Mollath oder: Späte Gerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit (Daily Dueck 197, August 2013)
Nun ist er vorerst frei, und sein Prozess wird neu aufgerollt: Gustl Mollath. An diesem Fall macht mich etwas exemplarisch wütend. Da ist ein Mensch verurteilt worden, sagen wir: zu Recht, und alles war in voller Ordnung. (Das soll hier nicht der Punkt sein. Gerecht mag alles zugehen – nur so sehr laaaaangsam, dass es wie widerwillig aussieht!) Einige Zeit nach dem Urteil stellt sich ein für die Psychiatriedauerunterbringung wesentliches „Wahngebilde“ gigantischer schwarzen Kassen als im Kern real heraus. Darf man Mollath dann noch in der Psychiatrie behalten? Das bezweifelten viele seit langen Jahren, mit der Zeit wurde daraus durch immer wieder nachbohrende Artikel der SZ eine Art Lawine: „Mollath sitzt zu Unrecht lebenslang in der Anstalt!“
Was mich immer wieder wütend macht, ist der Umgang eines Systems mit etwas, wo der normale Mensch mit normalem Sinn eine Korrektur nötig findet. Es ist nicht einzusehen, dass Mollath einfach so weggesperrt bleibt – ohne Neuuntersuchung. Was aber passiert im Justizsystem? Nichts Sichtbares. Natürlich kann die Justiz nicht bei jedem Zweifel immer gleich alles ändern, aber die Berichte in der SZ sind nicht einfach „wenig“. Was passiert? Nichts, bzw: die Mühlen der Justiz mahlen vor sich hin. Wiederaufnahmeanträge werden von Schreibtisch zu Schreibtisch geschoben, Kritik zurückgewiesen, dass Mollath oft nur nach Akten beurteilt wurde – das ist wahrscheinlich so üblich?!
Ich stelle mir die Psychiatrie vor. Da sind vielleicht 20 bis 30 Ärzte, viele Pfleger und Aufseher, die die Patienten betreuen und zum Teil eben bewachen. Sie alle lesen monatelang in der Zeitung, dass sie da jemanden eingesperrt halten, der wahrscheinlich nur straffällig und nicht gemeingefährlich war und eine Haftstrafe in der Sache längst verbüßt hätte. Mit der Zeit hatte daran in Deutschland kaum noch jemand irgendwelche Zweifel. Naiv gesehen könnte die Psychiatrie Gustl Mollath doch noch einmal untersuchen? Berücksichtigen, dass seine Wahngebilde kein reiner Wahn sein konnten? Es ist nicht der juristische Lauf der Dinge, das ohne Anordnung zu tun – ich weiß. Aber wie denken die Ärzte dort als Menschen, die den Eid des Hippokrates abgelegt haben? Was denken sich die Juristen als Menschen, als die sie sich der Gerechtigkeit verschrieben haben? Was geht in ihnen vor? Als Mensch? Darf ich das einmal bohrend fragen?
Es ist der Umgang mit solchen Einzelfällen, wo sich fast Abgründe auftun. Ich weiß, dass Mollath „ein Einzelfall“ ist, aber es werden gerade schon andere ans Licht gezogen. Immer wird zuerst gesagt, es seien Einzelfälle, bei der NSA und der Kirche ja auch.
Und wie behandelt man diesen Einzelfall? Durch langes, langes Abarbeiten. Die Verfahrensmühlen laufen, an den Einsitzenden denkt keiner. Beeilung? Nicht zu sehen. Sieht die Justiz nicht, dass das kein Bürger verstehen kann? Lebt der Respekt vor ihr nicht davon, dass wir alles rund um die Justiz ehrend achten? Merkt sie nicht, dass es auch Justizverdrossenheit geben kann?
Es ist Wahl in Bayern und Deutschland, da kommt es gut, wenn sogar ein Ministerpräsident einmal so einen naiven Einfall hat wie ich eben: man könnte sich den Fall noch vor der Wahl anschauen. Diesen Einfall ihres Chefs hört eine Ministerin ein paar Mal unwillig an und tut ihn als naiv und nicht prozesskonform ab. Bald jedoch, weil sie wegen der Wahl das Gewissen drückt, gestattet sie sich die naive Frage, ob es(im Sinne ihrer Wiederwahl) alles so richtig zugeht im Fall Mollath. Ach, und dann gibt es zeitnah einen Gerichtsbeschluss, der aus einem ganz irre fadenscheinigen Grund eine Wiederaufrollung anordnet. DIESEN Grund zur Wiederaufnahme hätte man sich all die Jahre aus den Fingern saugen können. Gut, nun ist Mollath erst einmal aus der Psychiatrie und bekommt ein neues Verfahren. Jahre zu spät, einfach so viel zu spät.
