DD356: UNSER ANSPRUCH IST DAS NICHT – wie man MIST GEMACHT vermeidet

Twitter
Facebook
LinkedIn
XING

Kinder verhauen Klassenarbeiten, klauen im Laden und werden erwischt, besaufen sich das erste Mal bis zur Besinnungslosigkeit oder fallen in irgendeiner Weise auf oder auf die Nase. „Mach nie mehr so einen Mist!“, schimpfen die Eltern, Lehrer, Pfarrer oder Jugendtrainer.

„Sie haben wieder Mist gebaut!“ Das kann man im Zorn auch Erwachsenen ins Gesicht schleudern! Aber so redet man nicht mit Erwachsenen, so mautzt man keinen Verkehrsminister an.

Heute ist es üblich geworden, dass beide, der Tadelnde und der Getadelte, der Letztere vor allem, die folgende Wortwendung benutzen:

Der Tadelnde: „Unser Anspruch ist das nicht, so und so abzuschneiden.“

Der Getadelte: „Unser Anspruch ist das nicht, so und so abzuschneiden.“

Das klingt besser als „Mist gebaut“. Diese kunstreiche Wendung betont, dass man hohe Ansprüche an sein eigenes Handeln stellt. Wenn dann einmal etwas schief geht, ist es bedauerlich. Ja, bedauerlich. Aber die eigenen hohen Ansprüche garantieren, dass man es unermüdlich…äh…ist egal, die Ansprüche an sich selbst sind hoch. Sehr hoch.

  • „Unser Anspruch ist es nicht, dass die Brücken bröseln.“
  • „Unser Anspruch ist es nicht, den Etat zu überziehen.“
  • „Unser Anspruch ist es nicht, bei der WM in der Vorrunde auszuscheiden.“
  • „Unser Anspruch ist es nicht, dass die Gewinne so lange schon im Keller sind.“
  • „Unser Anspruch ist es nicht, Leute im Mittelmeer ertrinken zu lassen.

Ich stelle mir einen Sechser-Schüler vor, der nichts für die Schule getan hat. „Sechs!“, brüllt der Lehrer. Der Schüler: „Unser Anspruch ist das nicht, in dieser Klasse und in diesem Fach nicht wenigstens gut abzuschneiden.“ Vater hat gekocht, die Familie verzieht das Gesicht. „Unser Anspruch ist das nicht, die Nudeln matschig zu kochen. Es musste halt schnell gehen.“ Da verschulden Sie einen Unfall: „Unser Anspruch ist das nicht, so unglücklich zu steuern.“

„Unser Anspruch ist es nicht“ nimmt die Aggression aus dem Tadel und lässt diesen schon einmal halbwegs ins Leere laufen. Manchmal sind die Mucker aber nicht zufrieden und insistieren, was sehr ärgerlich sein kann: „Und was – verdammt noch mal – geschieht jetzt, damit das nie wieder vorkommt?“

Quelle. Adobe Stock

Dafür gibt es wieder andere zaubrische Formulierungen. Gerne wird diese verwendet:

„Wir analysieren das Geschehene sorgfältig und bereiten gemeinsam einen Lösungsweg vor.“

Der Sechser-Schüler: „Ich analysiere meine Klassenarbeit und suche einen Lösungsweg.“ Klingt gut, oder? Jogi Löw, in der Vorrunde der Fußball-WM ausgeschieden, hat mehrere Wochen analysiert, nachdem er deutlich klargemacht hatte: „nicht unser Anspruch“. Er hat „unser“ gesagt, wohlgemerkt, das ist eine weitere Finesse, er meinte wohl Boateng, Hummels und Müller. Ministerin Karliczek zu schlechten PISA-Werten: „Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein.“ UNSER Anspruch, Ihrer und meiner, so meinte sie das wohl. Schalke-Spieler Raman (Samstagmorgen, 22.02.2020, vor dem Heimspiel gegen Leipzig): „Wir haben in den letzten drei Spielen nur drei Punkte geholt. Das ist nicht unser Anspruch.“ Das Spiel vor den dreien hatten sie verloren. Er hätte „vier“ sagen können. Was sagt er wohl nach der 0:5-Pleite, ein paar Stunden später? „Wir haben aus den letzten fünf Spielen nur drei Punkte geholt, das ist nicht…“

