11. Lustig wie hier jetzt einige was von Handy wegstecken, weniger Emails lesen erzählen und ewig gestrige Sitten hoch halten. Da war die Sichtweite im Universum dann doch nicht so groß.

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