Wahr ist nur, was ohne Interesse richtig aussieht

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Was ist „wahr“? Was ist eine bloße Meinung? Was ist glatt falsch? Dazu ist mir etwas eingefallen, weil ich über ein paar Worte von Immanuel Kant gestolpert bin, der über das „Geschmacksurteil“ philosophierte und sich damit als einer der ersten mit den Fundamenten der Ästhetik auseinandersetzte. Er definiert im Grunde: „Schön ist, was ohne Interesse gefällt.“ Aber viele Menschen finden etwas nur oder auch deshalb „schön“, weil es angenehm ist, nützlich oder gut ist. Das aber ist kein interesseloses Urteil des Geschmacks!

Diesen Gedanken könnte ich auf „Wahrheit“ oder „Richtigkeit“ ausdehnen. Ich habe ihn schon im Titel genannt: „Wahr ist etwas nur, was ohne Interesse oder Filterblase richtig aussieht.“ Filter können Gruppen in sozialen Netzwerken sein, Beschränkungen in der nötigen Vorbildung oder Parteilichkeit im weitesten Sinne, die sich oft dadurch bemerkbar macht, alles Unverstandene im Außenbereich für „planvoll böse“ zu halten. Ich habe einmal jemandem vorgezählt, dass es in seiner Bekanntschaft etliche Scheidungen und ähnliche Familienzerwürfnisse gab – und immer war die nichtbefreundete andere Seite grässlich schuldig an dem „Krieg“. Ich fragte: „Ist es nicht statistisch auffällig, dass Sie ausnahmslos auf der Seite der Guten stehen?“ Dieses Argument wurde nicht verstanden.

Wir spüren denn auch immer häufiger, dass etwas für richtig oder wahr „erkannt“ oder „verkauft“ wird, weil Interessen oder enge Glaubenssätze dahinterstehen. Wir spüren: Da herrscht Filterdummheit! Da will jemand etwas verkaufen oder weismachen, da möchte jemand z.B. Parteivorsitzender, Finanzminister oder Außenministerin werden! – Alles von solchen Menschen Gesagte müssen wir auf Glaubenssätze, Ideologie, Interessen, Taktiken und Strategien abwägen. Influencer haben Interesse an Klicks, Chaoten an Zulauf, Wunderheiler an profitablen Gläubigen: Deshalb hört der Verständige jemandem nie mehr einfach zu. Wir berechnen, was an dem Gehörten berechnend berechnet sein könnte. In der Filterblase wird dagegen alles für bare Münze genommen.

Weil insbesondere in der öffentlichen Kommunikation fast jeder etwas im Schilde führt, nehmen wir grundsätzlich an, dass wir es überwiegend mit menschlichen Vertriebscharakteren und deren Verkaufsabsichten zu tun haben. Erich Fromm trauerte vor gut 50 Jahren über das Aufkommen der Marketingcharaktere, die sich vor allem zu dem Zweck äußern, in den Augen der anderen persönliche Geltung zu erringen. Das ist – Verzeihung, verehrter Herr Fromm – heutzutage viel zu kurz gegriffen: Aus dem Marketingmenschen, der Eindruck schinden wollte, hat sich der Vertriebscharakter entwickelt. Der hat natürlich auch einen Geltungstrieb, aber einen erweitert allgemeineren. Extreme ziehen bewusst Hass auf sich, um zu provozieren. Sie suchen den Affront, sie profitieren vom evozierten Zorn, der sich in Nutzen verwandeln lässt. Verbales Draufhauen ist zum Beispiel profitabel, wenn genügend Applaus derer aufbrandet, die Schadenfreude gegenüber den Opfern empfinden. Trump über Biden: „Sleepy Joe.“ Auch gibt es Wölfe im Schafspelz, die Nutzen daraus ziehen, als Schaf oder Menschenfreund gesehen zu werden…

In meiner frühen Managementzeit wurden öfter Strategien einzelner Bereiche diskutiert. Ich versuchte (damals: zu jung/naiv?) nach Kräften, meine besten Gedanken dazu abzugeben. Ein paar Mal wurde ich regelrecht angefaucht. „Warum sagen Sie das?“ – „Wie, warum? Ich wollte etwas beitragen.“ – „Mit welchem Interesse sagen Sie das?“ – „Ich will nur etwas beitragen.“ – „Warum, bitte, wollen Sie etwas beitragen?“ Etc.