Man sagt nicht mehr: „Ich stehe in der Verantwortung.“ Man „analysiert“, um Zeit zu gewinnen. Man „setzt sich zusammen, um eine Lösung zu finden“, anstatt zu handeln. Man setzt Studien auf, bildet Kommissionen und holt Berater.

Schrecklich, nicht wahr? Nicht das, was „die da alle so sagen“, sondern das, „was wir mit uns machen lassen“. Eine Sechs bleibt folgenlos. So geht kein Ruck durch irgendwen.

Twitter
Facebook
LinkedIn
XING

6 Antworten

  1. Begründen lässte sich alles, aber nur der „Mächtige“ kann sich gelegentlich beliebige Ausreden oder zeitliches Verschleppen (ein Aussitzen) leisten und der Abhängige (evtl. Kleinkunde, Konsument oder Schuldner) muss sie erdulden. Meist ist der Erstere mächtig geworden, weil er eben meistens nicht nach Ausreden suchte, sondern andauernd „gute“ Lösungen fand (auf irgendeine Art). Gut und Böse sind reichlich dehnbare Begriffe, bzw. recht abhängig vom Standpunkt und der inneren Haltung.

    Auch gut hierbei, aber berechnend und sehr Macht-orientiert: Tue Gutes und sei ein Schuft (äh – rede dich da raus wo es nur geht, Salamischeibentaktik).

    Der Vergleich „UNSER ANSPRUCH IST DAS NICHT“ im Fussball-Profibereich hinkt, denn auch wenn die Deutschen vielleicht bei der letzten WM hinter ihren Möglichkeiten blieben oder Düsseldorf zuletzt mal eine kleine Serie lang verlor, so ist die Leistungsdichte dort eben gerade so hoch, dass allein die Leistung nur über ein Jahr (längeren Zeitraum) hin gesehen wirklich tendenzielle Bewertungen fair erscheinen lässt (abgesehen von offensichtlichen, andauernden Fehlleistungen, die aber seltenst auftreten, denn dass wäre eine Art Karriereabsturz (den keiner wirklich so eben mal zuließe), zumindest sehr schlechte Eigenvermarktung des einzelnen Fussballers). Und das kann keine Ausrede sein, zumindest nicht für mich, denn ich bin kein Hochleistungssportler, selbst wenn ich mal Leistungssportler war.

    Schonmal gesehen wie 1971 die halbe Bank vom FC Köln raucht und sich die Spieler damals die Kugel fast in Zeitlupe hin und her-passten. Nun ja, die konnten auch Fussballspielen, aber die Athletik, Effektivität und Effizienz von heute ist dem weit überlegen. Auch deieser Vergelich hinkt, denn der Beweis kann niemals geführt werden, ohne Zeitreisen zu erfinden. Er bleibt reine Theorie.

    Somit wird vieles relativ, machmal leider.

    Ich denke aber auch das die Zurechenbarkeit und Eindeutigkeit von Verantwortung elementar wichtig für Führung und Eigenverantwortung ist. Wer Selbstwirksamkeit nicht mehr spürt verliert wohl den Antrieb… Elementar ist es aber auch Fehler machen zu dürfen, nur eben nicht wiederholt den Gleichen.