Was steht in der Presse? So etwa das: „Der Rechtsstaat hat obsiegt.“ – „Der Gerechtigkeit ist Genüge getan.“ – „Man sieht, dass unser Rechtssystem letztlich doch richtig entscheiden kann.“ – „Wir als Juristen haben unabhängig entschieden. Frech, dass man uns Einknicken vor der Politik zutraut. Wer das sagt, schadet dem großen Ansehen der Justiz.“
Ja, schämt sich keiner? Warum machen wir keinen Sturm? Derzeit ist nur Sturm, weil im Raum Mainz die Züge nicht fahren können – der Bahn fehlt dauerhaft (!) Personal. Wir haben derzeit fast eine veritable Mainz-Staatsaffäre, „nur“ weil so viele entrüstete Menschen eine Stunde zu spät zur Arbeit kommen. Aber im Justizwesen fehlt doch wohl auch Personal? Nachhaltig und immer? Und da kommt alles Monate und Jahre zu spät? Kümmert das jemanden?
Die Mühlen mahlen so langsam… Immer wieder so quälend, oft liest man es so: Nach Monaten eine Anklage. Der Anwalt ist krank. Vertagung. Eine Akte kam neu hinzu. Vertagung. Ein Gutachten fehlt. Vertagung. Alle reisen immer brav zum Termin an – wieder eine Kleinigkeit: Vertagung.
Dazu fällt mir ein, dass das bei großen IT-Projekten bis in die 90er Jahre auch so war. Schritt für Schritt wurde alles erledigt, jeder kleine Mist zwischendurch erzeugte Wartezeiten, Kosten und Ärger. Dann begann man, mit Projektleitern zu arbeiten, die die Projektleitung wirklich als Leistungsberuf gelernt hatten. Da begann alles schneller zu gehen. Brauchen wir vielleicht wirklich VERANTWORTLICHE Justizprojektleiter (nicht nur best-can-do-Kümmerer auf Sachbearbeiterebene), die sicherstellen, dass alles im Gerichtssaal ist, wenn alle anreisen? Kann man vielleicht unwichtigere Zeugen per Skype vernehmen? Etc.
Dazu müssen natürlich wieder Gesetze geändert werden, was nach den Zeitvorstellungen der Wahlkämpfer geschehen müsste. Liebe Beamte: In der Automobilproduktion, im Maschinenbau und in den Banken, Verlagen und anderswo haben die Arbeiter und Angestellten die Prozesse um ein Vielfaches beschleunigen können. Sie haben dadurch große Mehrwerte geschaffen und ihre Lohnerhöhungen sauer verdient.
Und dann sind da andere, die nach sündhaft teuren Zeit- und Effizienzvorstellungen alter Zeiten arbeiten – und jedes Mal, wenn die Produktionsarbeiter unter Stelleneinsparungen und persönlichen Opfern die Wirtschaft nach vorne gebracht haben, „den Anschluss an die Lohnentwicklung der Industrie“ verlangen.
Ach, ich bin wütend. Nicht auf die Richter, die Sachbearbeiter und schon gar nicht auf die Fahrdienstleiter der Bahn bei Mainz. Sie sind ja alle überlastet und krank von Bergen aus Arbeit. Sie sind gezwungen, aus der Sicht heutiger Projektleitungskunst ineffizient zu arbeiten. Das Schlimme ist eben, dass sich niemand um diese alten Systeme kümmert: um die auch noch heute manuell zu bedienenden Bahnweichen aus der Kaiserzeit und die Ewigkeit im Justizwesen.
Späte Gerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit. „Gerechtigkeit Genüge getan“? Ich spucke Hohn. Die Gerechtigkeit dieses Einzelfalls ist vielleicht irgendwie wiederhergestellt oder das geschieht vielleicht im neuen Verfahren, was bestimmt wieder bis 2015 dauert – aber die Makrolage ist doch immer ganz finster! Und wir als Volk sind ganz finster: Wir sind jedes Mal mit einem System versöhnt, wenn dieses nach langem Hickhack dann doch wieder einmal kurz einen Knicks vor uns macht. Und ich frage ratlos: Dann kann alles so weiter gehen? Sind wir immer schon mit Entschuldigungen zufrieden? „Entschuldigung, dass die Banken uns das alles antaten.“ – „Verständnis bitte, dass es mehrere Jahre keine Zinsen für uns und deshalb kaum Lebensversicherungsauszahlungen gibt, damit die Banken wieder Eigenkapital sammeln können.“ – „Entschuldigung, dass Priester so etwas taten.“ – „Entschuldigung wegen der Störung im Betriebsablauf.“ Ja sind wir immer schon zufrieden, wenn sich jemand entschuldigt?
Im Justizwesen sind wir noch nicht einmal so mini-weit gekommen. Hat schon einmal ein Jurist gesagt: „Entschuldigung, dass es immer so grässlich lange dauert?“
21 Antworten
Die Dauer ist nur ein Aspekt.
Das andere ist, dass die Justiz Verfahrensregeln hat, die einem Programm ähneln und deren Logik, weil tradiert, von Juristen und Gesetzgebern sakrosankt gesprochen ist.
Nach diesen Regeln ist ein Wiederaufnahmeverfahren auch nicht die Neuverhandlung der Causa Mollath: er wurde ja, anders als Sie denken, damals freigesprochen (weil unzurechnungsfähig) und in die Psychiatrie verbracht. Die „Unschuld“ ist rechtskräftig, da niemand das alte Urteil verschlechtern darf. Es wird also nur darum gehen, ob Mollath je gemeingefährlich war, was mangels Rekonstruktionsmöglichkeiten auf die Frage reduziert werden wird, ob er es „noch ist“. Wie sein Anwalt Strate bei Beckmann richtig sagte, wird sich die Justiz relativ schnell aus dieser Sache zurückziehen. Konsens geht über alles. Auch wenn das Justizprogramm falsche Ergebnisse erzeugt: es funktioniert, weil es irgendwelche Ergebnisse erzeugt. Also, es läuft. Ein bisserl Kosmetik am § 63, die dann im Zweifel eine Verschlechterung bringen könnte, weil der Insasse dann vielleicht neu Begutachtungen unter 4 Augen durch sogenannte Experten nicht mehr ablehnen kann, wie Mollath es noch konnte. Und künftig besser aufpassen, dass sowas nicht mehr nach draußen gelangen kann. So einfach ist das. Die Fehlfunktionen des Programms und die, die es zudem mit falschen Daten gefüttert haben, die bleiben ungeschoren.
Dankeschön, richtig gute, fachkundige Ergänzung!
Hallo Herr Dueck,
sie sprechen aus und schreiben, was viele Menschen insgeheim denken. Es ist frustrierend aber es ist an der Zeit dass all diese Schweinereinen und Schlampereien ans Tageslicht kommen. Und ads kommen sie mehr und mehr.
Ob die NSA under BND undere Amigo Politiker in Bayern und ihre Spezel in den Lions- und Rotarierclubs dieser Welt. (so wie im Fall Mollath auch) schieben sich die „dinger“ zu oder eleminieren sie je nach Bedarf.
Der Bürger (das ist der, der für alles bürgt) hat langsam die Nase voll von all der Inkompetenz und Korruption in Deutschland. – Und wir lachen über Brasilien? Hier ist die Korruption nur einen schritt professioneller.
Aber esmuss wohl noch schlimmer werden bis sich der „Deutsche“ mal entrüstet und es muss krass werden bis er sich bewegt. So lange aber noch geld für die Chips und das Dosenbier von der Tanke da ist und 1x Pro jahr malle noch geht, müssen wir wohl noch mit der Lethargie der menschen leben.
Und so lange haben „Einzelfälle“ wie Mollath ein Problem aber es macht mich froh, dass sich menschen wie sie dazu luft machen und wie die „Schläfer“ anstecken und aufwecken.
Die Zeit der Gerechtigkeit wird kommen. Für ALLE! und dann werden eben einige and der Laterne hängen weil sie das Volk für blöd gehalten haben.
Danke für den Artikel
Ihr MrFlare
Manchmal heisst „Verantwortung übernehmen“, dass man jemandenem auf die Zehen tritt und sich mit ihm verdirbt.
Weiter so! Rütteln Sie die zahme satte Gesellschaft wach!
Das Schlimme an der Sache ist, dass das „Einzelschicksal“ immer dem System untergeordnet und damit unwichtiger ist. Ganz egal, ob Mollath in der Psychiatrie versauert, ob eine missbrauchte Person keine ehrlich gemeinte Entschuldigung erfährt oder ob sich der Züricher Flugzeuglotse beim Überlinger Flugzeugunglück bei den Opfern nicht entschuldigen darf, damit SwissControl rechlich „gut“ dasteht. Der Status Quo ist immer wichtiger als die Menschen, die darunter leiden. Und der Status Quo wird mit Klauen und Zähnen erteidigt, um ja keine Änderungen über sich ergehen lassen zu müssen, die das System vielleicht sogar verbessern. Das ist das Traurige daran. Der Mensch zählt nicht.
Natürlich ist der Fall Mollath ein Versagen von Menschen. Und ganz schlecht, dass es einer Presse Bedarf, hier wachzurütteln. Einer Presse, die im Rahmen der Verleihung des Theodor-Heuß-Preises an Cohn-Bendit nicht über dessen Vergangenheit als Pädophiler in den 70iger Jahren berichtet hat, weil die Grünen das sorgfältig verhindert haben.
Und ich meine, dass der alltägliche Wahnsinn in unserer Justiz eher bei „6 Monate auf Bewährung“ für einen Autofahrer liegt, der im Rahmen einer Selbstverwirklichungsübung eine Frau mit Kind auf der Gegenfahrbahn zu Tode bringt. Kommt jede Woche einmal vor. Oder wenn schon der Präsident des Bundesfinanzhofs die Finanzverwaltung vergeblich daran erinnert, dass auch bei Steuerdelikten erst einmal die Unschuldsvermutung zu gelten hat. Und so gäbe es viele Beispiele.
Irgendwie, Herr Dueck, suchen Sie sich immer Themen heraus, die so randständig sind, dass man sich aufregen und zum Sturm blasen kann, ohne zu wissen auf welche Bastion.
JD
Hallo Herr Debus, Ich gar nicht gesagt, dass Menschen versagen, das steht auch im Text. Das System versagt, oder die Verfahrensanweisungen. Und diese Bastion ist nicht randständig. Gruß GD
Hi Herr Debus,
zu den 6 Monaten bezüglich dem Autofahrer, in Bayern kann man jemanden im absoluten Vollrausch tot fahren und den Beifahrer zum Krüppel, und wird Jahre später Verkehrsminister in Bayern + Erhalt aller möglichen Auszeichnungen, just true und beschissen einfach:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/politiker-comebacks-da-bin-ich-wieder-a-748437-5.html
Grüße
Weil ich Kinder habe, habe ich mich einmal mit den Elementen einer Entschuldigung beschäftigt:
– formulieren, dass es einem aufrichtig leid tut
– Besserung geloben und dann auch praktizieren
– sich (für Zwecke der Besänftigung) eine Wiedergutmachung einfallen lassen
In dieser Konsequenz lernen das leider die wenigsten Kinder, noch beherrschen es die Erwachsenen.
Es wäre ein tolles Selbstverständnis für Journalisten, vornehmlich den Finger in diese Wunde zu legen…
hatte nicht Rothschild den richtigen Spruch?: Wir sind alle irgendwo in diesem System eingebunden und so sehr träge bei Veränderungen. Wer wirft da den ersten Stein?
Hallo Herr Dück, hallo Kommentatoren
ich bin im Grundsatz mit fast allem einverstanden, was da steht, vor allem mit dem mitreißend emotionalen und (!) zutreffenden DD.
Ähnlich wie in Medizin wird an solche Fällen auch immer erschütternd klar, wie sehr es um Menschen und Schicksale geht.
Aber irgendwas sträubt sich in mir, in einer Welt mit Grautönen so ganz ohne Einwand zu folgen. Deshalb eine – in Teilen graue – Ergänzung:
M.E. haben wir es in unserer Republik mit Teilsystemen zu tun, deren Unabhängigkeit aus guten Gründen (siehe: unsere eigene Vergangenheit, die Vorgänge in Russland, …) unter allen Umständen gesichert sein muss. Dass diese schlimmen Umstände bei uns Gott sei Dank nicht so sehr (siehe Anmerkung * weiter unten) gegeben sind, verstellt ein wenig den Blick darauf. Deshalb stört uns die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit von Forschung und Lehre, die Pressefreiheit, manchmal sogar die Religionsfreiheit, … mehr als dass sie uns notwendig erscheinen.
Wichtig ist allerdings, dass es zumeist weniger die Prinzipien sind, sondern eher das, was Menschen unter dem jeweiligen Mäntelchen damit anstellen: Die zugesicherte Unabhängigkeit erlaubt den Individuen im System, ihr Eigenleben zu pflegen. Dazu gehört die Wahrung persönlicher Interessen genauso, wie der des Kollektivs. Das ist von außen oft schwer zu erkennen, und wenn: In unabhängige Systeme von außen hineinzuregieren ist schwer (und im Übrigen auch prizipiell unerwünscht!).
Bleiben wir bei der Justiz (die taugt auch als Paradigma für andere Teilsysteme).
Es ist gut, dass sie unabhängig ist, aber uns scheint mitunter, dass sie vergessen hat, was ihr Zweck und damit ihre Daseinsberechtigung in unserer Gesellschaft ist. Sie hat sich „verselbstständigt“ und dadurch von der allgemeinen, manchmal schmerzhaften, gesellschaftlichen Entwicklung abgekoppelt, und das unter o.g. Mäntelchen über einen langen Zeitraum. Der Erhalt dieser Eigen-„Dynamik“ ist ihr wichtiger als die Aufarbeitung inhärenter Defizite, Fehlentwicklungen, etc. und damit zielgerichtete (interessanter Begriff in diesem Kontext) Weiterentwicklung der Organisation, denn das mit der gebotenen Transparenz und damit Öffentlichkeit widerspricht ihrem elitären Selbstbild.
Deshalb erfüllt Sie Ihren Zweck nicht (mehr?) im erforderlichen Umfang und mit der erforderlichen Integrität und Qualität. Die Fähigkeit zur Selbstheilung muss ihr leider abgesprochen werden. Daneben fehlen speziell diesem System einige wesentliche Schnittstellen zu Gesellschaft, die beim ursprünglichen Design wohl nicht vorgesehen waren.
Für einen Techie wie mich riecht das nach sehr uralter alter Legacy und schreit geradezu nach einer Reimplementierung des Teilsystems Justiz mitsamt allen Geschäftsprozessen! Allerdings, da ich weiß, wer das tun müsste (die Gesetzgebung), und ich außerdem kein Traumtänzer bin, … Wenn nicht das, was bleibt also konkret zu tun?
Wenn wir uns an andere Bereichen der Gesellschaft orientieren würden, in denen Wandel (natürlich nicht nur) erfolgreich stattfindet, liegt m.E. auf der Hand:
Ein anständiges Leitbild müsste her, aus dem sich Ziele für die Justiz als Ganzes und auf kleinere Einheiten ableiten ließe. Es müsste „Kunden“-orientiert sein. Alle müssen das gut finden und darauf schwören!
Nachdem es in diesem Bereich keinen Wettbewerb gibt, der für eine Auslese am Markt sorgt, muss es auf allen Ebenen Anreize für die permanente Arbeit an Verbesserungen geben, und zwar in Hinsicht auf Effizienz ebenso wie auf Qualität. Und dazu gehört dann auch Verantwortlichkeit in einem konsequenten Sinne.
Transparenz muss gewährleistet sein, damit der Chorgeist nicht höher steht als der Kundennutzen und damit man weiß, wo der Verbesserungsbedarf liegt.
Analog dem Risk-Management in großen Unternehmen muss es Eskalationswege neben dem üblichen Instanzenweg für besonders kritische Ereignisse geben.
Dieses System muss auf allen Ebenen Möglichkeiten zur Durchsetzung des Leitbilds haben, sonst wird es den Change nicht schaffen. Das Schicksal des Change-Managers muss mit dem Gelingen des Changes verbunden sein, im Große wie im Kleinen.
Wie steht‘s dann mit der Unabhängigkeit? Ich denke eine unabhängige Rechtssprechung lässt sich in transparenten und konsensfähigen Rahmenbedingungen ganz hervorragend gewährleisten.
Aber lässt sich die Justiz wie ein Unternehmen führen?
Herzliche Grüße,
Thomas Stürmer
…ich habe gar nicht gesagt, dass die Justiz nicht unabhängig bleiben soll. Soll sie! Ist gut! Aber sie hat trotzdem die Pflicht, effektiv Recht zu sprechen. So wie ein Prof. mit Freiheit für Forschung und Lehre gut lehren und Relevantes erforschen soll. Diese Verantwortung haben auch die, die sonst unabhängig in der Sache sind.
Unabhängigkeit der Justiz – ja,sehr gut und soll sie auch unbedingt. Nur zeigt Mollath´s Fall doch zu deutlich, das die Justiz eben nicht unabhängig von politischen oder wirtschaftlichen Einflüssen bleibt.Spätestens juristischen aber auch staatlichen (Staatsanwaltschaft)Kontrollinstanzen hätten die gravierenden Rechtsbeugungen und Rechtsverletzungen durch Gutachter und Richter hier auffallen müssen, da diese derart massiv und eindeutig waren.
Ich habe keine Lust den Beitrag zu suchen, ich glaube es war Prof.Dr.Müller der hierzu sehr schön und präzise formulierte – Unabhängigkeit der Justiz kann nicht bedeuten, Unabhängigkeit der Justiz von Recht und Gesetz!
Das drückt doch im Kern aus,das kein Systemfehler vorliegt,sondern Rechtsverletzungen und Pflichtverletzungen der Beteiligten. Es wird niemals ein „System“ geben, welches insofern fehlerfrei arbeitet, wo Menschen beteiligt sind und nicht immer ihre Eigeninteressen in den Hintergrund stellen können.
Wichtige Lehre aus den Vorgängen ist, das wir zur Abschreckung exemplarisch ernstzunehmende ausreichende Verfolgung und Ahndung solcher Rechts- und Pflichtverletzungen durch genau diejenigen,die die Einhaltung von Recht und Gesetz im Vertrauensvorschuß garantieren sollen, verbessern und verschärfen!
Ein Richter Brixner und ein Gutachter Leipziger konnte und Kann sich leider offensichtlich zu jedem Zeitpunkt vor solcher Verfolgung und Bestrafung für fahrlässige oder vorsätzliche Rechtsverletzungen im Amt sicher sein – das ist das Drama des Falles Mollath, während jeder kleinere Sachbearbeiter in irgendwelchen Unternehmen oder Ämtern mit drakonischen Strafen und persönlichen Folgen für Rechtsverletzungen zu rechnen hat!
Mit der Größe der Macht steigt auch die Größe der Seilschaften und Einflussnahmen – daraus entsteht leider auch eine gewisse Systematik, die Große Verschwörungen möglich macht.
Aus Wut soll keine Rache werden – aber aus Wut soll Gerechtigkeit und Gleichheit gegen alle entstehen,was derzeit nicht erkennbar ist.
Vor dem Gesetz scheint mit der Stufe der Karriere jegliche Verantwortlichkeit für das eigene Handeln abzunehmen – ob in Politik, Wirtschaft oder Justiz – die subjektive und wohl auch objektive Häufung derartiger Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten ist es wohl, weshalb die Menschen derart empört und massiv den Fall Mollath verfolgen.
Justiz und Politik sind gut beraten den Rechtsfrieden im Land nicht weiter auszuhöhlen, indem vor dem Gesetz nicht nur gefühlt offensichtlich eben NICHT alle gleich sind!
Wenn sich fortsetzt,was wir bei Mollath erlebten, nämlich Mauschel- und Vertuschungstaktiken insbesondere in den höchsten Ebenen des Rechts und der Politik, könnte man zum Schluß kommen, das wir eben keinen Rechtstaat haben, der funktioniert.So ist auffällig, wie langsam und geradezu abwartend sich das BVG in der Sache verhielt – das trägt angesichts der eindeutigen Grundrechtsverletzungen nicht unbedingt zum Vertrauen in den Rechtstaat bei.
Ich denke, ein wesentlicher Aspekt wird hier nur gestreift: Eine Wiederaufnahme heißt einzugestehen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. Die Tugend, zu seinen Fehlern zu stehen (und im Idealfall daraus zu lernen) ist heutzutage leider immer weniger verbreitet. Da wird dann lieber auf die Fehler Anderer hingewiesen: „ICH bin in diesem Fall vollkommen unschuldig, das ist nur so, weil …“.
Oder, noch allgemeiner formuliert: Destruktive Aktionen sind immer bequemer / einfacher als deren konstruktives Pendant.
In diesem Fall? Damals war es ja verzeihlich, meinetwegen, ihn für „verrückt“ zu halten, es war kein großer Fehler. Erst durch die Ereignisse rund um die Hypo stellte sich heraus, dass es eine neue Sachlage gab…
Aus meiner Sicht steckt hinter dem Fall Mollath von Beginn an die Absicht eines juristischen Apparates, ihn um jeden Preis „verschwinden“ zu lassen. Denn die Hürden, jemanden im Normalfall in die „Psychiatrie einweisen“ zu lassen, sind hoch. Ebenso wie in den Betreuungsfällen, wo extrem penibel geprüft wird, wie im Fall meiner Mutter (91), die vor vier Jahren die gesundheitliche und vermögensrechtliche Betreuung nach ärztlichem Gutachten vom Betreuungsgericht erhielt, jetzt aber wieder geprüft wurde (erst nach sieben Jahren notwendig), ob sich in diesem hohen Alter die Demenz nicht plötzlich verflüchtigt habe. Jeder Cent wird dort umgedreht, die Übertragung eines „Grundstückes“ von 1 qm im Wert von NULL Euro wird zur Betreuungsgerichtsfarce (Habe ich gerade erlebt) braucht Monate. Wo überall nur der APPARAT funktioniert, der Verstand und die Vernunft aber ausgeschaltet bleiben, erleben wir tragische Köpenickiaden!
Verwechseln Sie nicht Äpfeln mit Birnen – juristisch ist eine Betreuungssache etwas vollkommen anderes als eine Sache der forensichen Unterbringung nach physischer und psychischer Auffälligkeiten.
Es gibt eindeutig Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in sogar recht hohen juristischen und politischen Ebenen im Fall Mollath, aber ein Muster eines generalisierten Vorgehens eines “juristischen Apparates” kann ich nicht erkennen, dann wäre Mollath auch immer noch nicht frei.
Man stelle sich nur den gegenteiligen Fall (der ja auch genau so bereits vorgekommen ist) vor – ein gewalttätiger psychisch Kranker wird wegen falsch diagnostizierter fehlender Rückfallgefahr wieder auf freien Fuß gesetzt und tötet oder verletzt. Das will ja dann auch keiner, insofern ist an einer forensischen Unterbringung von Personen, von denen eine Gemeingefährlichkeit ausgeht ja nichts auszusetzen. Leider wurden scheinbar eben im Fall Mollath diese Möglichkeiten für Eigeninteressen Dritter mißbraucht. Das diese Eigeninteressen aber tatsächlich den gesamten juristischen Apparat betreffen ist unwahrscheinlich. Sicher gab es hier Taktiken und Machtspielchen aus vermeintlichem Korpsgeist einzelner Ebenen und Personen im Apparat, aber Mollath ist frei und das belegt, das nicht der ganze Apparat “befangen” ist.Wichtig ist hier die schnellstmögliche Aufarbeitung in Form von Verfolgung und Ahndung der Verantwortlichen sowie die Überprüfung von Altfällen und die Überprüfung der Regeln gutachterlicher Betrachtung.
Hier wird viel über Systeme und deren gewünschte Unabhängigkeit gesprochen. Ein Aspekt kommt mir in der Diskussion noch zu kurz: Die immer stärkere Vernetzung unserer Systeme und die dadurch bedingte Notwendigkeit, umzudenken. Mir sehr nahe gehende Einzelfälle wie die letzte Loveparade oder der Tod eines Pflegekindes in Bad Honnef hat mir gezeigt, dass die hier beteiligten Systeme sich alle gegenseitig Verantwortungen zugeschoben haben (und dies auch weiterhin praktiziert wird) und es offenbar – siehe Parallelität zum Projektmanagement – kein Mandat für eine Funktion gibt, die dafür sorgt, dass die beteiligten Systeme zielgerichtet zusammenarbeiten (Casemanager als Beispiel aus der Medizin). Im Pflegekindfall sind doch zumindest beteiligt: Jugendämter, Ärzte, Heime, Eltern und Pflegeeltern, Justiz…und alle Beteiligten haben schön konstruktivistisch ihre eigene Wahrheit, aber niemand sieht die Notwendikeit, eine zum Nutzen des Pflegekindes gemeinsame Wahrheit zu konstruieren. Statt dessen geht der hier genannte Prozess ebenfalls in sein drittes Jahr und es ist m.E. ein Skandal, dass er wieder neu „aufgemacht“ wurde, weil der Staatsanwaltschaft erst 9 Monate nach dem Todesfall die Ergebnisse des Gerichtsmediziners bekannt wurden (die bereits sehr kurz nach dem Tod vorlegen)…Ja..und der Justiz ist natürlich zu folgen..in unserer herrlichen Obrigkeitsgläubigkeit.
Deshalb frage auch ich: Wieviel Mist darf eigentlich noch toleriert werden?
Herr Dueck – Danke für Ihren Artikel.
es sind bald Wahlen. Nachfolgenden Text darf jeder gerne an den/die Abgeordnete(n) seines Wahlkreises senden:
Sehr geehrte(r) …,
in einem Interview fordert der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und Direktor des Amtsgerichts Regensburg, Dr. Clemens Prokop, aufgrund der aktuellen Enthüllungen zu Dopingmissbräuchen längere Verjährungsfristen (20 Jahre!!) für Doping-Vergehen.
http://www.mittelbayerische.de/index.cfm?pid=10089&pk=942738
Hierbei äußert er sich, dass
„Eine verlängerte Verjährungsfrist würde für eine deutlich erhöhte Verunsicherung im Lager der gedopten Athleten sorgen. Sportbetrüger könnten sich sehr, sehr lange Zeit nicht mehr sicher sein, dass sie nicht doch dank verfeinerter Analysemethoden entdeckt werden.“
Diese Ausführungen eines hochrangigen bayer. Justizbediensteten geben mir Anlaß nachzufragen, wie Sie zu den schwerwiegenden Ausführungen des Anwaltes Dr. Strate hinsichtlich der (teilweise schon verjährten) Rechtsbeugungen im Fall Mollath stehen.
http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Klagerzwingung-2013-08-15.pdf
Wäre es im Vergleich zu Dopingvergehen zur Wahrung eines Rechtsstaates nicht viel wichtiger, notwendiger und konsequenter, dass insbesondere für Vergehen der Rechtsbeugung ebenfalls längere Verjährungsfristen eingefordert werden und sich die Legislative sich dieser Problematik annimmt? Würden Sie dies unterstützen?
Denn
eine verlängerte Verjährungsfrist (20 Jahre!?) würde für eine deutlich erhöhte Verunsicherung im Lager der unredlichen Richterschaft sorgen. Rechtsbeuger könnten sich sehr, sehr lange Zeit nicht mehr sicher sein, dass sie nicht doch dank neu gewonnener Sachverhaltserkenntnisse entdeckt werden.
Hierbei erinnere ich an das Zitat des Königs Friedrich II vom 11.12.1779:
Daß ein Justizcollegium,
daß Ungerechtigkeiten ausübt,
weit gefährlicher und schlimmer ist, wie eine Diebesbande,
vor die kann man sich schützen,
aber vor Schelme, die den Mantel der Justiz gebrauchen,
um ihre üble Paßiones auszuführen,
vor diese kann sich kein Mensch hüten,
die sind ärger wie die größten Spitzbuben, die in der Welt sind.
Für mich ist in erster Linie Richter Brixner schuld und derart befangen, das sich dessen Rechtsverletzungen nicht mehr als fahrlässig einstufen lassen. Mit welcher selbstherrlichen arroganten Ignoranz und menschlicher Kälte er alle Weichen stellte, um Mollath ein für offensichtlich eigene Zwecke – denn rechtstaatliche Zwecke sind hier nicht erkennbar – dienliches Urteilspaket zu schnüren gehört eindeutig auf die Anklagebank und wenn diese Vorgänge um Brixner keine strafrechtlichen Konsequenzen für ihn nach sich ziehen – dann,aj dann stimmt etwas am System nicht! Dann unterscheiden wir uns nicht vom dritten Reich, wo eine willkürliche selbstherrliche menschenrechtslose Justiz Menschen ungestraft vernichtete.
Vor dem Gesetz sind alle gleich, außer diejenigen, die insbesondere das hohe Recht repräsentieren?? Diese dürfen ungestraft alles? Dann sind eben nicht vor dem Gesetz alle gleich!
„Die welt ist, was der Fall ist.“ Sagt der liebe Ludwig Wittgenstein. Ich bin kürzlich auf einen Artikel aus der Lokalzeitung aus der Gegend Mollarths gestoßen. Erhellenderweise stellt sich aus deren Perspektive die Situation ganz anders dar. So grob etwa so (dies ist natürlich auch eine Verkürzung, ich gebe also wieder, was mir im Kopf geblieben ist von der anderen Darstellung, keine ‚Fakten‘ 😉 ): Mollath heiratet und leiht sich wieder und wieder Geld von seiner Frau für sein darbendes Geschäft (insgesamt ziemlich viel), als sie sich entzweien will sie ihr Geld zurück, er antwortet mit den pressebekannten Vorwürfen aber es gibt auch aufgeschlitze Reifen und allerlei anderes Ausfälliges, weswegen Mollath vor Gericht landet, das entscheidet, ihn nicht in den Knast zu stecken sondern in die Psychiatrie.
Es blieben natürlich diverse voneinander abgeschriebene Gutachten, persönlich-hormonelle Verflechtungen etc.pp. aber IRGENDWER in dem Fall hat jedenfalls jede Menge kriminelle Energie — jedenfalls nach Darstellung der Lokalzeitung. Es ist jedenfalls wahrscheinlich nicht einfach. Das ist Objektivität an sich nie.