Ich will sagen: Es wird kaum noch für denkbar gehalten, dass sich jemand in Debatten einfach so um Wahrheit kümmert, ohne Eigeninteresse. Da gerät das Richtige oder der gesunde Menschenverstand zwischen die Fronten! „Hausverstand! Bitte draußen angeleint warten! Hier wird gekämpft! Leute mit wahrhaftiger Meinung stören!“

Ein Beispiel: Seit Angela Merkel vor zwei Jahren erklärte, nicht wieder als Kanzlerin antreten zu wollen, wurde jede politische Äußerung – welche von wem auch immer – auf die Goldwaage gelegt. Nützt dieses Statement den Rechten, den Linken, diesem oder jenem Kandidaten? Sogar wissenschaftliche Debatten gerieten auf diese schiefe Bahn. Jede Äußerung zu Corona wurde von den Medien untersucht, in wessen Interesse oder zu wessen Nutzen diese Aussage dienen könnte. Lockern? Verschärfen? Das wurde NICHT diskutiert, sondern: Wer hat welchen Vorteil von Vorschlägen zum Verschärfen oder Lockern? Wem nützt das? Welche Wählergunstverschiebungen löst eine Bemerkung aus? Lockern? Aha – beliebt machen. Verschärfen? Aha, profilieren.

Kurz: Es wird unter allen Umständen vermutet, dass hinter jedem Richtigkeitsurteil ein Interesse stehen muss. Das Aufdecken dieses Interesses ist den Medien wichtiger als die Aussage selbst, denn diese ist ja nur eines Interesses wegen in den Ring geworfen worden. Im Kampf der Interessen stören dann die inhaltlichen Meinungen und Richtigkeitsurteile, die ohne jedes Interesse ausgesprochen werden, weil sie in den „Battle“ der Interessen eingreifen und den Gegnern plötzlich unerwartete Vor- oder Nachteile bescheren.

Wahrheit stört in diesen Tagen, weil zu wenige an ihr interessiert sind.

Einige Virologen versuchen verzweifelt, mit wissenschaftlicher Ethik den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu predigen. Wir sehen an dieser Front stündlich über Apps, dass hier das Richtige extrem provoziert. Wahrheit darf nicht stören! Deshalb wird nun auf der einen Seite der wissenschaftliche Ruf der führenden Virologen angezweifelt, auf der anderen Seite aber wird jedes Wahlversprechen und jede Hausarztmeinung als absolut wahr empfunden, wenn der Sender der Botschaft subjektiv sympathisch ist und dessen Interessen mit den eigenen verschmelzen. Das trifft auf Fernsehköche und Spitzensportler eher zu als auf Virologen. Filtergefängnis.

Menschen werden Fans von Urteilen und Erklärungen, die ihnen in den Kram passen, also ihren Interessen dienen. Sie sind Fans von Meinungen wie von Fußballklubs, zu denen man auch stehen muss, wenn sie alles falsch machen, schlecht spielen oder gar absteigen. Solchen so verstandenen Meinungen wird ein Treueanspruch zugestanden. „Ich stehe zu meiner Meinung, was auch immer geschieht.“ Wer seine Meinung ändert, ist untreu und wird ausgestoßen. Die Medien moderieren in ihrem Eigeninteresse diesen Kampf um die Deutungshoheit in der Arena der Meinungen. Sie inszenieren die angebliche Suche nach dem Richtigen wie Ligaspiele.

In diesen Arenen geht es gar nicht um das Richtige. Das interesselose Richtige würde die Gladiatorenkämpfe der Meinungen und Filter zu sehr einengen. Das interesselose Richtige fordert außerdem eine gewisse Grundbildung und Ehrlichkeit. Diese Forderung schließt Amateure aus, die sich zum Beispiel gestern beim Glühwein ein neues Geldsystem ausgedacht haben. Nein! Jeder darf in den Medien mitmachen! Jeder! Das Richtige muss sich dem Grundrecht des Menschen beugen, für jedermann erkennbar, einfach und verständlich zu sein. Das Richtige muss ohne Lernen erfasst werden können. Dem Richtigen wird empfohlen, sich in 280 Zeichen bei Twitter zu beschränken, ganz nach der Forderung von Top-Managern und Politikern „Was nicht auf eine PowerPoint-Folie passt, akzeptieren wir nicht.“

Gerade kam die Meldung herein, dass jemand im TV eine absolut verantwortungslos falsche Zahlenangabe vertreten habe. Warum sendet man das? Der Sender säuselt vom Pluralismus der Meinungen, der von ihm von jeher gefördert würde. Er fürchtet sich vor den Vorwürfen, jemanden beim Battlen ausgeschlossen zu haben. Das geht nicht!

Das Richtige, Faktische und die „Wahrheit“ gibt es zwar im Prinzip, aber sie müssen sich zusammen mit dem Falschen in den Pluralismus der Vielfalt gleichberechtigt einreihen, denn die Forderung nach der Priorität des Richtigen ist arrogant, exklusiv und elitär. Auch das Falsche hat ein Recht auf Inklusion und Partizipation.

Ich habe dazu einmal in etwa so zynisiert:

In der Bevölkerung war ein Streit entstanden, was Zwei plus Zwei wäre. Die üblichen Standardmedien berichteten mit Berufung auf schnell befragte Fachleute, dass das Ergebnis Vier lauten würde. Das wurde sofort angezweifelt, weil auch BILD für Vier eintrat. Ein Politiker, der im Ruf stand, nicht bis drei zählen zu können, tippte darauf, dass Zwei plus Zwei sehr viel sein müsse, also Drei. Die Opposition rieb sich die Hände. Es gab umgehend Demonstrationen gegen die Lügenpresse. Die TV-Anstalten planten sofort, die Angelegenheit in die Talk-Shows zu hieven. Inzwischen gab es auch Meinungen, dass das Ergebnis Eins, Zwei, Fünf oder Sechs sein könnte. Noch größere Ergebnisvermutungen wurden nicht zugelassen, weil eine pluralistische Talkrunde personell ausufern würde. Der eingeladene exklusive Kreis der Kontrahenten (meist Prominente, die gerade ein Buch veröffentlicht hatten) wurde zu einem Eingangsstatement aufgefordert. Der Vertreter der Vier, ein skurril gekleideter Mathematiker, startete mit einer Begründung der vorherrschenden Meinung Vier. Statt einer verständlichen Erklärung beleidigte er aber alle anderen, darunter geschätzte Berühmtheiten und gutaussehende Influencer, wobei er das Wort Idioten benutzte. Daraufhin beschlossen die Anwesenden, darüber abzustimmen, ob Vier überhaupt stimmen könne. Diese Abstimmung ging 5 zu 1 aus. Erleichterung brach sich Bahn, aber die Stimmung blieb gereizt. Man konnte sich nicht einigen, denn für alle Ergebnisse gab es gute Gründe, nämlich die feste Überzeugung eines Prominenten mit einer größeren Fan-Base. Das Lösen der Aufgabe schien schwierig zu sein, weil keiner in der Runde seinen Standpunkt im Namen seiner Fans aufgeben wollte. Der von der Bühne verbannte Mathematiker bat, einen Taschenrechner zu bemühen, wobei ihn ein berühmter Philosoph über den Haufen brüllte, dass die Computer keinesfalls die Herrschaft über die Menschheit übernehmen dürften. „Und die Mikrowelle auch nicht!“, schrie ein Sternekoch.

Ernüchterung. Neueste Meldung:

Ein Sender erweitert das TV-Format „Sag die Wahrheit“. In einer ganzen Staffel sollen nun Protagonisten je zwei Stunden diskutieren. Nach jeder Runde stimmt das Publikum ab, welches Ergebnis am schlechtesten vertreten wird und damit ausscheidet. Bis zum Finale Grande! „Sind vier Folgen nicht etwas mickrig für eine ganze Saison?“ – „Wir suchen einfach nach Leuten mit größeren Hausnummern. Wir könnten uns gut einen Comedian vorstellen, der gewinnt wahrscheinlich auch.“ – „Oh, kennen Sie denn schon das Ergebnis? Es ist höher als Sechs?“ – „Aus Ihnen wird in der Medienbranche nichts, wenn Sie sich dafür interessieren.“ – „Wieso?“ – „Sie müssen stets ergebnisoffen sein, sonst gibt es keinen Zoff.“

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33 Antworten

  1. Nach der personalisierten Werbung durch Facebook kam die personalisierte Lüge auf. Eine Innovation von Steve Bannen und Cambridge Analytica…
    Alternative Fakten beherrschen heute die Welt. Marktforschung oder empirische Forschung ist ja heute weitgehend überholt. Frag einfach Fratzebook.

    Nach 150 Likes kennen die Dich besser als Deine werte Ehefrau.
    Im übrigen war 2+2 schon immer 5-1; zumindest im Leben und an der Börse…

    1. Wir müssen endlich wieder Champions der Wahrheit werden
      Vielen lieben Dank für ihre Sichtweise Herr Professor Dueck
      mit besten Grüßen
      Mario Rossetti

  2. Super Glosse, profund und schmunzelnd, zu einer der schwierigsten Fragen einer solidarischen Gesellschaft: Hat Inklusion Grenzen und wenn ja, wo könnten sie liegen?

    Da muss ich an die drei wunderbaren Gehirnnutzungsvarianten „wahr/richtig/natürlich“ in Ihrem Buch „Omnisophie“ denken, lieber Herr Dueck. Und frage mich, versonnen und schmunzelnd:

    Haben nur „Richtige“ und „Natürliche“ Menschen (im Sinne Ihres Buches) egoistische Interessen und Meinungen, und „Wahre Menschen“ nicht?

    Und falls doch auch „Wahre Menschen“, die sich im Namen der Wahrheit öffentlich äußern, hierbei auch egoistische Motive hätten (neben der Liebe zur Wahrheit; und seien es zB unbewusste Ängste): Welche könnten das sein?

    1. Ich habe in der Omnisophie die drei Menschentypen nicht bewertet oder wertend verglichen. Das könnte man manchmal. Ich verweise auf einen kurzen Wikipedia-Artikel über „Buddhi“ (kann den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit erkennen), der auch Bezug auf „Manas“ nimmt (schielt auf Interessen). Zu Ihrer Schlussfrage: Sie fragen nach dem Manas-Anteil in mir? Wenn da nun (fast) keiner ist? Ich bin jetzt etwa 20 Jahre älter als bei Schreiben der Omnisophie… und ja, schon alt. Da nehmen die eigenen Interessen doch ab? Jedenfalls bei mir (Selbstbildäußerung).

  3. Das ist wieder einmal ein schöner DD zum Aufheben – danke dafür!
    „Was ist Wahrheit!“ rief schon Pontius Pilatus zynisch demjenigen entgegen, der vor ihm stand und sagte, er sei die Wahrheit… Wir leben wieder in einer solchen Zeit, in der der Meinungskampf (stellvertretend für den Interessenkampf) alles dominiert und jede Aussage beliebig wird.
    „Wir irren allesamt – nur jeder irrt anders.“ Dem Mathematiker mag dieser Spruch nicht behagen, da die Mathematik als echte Geisteswissenschaft ihre Wahrheit aus sich selbst heraus erweist. Aber wenn es um „die Erkenntnis der Welt“ geht, ist Wahrheit halt immer nur das abstrakte Abbild der Wirklichkeit . Und die Wirklichkeit zu erkennen, wie sie „tatsächlich“ ist – das überfordert den Menschen seit jeher, glaube ich. Zumindest sobald es um einfachste Erkenntnisse wie „Es regnet“ hinausgeht. Und selbst bei diesen können wir uns täuschen.
    Abgesehen davon bleibt es beim Erkennnen der Wirklichkeit, wie sie „tatsächlich“ ist, leider überhaupt nicht. Es kommt noch schlimmer: Ist sie erkannt, wird das Erkannte gedeutet, interpretiert, bewertet. Und dann geht es nur noch um Werte, Standpunkte, Sichtweisen, und – ja genau: vor allem um Interessen.
    Um auf dieser Stufe ein bisschen Orientierung darüber zu bekommen, welchen Täuschungen man dabei unterliegen kann, hilft es, z. B. Watzlawick zu lesen… (oder auch DD 😉 )
    Wie kommen wir miteinander vernünftig aus diesem „Schlamassel“ heraus? Genau genommen kommen wir nicht heraus. Es bringt wenig, wenn wir uns über das Richtige oder Falsche streiten, und deshalb sollten wir uns darum auch weniger kümmern. Vielmehr sollten wir uns um das Schöne und Gute bemühen. Und dabei aber vor allem um Einigkeit – das ist schwer genug!

    Warum ich das jetzt alles hier schreibe? Nunja, halt um „etwas beizutragen“ 😉

    1. „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ – autsch, da war was und wir sind wieder am Anfang.
      Und das mit der Mathematik und Geisteswissenschaft und Wahrheit aus sich selbst heraus erweisen, nun, das ruft einen gewissen Herrn Gödel auf den Plan und schon gehen sich wieder alle gegenseitig an die Gurgel (gerade die sonst so friedfertigen Mathematiker).
      Dahin ist das Modell tatsächlich immer nur so gut, wie der aktuelle Stand von Wissen und Ästhetik; und selbst die wandeln sich über die Jahrtausende.
      Also ist das mit dem Streben nach dem Schönen und Guten auch ein recht gefährliches Unterfangen. Aber dies nur am Rande…

  4. Herr Dueck: Ich bin ein stets durchaus kritischer, aber zunehmend begeisterter Leser Ihrer Stellungnahmen.
    Dieser Beitrag hier ist einfach genial, ein wirklich und wahrhaftiger Eye-opener! Er dürfte/sollte/ja: müsste doch jetzt endlich mal etwas Aufruhr verursachen in den Gehirnwindungen (eine Erleuchtung sein ist sicher zu viel verlangt) all dieser Dumpf…, deren es viel zu viele gibt in diesem unserem Land?!

  5. Ein Traum wäre ja schon, man könnte sich nach endlosen Debatten zumindest darauf einigen, dass das Ergebnis von 2+2 zwischen 3,8 und 4,2 liegt … Viele Grüße aus Warburg

    1. 2 plus 2 ist 5 oder sogar 6 für extrem große 2. Dies kann man mit Excel und durch Ausblenden der Nachkommastellen sogar „beweisen“. Wie, ich muss Rahmenbedingungen angeben? Wer fordert das?

  6. Richtig: In der Bevölkerung war ein Streit entstanden, was Zwei plus Zwei sei.

    Bis auf den kümmerlichen Konjunktiv in der jetzigen Fassung Ihres wertvollen Texts eine perfekte Aufklärung aktueller Denkfehler. Tatsächlich hängen derzeit aber viele Institutionen ihre Meinung nach dem politischen Wind. Ethikrat, EKD, Bundesverfassungsgericht. Von der neulichen Verunglimpfung der Eigenverantwortung ganz zu schweigen.

    Ein Revoco ist niemals eine Schande, bitte allseits ständig den eigenen Standpunkt hinterfragen.

    Liebe Grüße
    Andreas Neumann
    Münster

  7. Wunderbar geschriebener, pointierter Artikel, der zum Schmunzeln einlädt. …. Die Ausführung ob 2+2 4 sei ist Ihnen genial gelungen, tut schon ein bisserl weh es zu lesen, aber trifft die Sache ungemein gut, wie die heutige Zeit agiert und reagiert.
    Danke und mit lieben Grüßen aus Wien!

  8. In Karl Poppers „Kritischem Rationalismus“ wird immerhin eine Falsifizierbarkeit gefordert, d.h. die Möglichkeit, Theorien durch Experimente und Beobachtung zu widerlegen. Es ist knapp ausgedrückt etwas so lange wahr bis es widerlegt wird.

  9. Ich schließe mich dem Lob an und bedanke mich für den Begriff „Vertriebscharakter“.

    Ich würde den Begriff direkt auf die Mehrheit der Medien ausweiten. Meiner Wahrnehmung nach geht es dem Journalismus nicht so, dass er Intentionen erkennen und aufdecken will. Ich sehe hier auch hauptsächlich den Vertriebscharakter (vielleicht steht das auch so im Text, dann ist es mir nicht gelungen, das herauszulesen).

    Mir ist dieser Vertriebscharakter besonders unangenehm in der Kombination Politiker – Berichterstattung in den Medien aufgefallen. Ich empfand, als dominierte die Unwahrheit. Politiker haben gelernt so zu reden und zu antworten, dass alle Fragen im Sand verlaufen.

    Demaskiert wurde diese Unart des Redens durch die Kinderreporter, die Armin Laschet in die Enge manövriert haben. Das habe ich hier zu beschreiben versucht: http://buchtaleck.eu/?p=1745 .

    Offensichtlich ist der Vertriebscharakter noch nicht so weit ausgeprägt, als dass er sich auch an Kindern ausagiert (zumindest in diesem Fall nicht).

  10. Gregor Gysi meine bei Markus Lanz letzte Woche, dass in politischen Gremien eine Entscheidung getroffen wird. Der nächste Tagespunkt sei dann meist: „Wie verkaufen wir diese Entscheidung am besten“? Das untermauert den Verkaufs-/Vertriebscharakter…

  11. Ja, 2+2 ist 4. Nur im Moment und auch sonst ist es im Leben nicht so einfach, dass 2+2=4 ist. Es gibt gerade in der Wissenschaft nicht DIE Wahrheit und garnicht in der derzeitigen Situation.

    1. Ich habe mich hier im Blog nie einigen können, ob bei der Querdenker Demo Aug 2020 nur 20.000 Leute waren (sagte die Polizei) oder 800.000 oder gar 1.300.000 Millionen (sagten Querdenker Brinkmann, heute untergetaucht). Da gibt es eine Wahrheit. Da gab es Bilder und die Unmöglichkeit, plötzlich 1 Mio auftauchende Leute zu beherbergen oder logistisch hin und her zu bekommen. Wissenschaft hat einen derzeitigen Kenntnisstand, nicht endgültige Wahrheit. Aber der wird abgestritten. Immer.

      1. Danke für Ihren Kommentar. Ich würde Ihre beiden letzten Sätze umschreiben wollen: „aber der ist umstritten. immer.“ Dann haben sie, das was Wissenschaft sein sollte. Immer umstritten, immer offen für Diskussion, immer offen für andere Ansichten.

        1. Ja, sorry, umstritten, aber der Kenntnisstand wird doch immer besser, das ist das Ziel der diskutierenden GEMEINSCHAFT der Wissenschaftler… es geht DARUM, nicht um „andere Ansichten“. Wenn eine Ansicht widerlegt ist, wird sie fallengelassen. Das ist derzeit nicht so. Es wird einfach weiterbehauptet, was widerlegt wurde. Dafür soll man eben nicht offen sein. Wissenschaft will auch nicht empathisch gegenüber Dummheit sein und sich in einen heillosen Erziehungsweg verstricken.

  12. Sie schreiben „auf Glaubenssätze hin zu überprüfen“, dabei geht es doch insgesamt nur darum, wer etwas glaubt und wer nicht, wie schon seit Jahrtausenden. Glauben heißt „nicht wissen, aber für wahr empfinden“ (sic).
    Ich empfehle Bertolt Brechts „Leben des Galilei“, denn es ist alles schon einmal dagewesen, vielleicht heute mit Fratzenbuch und Konsorten nur vermeintlich lauter.
    Apropos: „Gott würfelt nicht“ – Albert Einstein (und Meister Heisenberg wundert sich)

  13. Danke für Ihren Kommentar. Ich würde Ihre beiden letzten Sätze umschreiben wollen: „aber der ist umstritten. immer.“ Dann haben sie, das was Wissenschaft sein sollte. Immer umstritten, immer offen für Diskussion, immer offen für andere Ansichten.

  14. Wahrheit, eines meiner Lieblingsthemen. Gibt es eine wahre Wahrheit? Ich denke nein. Auf der einen Seite strebt der Mensch nach Wahrheit auf der anderen Seite ist die Wahrheit für viele schwer zu ertragen. Sie tut oft weh. Und Wahrheit hat, in meinen Augen auch immer mit einem persönlich verfolgten Interesse zu tun. Der Mensch an sich ist eben emotionsgesteuert, ergo sucht oder bastelt er sich die Wahrheit zurecht, mit der er am besten leben kann. Dem entsprechend wird die Wahrheit gebogen bis sie passt. Verwerflich? Nein!, menschlich.
    Die Wahrheit könnte ohne die Lüge nicht existieren. Das haben wir hoffentlich verinnerlicht. Wenn das so sein sollte, dann kommt genau hier der Zweifel ins Spiel. Das Hinterfragen dessen, was einem als wahr verkauft wurde. Wer das gut kann und kognitiv nicht zu früh abbiegt, der kommt der/einer Wahrheit näher.

  15. Kant selber hat ja auch einen Begrifg von Wahrheit geprägt. Kants Auffassung von Wahrheit ist, was im Ausdruck enthalten ist. Das bedeutet soviel, wie das logische Wesen des Gegenstandes oder die Gesamtheit der Prädikate, wie sie durch den Begriff des Gegenstandes bestimmt werden. Den Gegenständen selbst kommt also keine Wahrheit zu, sondern nur ihren Begriffen.

    Ästhetisch wahr ist nach Kant, was ohne Interesse ist. Das heißt, dass nicht der als schön bezeichnete Gegenstand schön ist, sondern dass nur das ästhetische Urteil wahr ist, wenn es ohne Interesse zustande kam. Es gibt aber auch einen Unterschied:
    Die Ästhetik befördert jedoch keine Erkenntnis.
    Erkenntnisse gibt es nur bei Gegenständen, die in der Anschauung unter den raumzeitlichen Bedingungen gegeben sind. Hierauf bezieht sich der Begriff der Gegenstände und bildet ein Urteil, das wahr ist. In der Ästhetik gibt es solche Urteile nicht. Deshalb bildet sie einen anderen Bereich der Wahrheit ab.
    (aus Diskurs mit und nach Ernst Otto Onnasch)

      1. Ja schon, aber begründet wird dieser Genaralverdacht, indem eine Parallele zur Ästhetik von Kant gezogen wird; ich fand den Gedanken sehr interessant, habe lange darüber nachgedacht und ihm mit einem Professor für Philosophie erörtert. Dabei bin ich aber zu einer gewissen Einschränkung gekommen, da, vereinfacht, Schönheit subjektiver als Wahrheit ist. Wenn jemand sagt, ein Bild sei schön, weil er es verkaufen möchte, ist diese Aussage im kantschen Sinne nicht wahr. Die Aussage, Das Bild sei wertvoll, kann aber anhand des Begriffes „wertvoll“ verifiziert oder falsifiziert werden und somit trotzdem wahr sein, obwohl sie mit oder sogar nur aufgrund eines Interesses getroffen wird. Insofern finde ich eine 1:1 Übetragung schwierig, nur aus meiner persönlichen Perspektive. Das soll keine Kritik sein, es ist nur das Ergebnis meiner Beschäftigung mit der Thematik. Ich habe mehrere Bücher von Ihnen im Regal, ich habe schon oft gesagt und geschrieben, ich wünschte, ich hätte „Wild Duck“ zu Anfang meines Berufslebens gelesen, das hätte mir wahrscheinlich viel unnötigen Ärger und Widerstand gespart. Es hst mein Verständnid für andere Menschen mit anderen Ansätzen dramatisch verbessert. Ankhaba besitze ich in der Erstausgabe mit Filzcover und finde es immer noch sehr unterhaltsam, was die spitzen Anspielungen auf die IT-Welt betrifft. Auch die Artikel in Omnisophie lese ich regelmäßig, an diesem bin ich aber besonders lange hängen geblieben, deshalb mein allererster Kommentar hier.

  16. Eine tolle Sichtweise, heutzutage weiß man wirklich nicht was wahr oder falsch ist. Aber ist den die Wahrheit so wichtig? Den die Wahrheit kann auch so einiges zerstören.

    Lg Alisa

    1. Wahrheit zerstört Lügengebäude, für deren Existenz es ein Interesse gibt. Das ist die Grundlage aller Neurosen, z. B. für Narzissmus. Oft ist es besser, diese Gebäude stehen zu lassen.

      1. Hallo Herr Dueck,
        Narzissmus unter Neurose zu deklarieren ist die Freudsche Sichtweise. Im allgemeinen wird Narzissmus unter Persönlichkeitsstörung geführt. Freud hat viel für die Psychologie getan, vieles hat sich auch weiterentwickelt und wird heute anders eingeordnet, je nachdem von welcher Seite man es betrachtet; psychoanalytisch oder psychatrisch. Der Narzisst hat ein fantastisches Lügengebäude um sich herum aufgebaut, das er um alles in der Welt erhalten wird.

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