    Was jetzt zu dieser Haltung „UNSER ANSPRUCH IST DAS NICHT“ führt ist niemals klar, denn es kann in jeder einzelnen Situation aufs neue anders sein:

    1. der Kläger überzieht aus Neid oder Missgunst bei dem „einen“ Fehler (vielleicht eine heute zu oft ausgelebte Unart einer überzüchteten Medienlandschaft/“HochHochkultur“ – das Haar in der Suppe herbeiredend?)
    2. der Angeklagte steht nicht zu seiner Verantwortung bzw. weicht aus (eine antrainierte Schutzfunktion einer in der öffentlichkeit stehenden Person, die eben besonders hohe Ansprüche erfüllen soll – der Mitarbeiter (im Blickpunkt des Vorgesetzten) macht das teils noch „cleverer“ mit vorauseilendem Gehorsam, gespielt oder echt, so versucht er sich beim Mächtigen beliebt zu machen… klar, es gibt auch Partnerschaften, die lange Zeit ohne diese Machtthemen auskommen, vor allem solange der Erfolg da ist. Bleibt der weg sind die Medien bestimmt die Ersten, die dem auf die Schliche kommen)

    Beide Muster des Herausredens beschreiben eher Destruktivität und eben bestimmt nicht Konstruktivität. beide Muster bedeuten Abwehr und Verschleierung von Gemeinsamkeit. Macht ist nicht per se faschistoid, aber sie läuft Gefahr es zum Selbsterhalt zu werden. Macht trennt auf eine bestimmt Art und Weise udn sie gibt es in Deutschlan ben nicht absolut, aber eben hier und da, dann und wann in konzentrieter Form.

    Die Lösung bedeutet ganz platt: Destruktivität wo und wann immer möglich zu vermeiden und hier und da etwas Konstruktives zu tun und damit Gemeinsamkeit, ein Geben und Nehmen zu fördern, wenn ansonsten kaum Gemeinsamkeit , kein Handel gefunden bzw. erzeugt werden kann, was automatisch auf Dauer eine echte soziale Gefahr darstellt. Wir sind somit zur Kooperation verdammt oder müssen Krieg führen.

    Vorbild sein war noch nie leicht und noch nie konnte man es allen Recht machen. Besser deswegen, bei sich zu bleiben und dabei eben möglichst konstruktiv und mit gutem Ohr für den Gegenüber und hinreichend viel Selbstkritik. Nur bitte aber auch keine Selbstzerfleischung. Das wäre für mich schon genug ehrlicher und aufrichtiger, vertrausensvoller Anspruch an mich, irgendwie so auch an mein Gegenüber.

    In Interviews rede ich anders, funktionaler – oder ich gebe einfach keine. Vielliecht auch weil ich gar keine „Macht“ habe danach gefragt zu werden (weil ich keine Person öffentlichen Interesses bin). Will ich aber auch gar nicht sein. Dann muss ich mich auch nicht rausreden. Das aber beduetet wohl nur: Ich bin nicht machstbesessen, hoffentlich aber immer noch einigermaßen ziel-orientiert und mit einem Gefühl der Selbstwirksamkeit.

    Mächtiger Mist ist oft großer Mist und denen ohne Macht gelingt großer Mist nur durch Terror.

    Nimmt der wirklich seit Jahrzehnten relativ zu Weltbevölkerung zu? Evtl. auf beiden Extremen Seiten gleichzeitig… leider tut er das wohl.

    Zu viele Menschen auch hier in Deutschland scheinen zu sehr „gereizt“ bzw. echt verzweifelt – die eine Ursache dafür gibt es schlicht nicht. Auch da hilft keine Analyse, aber vielleicht Demut und Glaube bzw. Hoffnung und Vergebung?

  2. Welche Worte wir wählen hat nunmal weitreichende Folgen. Nicht umsonst steckt in
    „Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte.
    Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.
    Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
    Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
    Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.“
    bei genauer Analyse 😉 noch immer eine ziemlich Menge Wahrheit – und die auch noch ganz unverblümt ausgedrückt.

    In diesem Sinne sollten zu klareren Worten zurückkehren. Im (Arbeits)Leben und auch sonst.

  3. Nun ja. Sich aus der Verantwortung zu stehlen ist die ultimative Konsequenz aus dem von uns Homini Oeconomici so geliebten „Prinzip Selbstverantwortung“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert